Pierre-Laurent Aimard in Salzburg: Pianistischer Klangzauber, Ursprung der Avantgarde

Pierre-Laurent Aimard begeisterte am Klavier.
Von Susanne Zobl
Dem Komponisten Pierre Boulez war der Pianist Pierre-Laurent Aimard schon als Kind verbunden. Zuerst als Bewunderer, später als Musiker, als er Teil dessen Ensembles intercontemporain in Paris wurde – und vor allem als herausragender Interpret seiner Werke. Sein erstes Rezital im Mozarteum fand in der für Pierre Boulez ausgerichteten Reihe „À Pierre“ statt. Denn in diesem Jahr wäre der „Advokat“ der Avantgarde 100 geworden (der KURIER berichtete).
Sein Konzert widmete Aimard aber noch einem anderen großen Kollegen. Bevor er sich ans Klavier setzte, erinnerte er an Alfred Brendel, der seine Konzerte in Salzburg regelmäßig besuchte. Der legendäre Pianist verstarb vor wenigen Monaten. Aimards Programm offenbarte einen fundierten Einblick in Boulez’ Schaffen und was diesen geprägt hat.
Scharfe Konturen
Den Auftakt gaben dessen 1945 entstandene „Douze Notations für Klavier“. Bei diesen zwölf Miniaturen aus je zwölf Takten, beruhend auf einer Zwölftonreihe, demonstrierte Aimard hoch konzentriert, wie Boulez Arnold Schönberg weiterentwickelte. Präzise arbeitete er die Effekte heraus, brachte Passagen zum Schweben, zeichnete mit seinem Spiel scharfe Konturen. Mit vier Etüden aus Claude Debussys „Douze Études“, die Boulez sehr geschätzt hat, setzt der Pianist seine Reise durch Boulez’ Kosmos fort. Manche Töne ließ er wie Wassertropfen auf Glas erklingen, changierte brillant zwischen irrlichternden Läufen und mit zur Musik gewordenem Pointillismus.
Fortsetzung
Um 22 Uhr setzte er im Mozarteum mit seiner Auswahl aus dem zweiten Teil von Johann Sebastian Bachs Zyklus „Das Wohltemperierte Klavier“ fort. Mit glasklaren, federnd leichten Anschlägen zog er in den Bann des Bach’schen Kosmos. Er musizierte mit Intellekt und einem Hang zur unermüdlichen Spielfreude, die er in den Präludien auslebte.
Virtuos ließ er seine Finger über die Tasten turnen, furiose tänzerische Passagen anschlagen oder kantable Sequenzen intonieren. Bei ihm manifestierte sich in jeder Tonart eine bestimmte Klangfarbe, eine eigene Atmosphäre.
Eines muss man noch anmerken: Der vor 67 Jahren in Lyon geborene Pianist hat enorme Ausdauer bewiesen. Nach diesem Marathon erwiderte er den Jubel des Publikums mit einer Zugabe.
Beim ersten Satz von Boulez’ Klaviersonate stellte dieser Pianist eine gewisse innere Nähe zum Vorgängerwerk her. Im zweiten Satz verwies er mit seiner atemberaubenden Interpretation auf die Nähe zu Debussy. Bei Boulez’ „Incises“ setzte Aimard auf elastisch federnde Anschläge, spielte mit dem Nachhall der Tasten und rückte den Klangmagier Boulez ins Zentrum seiner Interpretation. Das Werk stellte er zwischen drei Ausschnitte aus Ravels „Miroirs“ und die „Quatre études de rythme“ seines Lehrers Olivier Messiaen. Aimard hatte bei dessen Ehefrau Yvonne Loriod studiert. Das hat seinen Zugang zu diesem Komponisten geprägt wie er mit atemberaubender Intensität, Ausdruck, furiosem Tastendonner, der streng nach der Struktur folgte und trotzdem auf seine Art befreit klang.
Hätte er nicht schon eine Stunde später sein zweites Konzert gespielt, hätten die Ovationen noch länger gedauert.
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