ORF-Orchester bekommt neuen Chefdirigenten - Zukunft weiter unsicher

Das ORF Radio-Symphonieorchester Wien (RSO), dessen Zukunft im Rahmen der Spardebatten rund um den ORF akut bedroht schien und scheint, bekommt einen neuen Chefdirigenten. Der deutsche Dirigent Markus Poschner soll 2026 von Marin Alsop, deren Vertrag im Sommer ausläuft, übernehmen - wenn es das Orchester da noch gibt, zumindest, und es für die Zukunft gesichert ist. Es gebe für das Orchester „noch einige Steine aus dem Weg zu räumen, wir brauchen einen stabilen Weg in die Zukunft und Planungssicherheit“, sagt Poschner im KURIER-Gespräch.
Gleich um die Form der Bekanntgabe scheint es jedoch Verstimmungen gegeben zu haben. „Die heute getätigten öffentlichen Aussagen von Hrn. Poschner sind als private Meinungsäußerungen einzuordnen“, ließ der ORF am Dienstagnachmittag wissen – wohl, weil nicht der Sender, sondern die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, die Wiener Konzerthausgesellschaft und das MusikTheater an der Wien per Aussendung die Personalie bekanntgegeben haben.
Der Bericht zur Poschner-Kür auf der Webseite des ORF - hier war offenbar die APA-Meldung übernommen worden - ging am Nachmittag offline. Ein neuer Artikel ging später online. „Der ORF hat aufgrund der im Kulturbetrieb üblichen langen Vorläufe des Geschäftsbetriebs Vorkehrungen getroffen, um sicherzustellen, dass das Radio-Symphonie-Orchester ab Ende 2026 weiterhin einen international renommierten Chefdirigenten hat. Diesbezüglich wurde unter der Voraussetzung, dass bis dahin die Existenz und Finanzierung des Orchesters abgesichert ist, eine Vereinbarung mit Markus Poschner geschlossen. Sollte die Finanzierung ungeklärt bleiben, wird der Vertrag einvernehmlich aufgelöst."
Das bestätigt auch Poschner gegenüber dem KURIER.
ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher sagte ergänzend: „Ich danke Markus Poschner für sein bisheriges und hoffentlich zukünftiges Engagement für das RSO Wien. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass er trotz der ungeklärten Zukunft dieser Vereinbarung zugestimmt hat, die im Fall einer Fortführung des RSO Kontinuität und Innovation gewährleisten wird.“
Dass es für diesen Posten bis in - für Klassikverhältnisse - letzter Minute keinen Nachfolger gegeben hatte, nährte die Sorgen um das Orchester, das aus dem Musikleben nicht wegzudenken ist, jedoch in der „Geiselliste“ der Dinge, die im ORF eingespart werden sollen, immer ganz oben steht. Das Timing der Bekanntgabe - nach Platzen der blau-schwarzen Regierungsverhandlungen und vor dem Wieder-In-Gang-Kommen der nunmehrigen Koalitionsgespräche - ist jedenfalls bemerkenswert.
Markus Poschner (54) ist seit 2017 und noch bis 2027 Chefdirigent des Bruckner Orchesters Linz (BOL). Mit Beginn der Spielzeit 2027/28 wird er Chefdirigent des Utah Symphony, wie im vergangenen Herbst bekanntgegeben wird.
Nicht sein einziger geplanter Posten: Bereits mit Saisonbeginn 2025/26 legt Poschner die Leitung des Orchestra della Svizzera italiana nieder und wird Chef des Sinfonieorchesters Basel. 2026 soll dann eben das RSO folgen. Der deutsche Dirigent hatte zuletzt auch international für Aufsehen gesorgt, etwa in Bayreuth, wo er 2022 als Eröffnungspremiere den „Tristan“ leitete.
Sollte der ORF aufgrund eines künftigen Sparauftrages den Klangkörper nicht weiter finanzieren, gab es eigentlich schon eine schwarz-grüne Übereinkunft, eine anderweitige Lösung - die Finanzierung aus dem Kulturbudget liegt nahe - zu finden.
KURIER: Wie geht es dem RSO musikalisch, und in welche Richtung soll es sich entwickeln?
Markus Poschner: Ich kenne kaum ein Ensemble in Europa, das diesen Spannungsbereich zwischen Tradition und Moderne so ausfüllen kann wie das RSO. Das Renommee und Reputation auf dem Gebiet der Neuen Musik ist ja unwidersprochen. Ich sehe es als künstlerischen Vorteil, das wir da aus dem Vollen schöpfen können, und habe da viele, viele Ideen, auch was die klassische Moderne betrifft. Da gibt es noch viele ungehobene Schätze, auch bei der Wiener Musik der Anfang des 20. Jahrhunderts, Schreker, Zemlinsky, Korngold. Für mich ist aber das Entscheidende, das Orchester sichtbar zu machen, Nähe herzustellen zum Publikum, zur Gesellschaft.
Inwiefern?
Unsere gesellschaftliche Verantwortung als Kulturinstitution, als Klangkörper ist enorm wichtig. Wir sehen, wie fragil unsere Zeiten sind, und auch, wie schnell es gehen kann, dass die Medienfreiheit und damit auch unsere Meinungsfreiheit, die Säulen der Demokratie, unter Druck geraten. Wir als Orchester sind ein Symbol für Dialogfähigkeit, für das Hinhören, für das Konfrontieren mit dem eigenen Selbst. Wir repräsentieren die Komplexität unseres Daseins und des Menschseins.
Aber gerade Komplexität hat es doch gerade sehr schwer - und damit auch die zeitgenössische Musik.
Die Komponistinnen und Komponisten sind Suchende, die sich mit unserer Zeit beschäftigen, sich überlegen: Was hat unsere Zeit für einen Klang? Welche Ausdrucksmittel gibt es, welche Geschichten müssen wir erzählen? Wir müssen sehr geschickt darin sein, Brücken zu bauen, das auch zu vermitteln. Aber es stimmt: Vielleicht weil die Orientierung so schwer geworden ist, sehnen wir uns auch kulturell nach einfachen Antworten und halten uns gerne fest an den Dingen, die wir vermeintlich glauben zu kennen. Die Verkürzung in den Social Media ist Gift für die Musik, denn eine Brucknersymphonie oder auch ein Werk von Georg Friedrich Haas lässt sich nicht auf drei Minuten verkürzen, oder gar auf zehn Sekunden. Diese Beschleunigung hat auch mit unserer Gesellschaft zu tun: Wir müssen weiter aufeinander hören, wir müssen dialogfähig bleiben.
Da hilft die Musik?
Wir sehen ja, dass die Gesellschaft sich verändert, dass wir Gefahr laufen, uns in Bubbles zurückzuziehen. Und dass wir nicht mehr aufeinander zugehen, jenseits von Parteizugehörigkeit, von Religion, von Hautfarbe, von Geschlecht. Man sieht ja ganz deutlich, dass sich Meinungslager bilden, die einander vollkommen konträr gegenüberstehen. Und da schlägt jetzt ganz klar die Zeit der Kultur. Denn das ist der Kitt, der Klebstoff zwischen den Menschen. In einem Konzert passiert nämlich genau das: Aus Menschen, die einander nie zuvor gesehen haben, wird eine Art Glaubensgemeinschaft. Ich meine das nicht religiös und schon gar nicht esoterisch. Aber man trifft sich dort auf emotionalem Gebiet und das schafft Vertrauen. Kultur ist ein Vermittlungsinstrument.
Das klingt ja fast wie ein Teil eines öffentlich-rechtlichen Auftrags ...
Gerade mit den Instrumenten des ORF kann man im Vermittlungsbereich viel ausrichten. Ich hoffe, dass sich das neu beleben lässt.
Das Radio-Symphonieorchester erfüllt im Musikleben des Landes eine Funktion, die sonst allem Ermessen nach unbespielt bliebe: Der Klangkörper ist eines der wichtigsten Uraufführungsorchester, das neben der Pflege der Klassiker und dem Am-Leben-Halten der Musik des 20. Jahrhunderts dem Publikum neue Werke präsentiert. Dass öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ein Orchester finanzieren, war bis vor wenigen Jahrzehnten alles andere als ungewöhnlich, kamen die Klangkörper doch im Programm ausführlich zum Einsatz. Veränderungen in der Medienlandschaft haben dies jedoch nach und nach zur Debatte gestellt.
Die Einspardiskussion um das RSO schwelt seit zwei Jahrzehnten; immer wieder war das Orchester ein Pfand in Verhandlungen bzw. Drohszenarien zwischen sparbegeisterter Politik und der ORF-Führung, die diese Sparvorhaben so (kulturell) schmerzhaft wie möglich darstellen will. Wiederholt brauchte es scharfen Widerstand aus der Kulturszene, um die Einstellung bzw. Einschränkung des Orchesters zu verhindern.
Die bittere Realität ist, dass in jeder Debatte um Einsparungen beim ORF das RSO an erster Stelle geführt wird: Man schiebt es immer ganz nach vorne an die Planke, man stellt es zur Einsparungsdisposition.
Es ist mir unerklärlich, wie es zu dieser Tendenz kommen konnte. Es gibt kaum eine Abteilung beim ORF, die mehr identitätsstiftend ist und mehr für den Grundslogan und die Aufgaben des ORF steht als das Orchester. Wir sind ein Sympathieträger, wir erreichen mit Klassik für alle jeden Haushalt. Seit Jahrzehnten läuft es so, dass dieses Orchester instrumentalisiert wird, und das muss aufhören. Wir brauchen ein tragfähiges Zukunftskonzept.
Vielleicht liegt das außerhalb des ORF - finanziert durch das Kulturbudget?
Dem würde ich eine ganz klare Absage erteilen. Wir sind ein Rundfunkorchester, müssen also an einen Rundfunk angebunden sein, vor allen Dingen dort, wo ich auch unsere Kernaufgabe sehe: In dem Brückenschlag zum Publikum, in der Vermittlung brauchen wir die Tools des ORF, die Sendermöglichkeiten. Das RSO soll ein Orchester für alle Österreicherinnen und Österreicher sein. Und außerhalb des ORF würde der Betrieb viel, viel teurer werden - wir sind fest eingegliedert in die Strukturen des ORF.
Derweil wird das Orchester aber in der bissigen Debatte um den ORF mitvergiftet, das muss doch zermürbend sein.
Ja. Wir sind dessen müde, wir sind dessen sehr leid und würden eigentlich nur gerne in Ruhe arbeiten wollen. Und das tun, wofür unser Herz brennt und was wir am besten können. Ich hoffe, dass alle Verantwortlichen in Politik, aber auch beim ORF verstehen, dass dieses Orchester nur zu ihrem eigenen Wohl ist. Wir haben eine große Fangemeinde, damit kann sich jeder schmücken, das stärkt auch den Konzern. Ich will die Türen weit aufsperren und mit allen Verantwortungsträgern beim ORF neue Kanäle entwickeln und neue Möglichkeiten ausdenken.
Auch abseits der ORF-Debatte: Ein Orchester wegzusparen wäre auch ein erstaunlicher Move für ein Land, das vom Image als Kulturnation lebt.
Als Deutscher darf ich das sagen: Die ganze Welt bewundert die Kulturnation Österreich. Das ist der große Exportartikel schlechthin. Es ist völlig absurd, dass man ausgerechnet dort, am Tafelsilber, quasi am Heiligen Gral den Rotstift ansetzt. Das will mir nicht in den Kopf. Dass dieses Orchester immer zwischen den Leitplanken der Politik hin- und hergeschubst wird, muss aufhören.
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