Das Johann-Strauss-Jahr in Wien gibt ab Dienstag eine Antwort – mit einer Neufassung des „Zigeunerbarons“ mit dem neuen Titel „Das Lied vom Rand der Welt“.
Strauss’ „Zigeunerbaron“ ist „eines seiner musikalisch ambitioniertesten, zugleich aber sein heute inhaltlich kontroversiellstes Werk“, konstatiert das Strauss-Jahr. Dieses Werk legt man nun in die Hände der Musicbanda Franui, Nuran David Calis inszeniert, Tobias Moretti, Miriam Kutrowatz und viele Weitere stehen auf der Bühne im Museumsquartier (Halle E).
„Nicht heilig“
Der viel gespielte Autor Roland Schimmelpfennig wiederum schrieb das Libretto nach Motiven von Strauss. „Für mich ging es darum, beides gleichzeitig hinzubekommen: die Geschichte ins Heute zu holen und sie gleichzeitig nicht vordergründig par force zu aktualisieren“, hielt er in einem eMail-Interview gegenüber dem KURIER fest.
An mögliche Kritik an dieser Umdeutung von eventuell auf dem Original beharrenden Strauss-Fans denke er nicht: „Die Vorlage ist nicht heilig. Kritik an dem ursprünglichen Werk ist überfällig. Die Husarentänze zum Beispiel erscheinen mir wirklich makaber, nahezu grotesk, von den Frauenfiguren und dem Umgang mit ihnen ganz zu schweigen. Aber: Ich habe nicht alles überschrieben, tatsächlich stehen sich in meiner Bearbeitung sehr oft alte und neue Texte gegenüber, gerade bei den Gesangstexten, so erscheinen beide Ebenen klarer: alt und neu.“
Er versetzt die Handlung in eine unwirtliche Sumpflandschaft am Rand der Welt. Dort sind die „Stahlnomaden“ ansässig, laut Ankündigung „Ausgestoßene, Marginalisierte der Gesellschaft“ – „ein überschwemmter, fast rechtsfreier Raum, in dem Außenseiter versuchen, ihr Glück zu machen, aber Gesetz, Ordnung, Staatsgewalt erscheinen in vollkommen willkürlicher Form“, erklärt der deutsche Schriftsteller. Da „mag ein dystopischer Eindruck entstehen – aber tatsächlich ist viel von dem in der Vorlage schon angelegt.“
Wie steht er zur Debatte um verletzende Begriffe? „Das ist ein schwieriges Thema“, so Schimmelpfennig. „Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern, sie steht für sich, und mit ihr ihre Sprache, dem müssen wir uns stellen.“
Aber: „Alte Verletzungen, alter Rassismus, alter Imperialismus, alte Ausgrenzungen, alte sprachliche Gewalt bleiben trotzdem Verletzungen, Rassismus, Gewalt, und ich sehe keinen Sinn darin, diese in einer Musiktheateraufführung zu wiederholen, auch nicht zum, sagen wir mal, Lerneffekt. Ignaz Schnitzers Libretto ist – auch bei größter, wohlwollender Anstrengung – in seiner alten Form keine Geschichte, die man heute so erzählen will.“
„Unwohl“
Also findet er – abseits des aus der Zeit gefallenen Titelwortes – in weiteren Passagen im „Zigeunerbaron“ Problemstellen?
„Ja. Bei der Originalversion des ,Zigeunerbaron‘ kann einem an verschiedenen Stellen unwohl werden, nicht nur wegen der klischeehaften Fake-Folklore. Sicher, die Operette lebt von der Überzeichnung, aber es ist auffällig, dass da viel über die ,anderen‘ gelacht wird, über den ,Ungarn‘ als feigen Schweinefleischfresser mit Akzent, die Türken als Vergewaltiger und so weiter. Für das Vaterland wird aber – nach faktischer Zwangsrekrutierung – heroisch gekämpft.“
Mag Roland Schimmelpfennig die Strauss-Musik? „Nein. Ja. Manchmal. Eher an den Stellen, die nicht zu den Erfolgsmelodien gehören. Musik und Inhalt sind für mich nicht inhaltlich zu trennen. Man kann nicht sagen: Die Musik ist toll, aber der Text ist – um nur ein Beispiel zu nennen – kriegsverherrlichend. Musikalisch freue mich sehr auf den Zugriff der Musicbanda Franui.“
Info und Tickets unter www.johannstrauss2025.at
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