Neues Buch von Helge Timmerberg: Eingeraucht durchs Leben
Die Nachbarn in Deutschland sind uns beim Kiffen einen Zug voraus: Zumindest stehen sie kurz davor, den Cannabiskonsum zu entkriminalisieren. Hierzulande sind wir davon aber noch mindestens eine Joint-Länge entfernt. Zu heikel, zu polarisierend das Thema. Denn was für die einen das Normalste der Welt ist, ist für andere pures Teufelszeug. Einer, der viel über diese Droge weiß, weil er sie seit 50 Jahren täglich konsumiert, ist Helge Timmerberg. Der viel gereiste Autor berichtet in seinem neuen Buch „Joint Adventure“ lustig, herrlich ehrlich und deshalb politisch nicht immer ganz korrekt aus dem Leben eines passionierten Kiffers. Er schreibt darin über „Cannabis-Hasser“, die „Mutter aller Coffeeshops“, begegnete „barmherzigen Dealern“ und kann sich noch an die Nächte in „Bong-kok“ erinnern.
Im KURIER-Interview erzählt der 71-Jährige aus seinem Kifferleben, räumt mit Klischees auf und hat auch einen Witz parat.
KURIER: Welche Bedeutung hat ein Joint für Sie?
Helge Timmerberg: Welche Bedeutung hat für Sie ein Bier oder ein Glas Wein? Der Joint ist meine Gewohnheitsdroge. Er entspannt mich, er inspiriert mich, er gibt mir ein gutes Bauchgefühl. Ich kann es auch so sagen: Er ist meine Komfortzone. Und das seit 50 Jahren. Aber in der Regel nur am Abend. „Am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund“ ist Blödsinn. Der Tag ist für dem Kampf, der Abend für die Gemütlichkeit.
Können Sie sich noch an den ersten Joint, den ersten Zug Ihres Lebens erinnern?
Im Sommer 1968 in Amsterdam. Es war ein Klassenausflug. Unsere Lehrer hatten Tulpenblüte und Rembrandtmuseum auf dem Programm. Stattdessen landete ich im Paradiso, einer ehemaligen Kirche, die zu einem Jugendzentrum umfunktioniert worden war. Das war reiner Zufall. Ich spazierte da einfach nur lang und ging rein. Der Sommer 68 gilt als Geburtsmonat der Hippies, Amsterdam als ihre Metropole auf dem europäischen Kontinent und das Paradiso als das Zentrum im Zentrum. Eine vollere Kirche habe ich nie gesehen. Alle tanzten, alle rauchten Joints. Und Steppenwolf spielte auf: „Born to be wild“. Also rauchte ich auch einen.
In Deutschland soll Cannabiskonsum bald legal sein. Der deutsche Gesundheitsminister Lauterbach gibt öffentlich zu, dass er schon mal gekifft hat. In Österreich ist an eine Legalisierung nicht zu denken und gekifft will in der Spitzenpolitik auch niemand haben. Was läuft in Deutschland anders als in Österreich?
In Deutschland läuft vieles schlechter als in Österreich. Aber nicht alles. Die Grünen und die FDP wollen die Legalisierung von Cannabis seit Langem, bei der SPD waren es die Jungsozialistinnen, die Druck machten. Und von denen sitzen seit der letzten Wahl mehr im Bundestag als je zuvor. Auch der „Springer“-Verlag ist umgeschwenkt: Die Bild-Zeitung ist jetzt pro legalisieren. Stellen Sie sich vor, die Kronen Zeitung würde das Ende der Cannabis-Prohibition befürworten. Unvorstellbar? Ja. Aber bei Springer war es das lange Zeit auch und selbst in Österreich stimmt die konfuzianische Weisheit, dass alles Leben Wandel ist. Ich las neulich von einer Umfrage, bei der herauskam, dass bereits jeder dritte Österreicher Cannabis probiert hat. Es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen.
Wie oft hatten Sie wegen Cannabiskonsum schon Probleme mit der Polizei?
Jessas! Nein. Ich bin doch kein Dealer. Ich lass mir nur von Alkoholkonsumenten nicht das Kiffen verbieten. Das sehe ich einfach nicht ein. Probleme mit der Polizei gab’s natürlich schon, aber nur zweimal. In Hamburg werden 5 Gramm als Eigenkonsum Menge toleriert, aber sie fanden 0,6 Gramm mehr bei mir und das hat mich tatsächlich vor den Richter gebracht. Ein Richter, der richtig sauer wurde: „5,6 Gramm Haschisch“, rief er aufgebracht in den Saal. „Wer um Gottes Willen hat das zur Verhandlung gebracht?“ Er stellte das Verfahren sofort ein. Auf Kuba fand die Polizei auch mal ein bisschen Marihuana bei mir. Aber ich hatte fünf Jahre zuvor für die Bunte Fidel Castro interviewt und trug die Einladungskarte zu ihm in den Palacio de Revolution für den Fall aller Fälle immer bei mir. Und als ich sie den kubanischen Polizisten zeigte, war das Cannabis kein Problem mehr.
Wo war es bislang am schwierigsten, am gefährlichsten, gar unmöglich, Cannabis zu besorgen?
Ganz klar in Nordkorea. Ich war für die Bild am Sonntag dort und ich habe nicht einmal danach gefragt. Ja, nicht einmal daran gedacht zu fragen. Wer Cannabis erfolgreich bekämpfen will, braucht sich nur mal in Nordkorea umzusehen. Dann weiß er, wie man es macht.
Sie kiffen seit rund einem halben Jahrhundert. Wie hat sich das auf Ihr Leben, auf Ihre Gesundheit ausgewirkt?
Cannabis ist die älteste Heilpflanze der Welt. Kein Schmäh. Die alten Chinesen, Ägypter und Inder nutzten es zur Heilung oder Linderung zahlreicher Gebrechen, darüber gibt es belastbare Dokumente, die Ärzte Arabiens und Persiens taten das ebenso und die Kreuzritter des Mittelalters haben es nach Europa gebracht. Die größte Heilkundige der katholischen Kirche, Hildegard von Bingen, baute Marihuana im Klostergarten an. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in den europäischen Apotheken über 100 Medikamente mit Cannabis und 50 Prozent aller Schmerzmittel in den USA enthielten es. Mittlerweile weiß man auch, das Cannabis bei Krebserkrankungen hilfreich wirkt, auch bei Corona. Das Klinikum Klagenfurt veröffentlichte dazu eine Studie. Und was mich angeht: Ich war und bin eher selten krank und was Schweres habe ich mir ausschließlich auf Reisen eingefangen. Malaria und solche Sachen. Aber alles in allem, waren die über 300.000 Euro, die ich bisher in meine Krankenversicherung eingezahlt habe, für die Katz.
Wie wirkt sich die Sucht, also das Kiffen auf Ihren Alltag aus?
Sucht ist in meinem Fall das falsche Wort. Wäre es das Richtige, müsste jeder rechtschaffene Alkoholkonsument, der täglich zwei, drei Bier zu sich nimmt, sich eingestehen, dass er süchtig ist. Und Kiffen und Sucht ist auch nicht dasselbe. Kiffer sind Leute, deren Gewohnheitsdroge nicht Alkohol, sondern Cannabis ist. Und was meinen Alltag damit angeht: Der verläuft relativ normal. Sie würden es nicht bemerken, wenn ich bekifft bin.
Wie wirkt sich das Kiffen auf das Schreiben aus?
Ich schreibe kreativer. Aber auch langsamer. Und je langsamer ich schreibe, desto schneller liest es sich.
Welche Klischees über Kiffer stimmen, welche sind falsch?
Natürlich gibt es auch antriebslose Kiffer. Aber es gibt auch antriebslose Pfefferminz Tee Konsumenten und faule Beamte. Ein Klischee, das allerdings stimmt, erkläre ich immer gern mit einem Witz. Ein Kokser, ein LSD-Freak und ein Kiffer planen den Ausbruch aus dem Gefängnis. Der Kokser sagt: ,Wir gehen durch die Wand’. Der LSD-Freak sagt: ,Nee, nee, wir fliegen oben drüber’. Und der Kiffer sagt: ,Durch die Wand gehen? Oben drüber fliegen? Super Ideen! Aber lass uns das morgen machen, oder.’ Die Kiffer-Verschieberitis hat mit dem Umschalten vom Sympathikus in den Para-Sympathikus zu tun. Beide sitzen im zentralen Nervensystem. Der Sympathikus steuert die Aktivphasen des Menschen, der Parasympathikus die Phasen, in denen er Erholung braucht und seine Kräfte regeneriert. Hätten wir es nur mit dem Sympathikus zu tun, würde er uns irgendwann in den Burnout führen. Und nur Parasympathikus würde bedeuten, wir kämen aus dem chillen nicht mehr heraus. Das muss man wissen, wenn es um die Wurst geht. Denn wenn du bekifft bist, willst du keinen Stress. Darum gehe ich zu Beziehungsgesprächen, Honorarverhandlungen und Lesungen grundsätzlich nüchtern.
Es wird immer wieder erwähnt, dass Cannabis nur der Anfang, also eine Einstiegsdroge sei. Wenn das so ist, müssten Sie eigentlich längst andere Drogen nehmen. Nehmen Sie?
Zwischen meinem ersten Joint und meiner ersten Line Kokain lagen satte 25 Jahre. Und ich blieb nicht lange dabei, weil mir die Wirkung von Kokain nicht gefiel. Gier, Größenwahn, mega unsoziales Verhalten, Heuchelei, Zynismus – was soll ich damit? Opium habe ich in den 50 Jahren vielleicht vier oder fünfmal konsumiert, aber mir fehlte das Persönlichkeitsprofil, um daran hängen zu bleiben. Ich hatte immer Lust am Vorwärtskommen und wenn ich dabei auf die Nase fiel, hatte ich Lust am wieder Aufstehen. Für eine Opiumsucht aber braucht es die Lust am Liegenbleiben. Und Cannabis die Einstiegsdroge für Alkohol zu nennen, ist natürlich auch Blödsinn. In meinem Fall und auch ganz allgemein stimmt dagegen: Die Einstiegsdroge für Kokain ist Alkohol, die Einstiegsdroge für Opium die übergroße Sehnsucht nach Geborgenheit und die Einstiegsdroge für die extrem süchtig machenden Benzodiazepine (kurz: Benzos, Anm.) und Opioide der Pharmaindustrie ist der Onkel Doktor, der mir mal bei einem Bandscheibenvorfall einen quasi wie Opium wirkenden Muskelrelaxans mit den Worten verschrieb: ,Eine davon am Abend, plus ein Glas Rotwein und Bob Dylan – und du bist im Himmel’.
Was machen Sie, wenn es mal nichts zum Kiffen gibt?
Dann freue ich mich auf Alkohol. Wenn man so selten trinkt, wie ich, macht ein Kuba Libre richtig Spaß. Das Problem ist dann der nächste Tag. Und manchmal auch noch der übernächste. Vom Kiffen hatte ich noch nie einen Kater.
Kommt bei Ihnen auch CBD in den Joint? Und was ist der Vorteil bzw. Nachtteil gegenüber einen „richtigen“ Joint, also mit THC.
CBD entspannt nur, es ist nicht psychoaktiv. Das ist für die einen ein Vorteil, für die anderen ein Nachteil.
Sind Sie, wie man Langzeitkiffern gerne unterstellt, extrem langsam bzw. antriebslos?
Ich bin ein Vielschreiber. In den 80er und 90er Jahren zählte ich zu den fleißigsten Reportern Deutschlands, seit 2004 schreibe ich Bücher. Das 17. Ist gerade auf dem Markt. Und ich reise noch immer wie bescheuert. Für „Joint Adventure“ war ich in Malta, Rüdesheim am Rhein, Amsterdam, Mallorca, Thailand und Kalifornien. Für mein kommendes 18. Buch fuhr ich diesen Sommer mit dem Benz von St. Gallen nach Marrakesch und zurück. 7000 Kilometer insgesamt. Außerdem mache ich im Schnitt 30 bis 40 Lesungen pro Jahr und reise dafür kreuz und quer durch Deutschland. Das sind Ochsentouren. Ich sag das nicht, um anzugeben, sondern als Antwort auf Ihre Frage. Und um noch ein paar andere „antriebslose“ Kiffer zu benennen: Hermann Hesse, Louis Armstrong, Madonna, Oliver Stone, George Clooney, Lady Gaga, Jennifer Aniston, Hugh Hefner, Woody Harrelson, Woody Goldberg, Morgan Freeman, Richard Branson, Cameron Diaz, Brad Pitt, Matt Damon, John Lennon, Robert Mitchum, Mick Jagger, Harrison Ford , Rihanna, Jim Morrison, Justin Bieber , Mike Tyson…Und Arnold Schwarzenegger sagte einmal: “Marihuana ist keine Droge, sondern ein Blatt.“
Wie ist das Kifferleben? Was macht es aus, wo liegen die Vorteile, wo die Nachteile, wo die Fallen?
Im krassen Gegensatz zu Alkohol sensibilisiert Cannabis. Alle Sinne. Man hört, sieht, schmeckt und fühlt intensiver. Das ist natürlich nur bei angenehmen Eindrücken von Vorteil. Wird es hässlich , grob, laut und bedrohlich, hört der Spaß komplett auf. Das macht Kiffer vorsichtiger als Alkoholkonsumenten. Und, wie Oscar Wilde schon sagte: „Vorsicht ist das, was wir bei anderen Feigheit nennen“. Außerdem sensibilisiert Cannabis auch für unsere Innenwelten. Sitzen dort Ängste und Konflikte, nehmen wir auch die stärker wahr. Das ist dann eher unangenehm. Menschen, die von Haus aus hochsensibel, unsicher und ängstlich sind, kiffen deshalb nicht und das wird sich auch nicht ändern, wenn es legal geworden ist. Sie probieren es vielleicht mal, aber hören schnell wieder auf damit. Wirklich gefährlich ist Cannabis nur für Menschen, in denen versteckte Psychosen lauern. Die können beim Kiffen ausbrechen und ihr Leben ist für viele, viele Jahre versaut. Das betrifft maximal ein Prozent der Konsumenten.
Autor: Helge Timmerberg, geboren 1952 im hessischen Dorfitter, ist Journalist und schreibt Reisereportagen aus aller Welt. Er veröffentlicht u. a. in der „Süddeutschen Zeitung“, „Die Zeit“, im „Stern“, "Spiegel" und "Playboy". Er schrieb unter anderem die Bücher „Tiger fressen keine Yogis“, „In 80 Tagen um die Welt“, „Die rote Olivetti“. „Joint Adventure“ heißt sein neues Buch – es ist eine Reise in die Welt des Cannabis.
Lesung: Helge Timmerberg wird an zwei Tagen im Wiener Café Siebenstern (Siebensterngasse 31, 1070) aus „Joint Adventure“ lesen – am 11. Oktober und am 7. November (jeweils ab 19 Uhr).
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