Am Boden unter dem Baum ist ein Kreuz markiert – hier soll man sich hinstellen, um das perfekte Bild für den Instagram-Account zu bekommen. Umgeben ist man dabei von einer gehäkelten „Transgender-Pride“-Flagge, Fake-Brüsten aus Plüsch und anderen Requisiten der Geschlechteridentität, ausgeführt in Materialien, die den Tastsinn stark ansprechen: Die Künstlerin Nilbar Güreş ist bekannt für solche Dinge.
Ihre ausladende Installation, die nun im obersten Geschoß des Wiener mumok Blicke auf sich zieht, wird als „Baum der Erkenntnis“ bezeichnet, wirkt aber doch wie eine Karikatur jener Identitätsdebatten, die seit einiger Zeit einen Teil der Bevölkerung aufregen, einen anderen Teil schon ein bisschen langweilen – und einen recht großen Teil gar nicht erst berühren.
Man fragt sich, auf welchen Abschnitt des Spektrums die Schau „Mixed Up With Others Before We Even Begin“ (bis 10. April) abzielt: Für die Avantgarde der gesellschaftspolitischen Wachheit werden Diskurs-Stationen zu routiniert abgelaufen. Für jene, die erst lernen, das für jene Wachheit einst gebräuchliche, heute nur noch abwertend gebrauchte Vokabel „woke“ zu buchstabieren, sind die Wendungen des Parcours wohl zu steil.
Sammlung ohne Auftrag
Angelegt ist „Mixed Up With Others...“ eigentlich als Präsentation der mumok-Sammlung: Die Idee, Objekte des Hauses mit der Arbeit aktueller Künstlerinnen und Künstler zu konfrontieren, hat unter Direktorin Karola Kraus schon Tradition und zeitigte schon viele anregende Ergebnisse, auch die derzeitige Hauptausstellung „Das Tier in dir“ zählt dazu.
In der vom Kurator Franz Thalmair verantworteten Schau, die zwei weitere Ebenen des Hauses einnimmt, kommt der Sammlung aber keine klare Funktion zu. Dass Heroen der Moderne wie Constantin Brancuşi oder Hans Arp sich afrikanischer Formen bedienten – und dass Künstlerinnen der Herkunftsländer sich diese heute mit neuem Selbstbewusstsein wieder aneignen – ist eine mittlerweile vielfach erzählte Geschichte.
In der mumok-Schau ist es die aus Uganda stammende Künstlerin und LGBTQ-Aktivistin Leilah Babirye, die diese Story durchexerzieren darf – ihre ausdrucksstarken Keramiken und Skulpturen könnten aber auch ohne das Gerüst der Moderne-Abrechnung für sich stehen. Dasselbe gilt für die Hybride aus Knochen und Maschinenteilen, die Nicolás Lamas wie naturwissenschaftliche Exponate ausstellt.
Babirye, Güreş und Lamas sind drei der insgesamt sechs Positionen, die Thalmair bemüht, um gegen das Reinheitspostulat anzurennen, das sich in der Moderne in weiß gekalkten Kunsträumen manifestierte.
Theoretisch verwurzelt er die Idee im Buch „Der Pilz am Ende der Welt“ der Anthropologin Anna L. Tsing, die das Magazin Art Review als zweitwichtigste Akteurin der Kunstwelt im Jahr 2021 bezeichnete (nach NFTs): Der Titel „Mixed Up With Others Before We Even Begin“ ist ihrem Buch entnommen und soll sagen, dass das Vermischte, Uneinheitliche und nicht das Reine eigentlich der Normalzustand sei.
Die Kunst wird in dieser Thesenschau allerdings zur Requisite – ihr wird Bedeutung zugeschrieben, ohne dass sie diese entfalten könnte. Der Balanceakt zwischen Intellekt und Ästhetik ist dieses Mal nicht gelungen.
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