„Rickerl": Vier Freunde und ein Kino-Film, der mehr is, als a Hobby
Adrian Goigingers soeben in Österreichs Kinos gestarteter, preisgekrönter Film „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ eröffnet am Montag den 45. Max-Ophüls-Preis. Das Festival in Saarbrücken ist für Nachwuchsfilmschaffende die wichtigste Plattform im deutschsprachigen Raum. Den Auftaktfilm bestreiten stets jene, die es quasi geschafft haben – auch wenn es sich für die noch gar nicht so anfühlt.
Das gilt auch für die 2010 Entertainment, die Salzburger Produktionsfirma hinter der Tragikomödie mit Voodoo Jürgens als Beisl-Musikanten Erich Bohacek. 2012 wurde sie von den Freunden Adrian Goiginger, Martin Pfeil und Peter Wildling gegründet, David Stöllinger stieß 2019 endgültig zur Firma dazu.
Meisterstück
„,Rickerl‘ ist unser Meisterstück, die Abschlussarbeit“, sagt Wildling. „Auch wenn es uns seit zwölf Jahren gibt, ist es das erste Projekt, das wir als alleinige, hauptverantwortliche Produktionsfirma umgesetzt haben.“ Ein Projekt aber auch, das schlaflose Nächte bereitet hat und erst mit einer kurzfristigen Mittelaufstockung durch ORF, ÖFI und Wiener Film Fonds umgesetzt werden konnte.
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Erich „Rickerl“ Bohacek bekommt hingegen nur wenig auf die Reihe. Theoretisch arbeitet der Wiener Beisl-Barde am ersten Album. Rein praktisch besteht es aus einem Haufen vollgekritzelter Papierfetzen im Gitarrenkoffer, den er überall hin mitschleppt. Zwischen Gelegenheitsjobs am Friedhof oder im Erotikshop versucht er seinem kleinen, bei der Ex lebenden Sohn seine Liebe zur Musik mitzugeben und irgendwie auch ein Vater zu sein.
„Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ ist eine berührende Vater-Sohn-Geschichte mit skurril-komödiantischen Anklängen, der Voodoo Jürgens nicht nur als Hauptdarsteller und Musiker Seele gibt. „Würde man die Dialoge analysieren, dann findet sich darin sehr viel von Voodoos Texten wieder“, erzählt Regisseur und Drehbuch-Autor Adrian Goiginger. Sinnbildlich steht dafür gleich das Intro zum Film, in dem, frei nach Voodoos „Heite grob ma Tote aus“, eine Umbettung Bohacek zu einem erneuten arbeitsrechtlichen Verhängnis wird.
Der Film ist, auch sprachlich, ein tiefes Eintauchen ins melancholische Wien und seine Tschecheranten-Kultur.
Produziert von einer Firma, deren Anfänge in die Abschlussklasse einer Salzburger Handelsakademie zurückführen.
Goigingers Matura-Projekt
Begonnen hat nämlich die Geschichte von 2010 Entertainment im Grunde zwei Jahre vor ihrer Gründung mit Goigingers Matura-Projekt in der Multimedia-Klasse einer Salzburger Handelsakademie. „Unforgettable“ (2010) hatte sogar seine Kino-Premiere.
„Unsere Lehrer waren sehr entgegenkommend. Adrian wollte ein Drehbuch schreiben, der Professor hat es akzeptiert. Er hat sicher nicht erwartet, was daraus einmal wird“, erinnert sich Stöllinger. Es folgten Lehrjahre mit Auftragsarbeiten im Tourismus-Bereich, Image-Filmen für kleine Firmen, Event-Videos und Beiträgen fürs Regional-Fernsehen. „Irgendwann muss man eine Rechnung schreiben und dann gründet man eben eine Firma.“
Goiginger ist dann an die Film-Akademie in Ludwigsburg gewechselt. „Ich habe gemerkt, dass wir, was den Kino-Bereich betrifft, in eine Sackgasse geraten. Überall, wo man angeklopft hat, war das Argument für eine Ablehnung, du hast keine Erfahrung und keine Ausbildung.“
Pfeil und Wildling, heute noch die geschäftsführenden Gesellschafter, werkten die nächsten Jahre weiter: „Wir haben geschaut, dass wir davon leben können. Wir wussten, Adrian kommt in drei oder vier Jahren zurück und waren guter Dinge, dass wir dann die Chance kriegen, gemeinsam den ersten Kinofilm umzusetzen.“
Freundschaft bringt Freiheit
Die kam mit „Die beste aller Welten“ (2017). Der autobiografische Film katapultierte Goiginger als Autor und Regisseur gleich zum Start in eine andere Liga. War es da für ihn kein Thema, bei einer großen Produktionsfirma anzudocken? „Da ist man immer einer unter vielen“, sagt der 32-Jährige. „Etwas ganz anderes ist es, wenn man seinen besten Freunden einen Film macht. Da gibt es die totale Vertrauensbasis, Loyalität und Freundschaft. Das gibt uns als Firma und mir als Künstler, als Regisseur, als Autor, so viel Freiheit. Das ist wahrer Luxus.“
Gleichzeitig war den anderen klar, „dass wir, so ganz ohne Produzenten-Ausbildung, jemanden brauchen, der uns unterstützt, entweder als Mentor oder als Firma“, erzählt Wildling. Bei „Die beste aller Welten“ waren es die Wiener RitzlFilm in Koproduktion mit der Münchner Lailaps Pictures. „Wir haben als Service-Produzenten die Dreharbeiten, die vor allem in Salzburg waren, vor Ort zum Teil abgewickelt. Also, es ist nicht so, dass man eine Firma gründet und dann gleich den ersten Film eigenverantwortlich finanziert bekommt. So ehrlich muss man sein“, sagt Pfeil.
Auch zuletzt bei „Der Fuchs“ ging man diesen Weg. „Wir haben gewusst, das ist ein echt anderes Kaliber mit einem Budget von fast sechs Millionen Euro und Weltkriegsszenen. Das hätten wir noch nicht stemmen und auch nicht zwischenfinanzieren können“, sagt Wildling. Mit der Wiener Lotus Film an Bord wurde es möglich. „Wir wollen unseren eigenen Weg gehen und nicht irgendwen kopieren, wir scheuen uns aber auch nicht, uns immer wieder Ratschläge und Tipps zu holen. Wir haben viel von ihnen lernen können.“
Deutschland ist anders
„Der Fuchs“, der Film über Goigingers Urgroßvater und seine Weltkriegserfahrung, hatte in Österreich mit 123.000 Tickets die Schallmauer von 100.000 Kino-Gehern durchbrochen. Die Zahlen in Deutschland waren hingegen „enttäuschend“, wie Goiginger sagt. „Denn nach dem wirklich großen Publikumserfolg in Österreich denkt man, man nimmt diesen Schwung mit – aber Deutschland, tja, ist anders, vielleicht nicht so cinephil.“
Nun setzt man auf „Rickerl“. Der läuft in Deutschland allerdings mit Untertitel – „nördlich von Freilassing ist man froh darüber“ -, aber es macht die Sache nicht leichter. Goiginger: „Ich glaube daran, dass ein guter Film die Leute berührt.“
Einen positiven Schub bringen kann, dass „Rickerl“, nach der Premiere beim Filmfest Hamburg im September, soeben beim Bayerischen Filmpreis nominiert war und nun der Eröffnungsfilm vom Max-Ophüls-Preis ist. Kino-Start in Deutschland ist am 1. Februar.
Bestseller-Verfilmung
Goiginger arbeitet bereits am nächsten Projekt. Er wird bei der Bestseller-Verfilmung „Vier Minus Drei“, die derzeit für Förderungen eingereicht wird, Regie führen. Das Drehbuch stammt von Senad Halilbasic.
2010 Entertainment will aber auch Vorhaben forcieren, an denen Goiginger künstlerisch nicht beteiligt ist. Bei der Entwicklung von Stoffen schaue man verstärkt auf junge Leute. „Wir glauben, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und vielleicht den Einstieg ermöglichen können“, meint Stöllinger.
Einstieg ins TV-Geschäft als nächster Schritt
Schwierig bleibt für die Firma hingegen der Einstieg ins TV-Geschäft, weshalb sich Goiginger eine Spitze nicht verkneifen will: „Es wäre doch nett, wenn bei einem der vielen Krimis, die im Salzburger Land und in der Stadt Salzburg gedreht werden, einmal Salzburger das Vertrauen bekommen würden.“
Und Wildling sekundiert: „Seit unserer Gründung hat sich in der Filmbranche in Salzburg viel getan. Da kommen wirkliche Talente nach.“ Denen bleibe dann aber oft nichts anderes übrig, als nach Wien zu gehen. Das soll sich möglichst bald ändern.
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