Rammstein in Wien: Feuerwerk und Schlauchboot
Man würde ja gerne eine ganz normale Konzertkritik schreiben. Aber das geht nicht. Denn dieses Konzert steht in einem Kontext.
Seit Wochen gibt es Vorwürfe gegen Sänger Till Lindemann – und zuletzt auch gegen Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz – sie hätten sich, vorsichtig formuliert, auf After-Show-Partys übergriffig gegenüber Frauen gezeigt.
Erst vor wenigen Tagen sagte eine Österreicherin aus, sie sei von Lindemann, als sie den Sex verweigerte, aufs Gesäß geschlagen worden. das Management und die Anwälte der Band haben diese Vorwürfe stets scharf dementiert und mit Klagen gedroht. Die Tournee der Gruppe ging trotz Protesten weiter.
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Der „Fall Rammstein“ zeigt uns die Grenzen unserer Wertvorstellungen auf. Was wiegt schwerer? Die Unschuldsvermutung gegenüber einer Band, die auf ihr Recht pocht, nicht vorverurteilt zu werden? Oder die Unschuldsvermutung gegenüber jungen Frauen, dass sie keine Verleumderinnen sind?
Hose an
Damit sind wir vor dem Wiener Ernst-Happel-Stadion, wo vor dem Konzert etwa 500 Personen gegen den Auftritt der Gruppe demonstrierten und dabei Schilder hochhielten, auf denen „Rammstein, ramm’ ihn dir selbst rein“ oder „Till Lindemann, lass’ deine Hose an, du Arsch“. Der Großteil der etwa 55.000 Konzertbesucher bekam davon freilich nichts mit.
Im Stadion bestritt das aus zwei Pianistinnen bestehende Duo Abélard das Vorprogramm, indem es Rammstein-Lieder instrumental interpretierte, was vom Publikum höflich geduldet wurde. Zum Zeitvertreib rollte die „Welle“ durchs Stadion.
Um 20.34 Uhr erklingt schließlich – passenderweise – Händels „Feuerwerksmusik“, Till Lindemann schwebt aus lichten Höhen zur Bühne, seine Kollegen wachsen aus dem Boden und mit „Rammlied“ beginnt die typische Show.
Der Sound ist nicht gut, aber für das soundtechnisch berüchtigte Happel-Stadion gar nicht einmal so schlecht.
Die 1994 in Berlin gegründete Band gilt als wichtigster Vertreter der sogenannten „neuen deutschen Härte“. Sie kombiniert relativ monotone, schwer mahlende Gitarrenriffs mit munteren Keyboard-Motiven und beinahe tanzbaren Grooves. Entscheidend für den Wiedererkennungswert ist Till Lindemanns tiefer Gesang mit den rollenden „R“.
Reichsparteitag und Maturaball
Rammstein-Konzerte sind immer eine Mischung aus Reichsparteitag und Maturaball. Die Band bedient sich der Ästhetik diktatorischer Systeme, ohne Sympathie für diese zu zeigen – hier haben sie offenbar genau bei der slowenischen Gruppe Laibach hingeschaut.
Dass die Band nicht für rechtes Gedankengut steht, darauf gibt das Lied „Links 2-3-4“, das in Wien gleich als zweites gespielt wird, Hinweise.
Die Stimmung im Publikum ist prächtig. Spricht man mit Besuchern und Besucherinnen, bekommt man zu hören, dass die Vorwürfe gegen die Band falsch sind, falsch sein müssen.
Stimmen von der Rammstein Gegendemo
Beim alten Hit „Sehnsucht“ – das Riff ist wirklich unwiderstehlich – wird zum ersten Mal kräftig gezündelt. Rammstein-Shows bestehen auch wesentlich daraus, dass ständig irgendwas abgefackelt wird. Da es im Stadion mittlerweile eisig kalt ist – es weht ein kräftiger Wind – ist man für jede Erwärmung dankbar.
Bei „Puppe“ regnet es schwarze Papierschnitzel, bei „Zeit“ leuchten im Stadion Tausende Handys – ein beeindruckendes Bild. „Deutschland“ beginnt als elektronischer Dance-Track – Gitarrist Richard Kruspe gibt den DJ – und verwandelt sich dann in puren Heavy Metal.
Geröstet
Bei „Mein Teil“ kommt dann wie immer der Effekt, der am meisten ans Lächerliche grenzt: Keyboarder Flake wird in einen großen Topf gesteckt und von Till Lindemann mit Feuerkanonen „geröstet“.
Die alten Schlager „Du hast“ und „Sonne“ beschließen den offiziellen Teil mit der ganz großen Feuerwerksshow.
Die erste Zugabe „Engel“ singt die Band, begleitet von Abélard, auf einer kleinen Bühne in der Mitte des Stadions. Danach lassen sich die Musiker in Schlauchbooten vom Publikum zurück zur Hauptbühne tragen.
Mit „Rammstein“, „Ich will“ und „Adieu“ endet dann nach mehr als zwei Stunden ein überaus unterhaltsames Rockkonzert.
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