Opernstar Asmik Grigorian probt derzeit Bellinis „Norma“ – eine Rolle, die für sie hoch persönlich ist. Sie spricht über ihre Eltern, Schuldgefühle, Scham und den Grund, warum sie sich an ihre Grenzen bringt.
Sie ist einer der größten Stars des Opernbusiness. Und dennoch sagt Asmik Grigorian: „Ich habe lange gefühlt, dass ich nicht wert bin, dort zu sein, wo ich bin.“
Das hat, wie sie dem KURIER erzählt, mit ihren Eltern zu tun. Und mit sich selbst. Und mit der Rolle, die sie derzeit probt: Im Theater an der Wien singt sie am 16. Februar erstmals Bellinis „Norma“, eine Rolle, die ihre Mutter Irena Milkevičiūtė prägte. Eigentlich hätte Grigorian schon 2020 Partie singen sollen – aber die Pandemie kam dazwischen.
Asmik Grigorian Die Sopranistin ist einer der größten Stars im Opernbusiness. Am 16. Februar singt sie im Theater an der Wien (das am Samstag die szenische Wiedereröffnung nach der Renovierung erlebte, Kritik im Montags-KURIER) erstmals Bellinis „Norma“. Francesco Lanzillotta dirigiert die Wiener Symphoniker, Vasily Barkhatov inszeniert.
Erste „Norma“ Die Rolle hat für sie eine besondere, persönliche Bedeutung: Als Norma hat ihre Mutter, die litauische Sopranistin Irena Milkevičiūtė, geglänzt – und in zahlreichen Aufführungen das europäische Publikum begeistert. Grigorian widmet ihre Norma nun ihrer Mutter. Deren Karriere wurde durch die politischen Umstände – sie durfte ein Jahrzehnt nicht aus der damaligen Sowjetunion ausreisen – behindert. Ansonsten wäre Milkevičiūtė wie Grigorian ein weltweiter Star geworden, sagt ihre Tochter.
Musikverein Am Sonntag, singt Grigorian im Musikverein mit den Wiener Symphonikern unter Petr Popelka Strauss’ „Vier letzte Lieder“
KURIER: Haben Sie gezögert, diese Rolle anzunehmen?
Asmik Grigorian: Wie bei allen meinen Rollen sage ich zuerst ja – und dann denke ich: Asmik, warum tust du dir das eigentlich an? (lacht) Ich war so dankbar, dass es wegen der Pandemie nicht zustande gekommen ist. Jetzt ist mein Terminkalender immer voll, es gibt nie genügend Zeit, sich wirklich auf eine „Norma“ vorzubereiten. Aber dieses Werk kann man nicht vortäuschen. Das muss man schön singen. Ich habe so ein breites Repertoire, ich könnte einfach mein Leben genießen. Aber ich muss mich immer herausfordern.
Bei dieser Rolle ist die Herausforderung für Sie wohl auch emotional. Während der vergangenen vier Jahre habe ich ein tieferes Verständnis von mir selbst entwickelt. Ich wollte verstehen, warum ich so kämpfe und so viel Energie in alles stecke. Dabei habe ich realisiert, warum mir diese Rolle wichtig ist, denn ich möchte sie meiner Mutter widmen. Sie war eine unglaubliche Sängerin. Unter anderen Verhältnissen wäre sie die größte gewesen. Ich will mich dafür einsetzen, dass die Welt das weiß.
Es ist sicher schwierig, sich mit seinen Eltern im selben Metier zu messen? Es ist ein riesiges Geschenk – und zugleich wie ein Fluch. Ich konnte nie alleine auf die Bühne gehen, meine eigenen Fehler machen. Ich habe immer meine Eltern mit hinaufgenommen. Ich bin darin jetzt schon viel besser, aber es hat Jahre gebraucht, bis ich mich als dessen würdig empfunden habe. Das ist es auch wahrscheinlich, warum ich so viel mache: Ich versuche immer noch zu beweisen, dass ich verdiene, was ich mache und wo ich bin. Und zwar mir zu beweisen, nicht der Welt. Die zeigt mir jeden Tag, dass sie mich liebt, das Publikum und auch die Kritiker vermitteln, dass ich würdig bin.
Von außen gesagt: Niemand, der hören kann, würde das bezweifeln! Ich hinterfrage das, jeden Tag. Es ist ein tägliches Ringen, mir den eigenen Platz zu suchen und mich würdig zu fühlen. Aber wahrscheinlich wäre ich nicht dort, wo ich bin, wenn ich diese Eigenschaft nicht hätte. Es zwingt mich, mich immer wieder an meine Grenzen zu bringen.
In der Klassikwelt gibt es endlos viele Erzählungen davon, dass Eltern ihre Kinder unter Druck setzen. Bei Ihnen aber war das nicht so? Ich bin wahrscheinlich niemand, der sich von außen unter Druck setzen lässt – sondern nur durch mich selbst. Niemand kann mich so antreiben wie ich mich selbst (lacht). Meine Mutter hat, im Gegenteil, immer gesagt: Es ist so ein schwieriger Beruf, willst du das wirklich?
Sie haben als Kind wohl die Härten des Berufs mitbekommen. Hat Sie das nicht abgeschreckt? Ich habe meine Eltern nie zu Hause arbeiten sehen! Ich dachte, das viele Reisen sei lustig. Aber es ist etwas ganz anderes, wenn es dann die eigenen Kinder betrifft. Da spürt man dann die Einsamkeit wieder, und all die Zeit, die die eigenen Eltern weg waren. Ich spiele beide Rollen. Man versucht, seinen Kindern das Maximum zu geben, weil man diese Einsamkeit wieder spürt. Denn dieses Gefühl der Schuld ist schwierig: Man weiß, wie sich das Kind fühlt.
Kann man da selbst einen richtigen Weg finden? Ich denke, dass ganz generell alle Eltern finden, sie geben nicht genug. Man hat ständig ein schlechtes Gewissen – und tut, was man kann. Das beste, das wir tun können, ist unsere Liebe zu geben und die Zeit zu genießen. Mein Sohn hat zu mir etwas Weises gesagt: „Du hast mir das größte Geschenk gegeben. Du hast mir beigebracht, wie man sein Leben zu 100 % lebt.“
Hat Ihre Mutter am Anfang Ihrer Karriere versucht, Sie zu beschützen, Ihnen den Weg zu weisen?
Sie war meine erste Lehrerin, meine wichtigste Lehrerin. Aber ich war immer ein bisschen unaufhaltbar. Die leichten Rollen haben mich nie interessiert. Ich bin immer direkt ins Härteste gegangen. Sie hat versucht, mich zu beschützen, und tut das heute noch. Ich muss dann aber immer ein bisschen schmunzeln, denn sie war selbst eine risikofreudige Sängerin, die wirklich früh die Butterfly und die Turandot gesungen hat.
Sie tat das unter weltpolitisch schwierigen Bedingungen.
Meine Eltern haben einander in Mailand kennengelernt, an der Scala. Sie hatte dort einen Vertrag und viele Angebote. Aber dann konnten sie zehn Jahre – ihre besten Jahre! – nur in der Sowjetunion arbeiten, sie konnten nicht ausreisen. Als die Sowjetunion kollabierte, hat nur mein Vater (der Tenor Gegham Grigorian, Anm.) große internationale Karriere gemacht. Aber meine Mutter, mit zwei Kindern ... Sie hätte die Nummer eins sein können.
An der Scala erlebten Sie dann auch selbst einen entscheidenden Moment. Es gibt Menschen, die mit 18 wissen, was sie tun wollen. Ich gehörte definitiv nicht zu diesen Menschen. Ich dachte, vielleicht sollte ich auch Sängerin werden – aber andere Musik, Pop vielleicht. Aber dann hätten alle gesagt, das macht sie nur, weil sie es in der Oper nicht geschafft hätte, sie hat den leichteren Weg gewählt. Da habe ich mir geschworen: Ich will es in der Oper schaffen, und danach kann ich tun, was ich will. Als ich 2019 das erste Mal an der Scala gesungen habe, dachte ich mir: Jetzt habe ich es wirklich geschafft. Und ich habe zugleich realisiert, dass ich die ganze Zeit schon das gemacht habe, was ich tun will, nämlich Oper zu singen.
Was auch unter den heutigen Umständen eine phänomenal schwierige Karriere ist.
Ich habe Glück gehabt. Ich konnte noch lernen, vor Fehlern keine Angst zu haben, denn bei mir wurde noch nicht jeder Moment aufgenommen und online gestellt. Wenn eine Sängerin, ein Sänger der nächsten Generation einen Fehler macht, findet der sich für immer im Internet. Und deswegen riskieren viele nicht genug, versagen nicht genug – und wachsen nicht genug.
Und verwenden selbst viel Zeit auf ihre Social-Media-Präsenz.
Wenn man singen will, muss man so viel Energie hineinstecken ... Am Ende hat es keine Bedeutung, wie viele Follower man hat. Man muss üben, üben, üben.
Das gilt bei Ihnen wohl derzeit für die „Norma“.
Ja! Endlich habe ich nur Zeit dafür. Das ist eine der schönsten Musiken, die je geschrieben wurden.
Die für Sie emotional aufgeladen ist.
Ich erinnere mich an meine Mutter, im zweiten Akt, mit einem Messer. Es ist jedes einzelne Mal eine unglaubliche Erfahrung, das selbst zu machen. Jeder einzelne Ton. Und zugleich ist es nicht leicht, weil die Emotion in mir brodelt. Es ist besonders.
Man hat den Eindruck, diese extremen Herausforderungen geben Ihnen Energie.
Ja, definitiv. Und Sinn. Ich kann so viele Rollen – und denke mir: Warum nicht noch eine? (lacht). Ich weiß selbst, dass die Zeit kommen wird, wenn ich sagen werde: genug. Ich will mich nur noch ein Mal im Jahr herausfordern, nicht sechs Mal.
Aber Sie haben diese Herausforderungen, hat man den Eindruck, immer bestanden.
Ich habe oft versagt. All diese Triumphe? Ich stehe seit 20 Jahren auf der Bühne. Nicht alles war ein Versagen, aber ich habe oft versagt. Die ersten zehn Jahren waren wirklich hart. Ich habe so viel gearbeitet, viel zu viel. Und nie auf dem Level, an dem man die Dinge ein bisschen ruhiger angehen könnte, nie habe ich so viel verdient, dass ich mir leisten konnte, weniger zu tun – dafür in höherer Qualität. Dafür hatte ich nie die Energie und die Stimme über. Ich habe mich im Kreis gedreht – aber ja, der Kreis ging langsam in einer Spirale nach oben (lacht).
Sie haben einmal gesagt, Sie hätten sich geschämt.
Definitiv!
Wofür?
Vielleicht bin ich ein Mensch des Schuldgefühls. Das wäre eigentlich etwas, das man mit seinem Therapeuten besprechen sollte. Aber das mache ich nicht! Denn wenn ich jemals ein normaler, gesunder Mensch, werde, dann verliere ich vielleicht meine Fähigkeit, die Sachen so zu machen, wie ich sie mache (lacht).
Sorry, das wollte ich mit der Frage nicht riskieren!
Die zwei Gefühle, die mich mein ganzes Leben begleiten, sind Schuld und Scham. Die Tochter zweier so großer Sänger zu sein – und nicht so gut sein zu können wie die? Da schämt man sich, seine Gaben nicht gut genug zu nützen. Ich habe lange gefühlt, dass ich nicht wert bin, dort zu sein, wo ich bin.
Was wird das Nächste, mit dem Sie sich herausfordern?
Es kommt vieles. Das Größte ist wohl – ich singe Carmen, aber da ist noch Zeit. Das würde ich nicht als Herausforderung bezeichnen, sondern als Spiel. Eines Tages wird die Isolde kommen, etwas ganz anderes. Und „A Diva Is Born“ geht weiter.
Ihr Popmusikprojekt!
Ja. Ich habe angefangen, das zu singen, weil ich eine neue Technik üben wollte. Und dann hat es mir wirklich Freude gemacht. Es ist etwas Neues, das ich lernen will – und das mein Leben noch voller macht (lacht).
Kommentare