"Ouverture spirituelle“ bei den Salzburger Festspielen: Verstörende Sternstunden zum Auftakt

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Intendant Markus Hinterhäuser faszinierte am Klavier, die Pianisten Igor Levit und Lukas Sternath wurden für ihre Schostakowitsch-Interpretation zurecht bejubelt.

Bevor die Salzburger Festspiele so richtig eröffnet wurden, widmete sich die "Ouverture spirituelle“ dem Schicksal. Im Zentrum stand die Frage, ob der Mensch seinem Fatum folgen muss – oder seinen Weg selbst bestimmen kann.

Verstörende Sternstunden waren in deren Rahmen am Donnerstagabend im Mozarteum in zwei Konzerten zu erleben. Das erste war mit "Musica dolorosa“ überschrieben, das zweite Dmitri Schostakowitsch gewidmet, dessen Todestag sich am 9. August zum 50. Mal jährt.

Gigantisches Gemälde

Doch zunächst zur ersten Sternstunde, die eigentlich eine halbe war. Denn Galina Ustwolkskajas "Duett für Violine und Klavier“ dauert nur etwas mehr als 30 Minuten, aber die haben es in sich. Für den Intendanten und Pianisten Markus Hinterhäuser gehört das Werk der russischen Komponistin seit Jahren zum Kernrepertoire. Bereits 2014, als er die Wiener Festwochen verantwortete, führte er mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja dieses Duett auf, 2018 überwältigten die beiden damit bei den Festspielen. Umso erstaunlicher, wie sie bei der aktuellen Aufführung die absolute Radikalität dieser Musik noch intensiver spüren ließen. Das war ein Geben und Nehmen, ein Austausch von Kräften. 

Man könnte sie mit zwei Malern vergleichen, die ihre Farben mischen und zu einem gigantischen Gemälde zusammenfließen lassen. Elektrisierend entlockt Kopatchinskaja ihrer Geige Flageolettöne. Hinterhäuser schlägt seine Attacken akkurat mit atemberaubender Klarheit an. Mit seinem Tastendonner erzeugt er eine Sogwirkung, die wie ein Strudel in den Bann dieser Musik zieht. Wie Neonlicht bringt er die grellen Töne der Tasten zum Leuchten und vereint diese mit dem Pizzicato der Geige. Am Ende fließt die Musik immer langsamer, ganz so, als würden die letzten Töne sich wie erratische Säulen aufbäumen. Der Jubel wollte nicht enden.

Leiden der Landsleute

Eingebettet war dieses Werk zwischen "Vier ernste Gesänge – 2. Konzert für Violine und Streichorchester“ des armenischen Komponisten Tigran Mansurian mit Kopatchinskaja als Solistin, die mit melancholischen Weisen betörte, und dem titelgebenden Werk "Musica dolorosa für Streichorchester“ von Pēteris Vasks. Georg Ahyss brachte mit den sehr gut disponierten Streichern der Camerata Salzburg das Werk wie Filmmusik zum Klingen. Der lettische Komponist vertonte darin auch das Leiden seiner Landleute im "Völkergefängnis Sowjetunion“.

Und nun zur zweiten Sternstunde. Die Qualen, die er im Stalin-Regime aushalten musste, vertonte Schostakowitsch in seiner 10. Symphonie nach dem Tod des Diktators. Bevor diese aufgeführt werden durfte, musste er sie dem Zentralkomitee vorspielen. Das geschah mit einer Klavierfassung. Als Igor Levit Schostakowitschs Aufnahme mit Mieczysław Weinberg hörte, wusste er, das müsse er spielen. Seinem ehemaligen Studenten, dem Wiener Lukas Sternath, übertrug er Weinbergs Part. Zwei Meisterinterpreten agierten an zwei Klavieren im Einklang, spornten einander an, inspirierten einander.

Levit überwältigte mit beklemmender Düsternis zu Beginn im Moderato. Sternath faszinierte mit seinen federnden Anschlägen und seiner Melodieführung. Wie Peitschenhiebe erklangen die Stakkato-Rhythmen. Vergleiche mit der Orchesterfassung wurden rasch obsolet. Denn diese Pianisten generierten ein Destillat dieser Symphonie und ließen deren Wucht und den Hohn, den Schostakowitsch darin über die Stalin-Diktatur verpackte, durch ihre hoch konzentrierte Interpretation noch deutlicher spüren. Ovationen. 

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