Nestroyhof: Ein Attentat, „100 Songs“ und die Dinge des Lebens

Das Theater Nestroyhof Hamakom erinnert schon jetzt an den 2. November 2020, als ein Mann rund um die Ruprechtskirche ein Massaker anrichtete. Mit einem poetischen Stück von Roland Schimmelpfennig aus 2018, das einen Terroranschlag in Worte zu fassen versucht.
Die Explosionen im Madrider Bahnhof Atocha am 3. März 2004 zwischen 7:32 und 7:42 Uhr werden in „100 Songs“ zwar nicht angesprochen, die Situation aber ist eine vergleichbare: Um 8:55, kurz nach dem Schrillen Trillerpfeife, als gerade „Bette Davies Eyes“ im Radio läuft, fällt Sally, der Kellnerin im Bahnhofscafé, eine Tasse aus der Hand – „und die Welt geht in Flammen auf“.
Eine Gruppe von Menschen, in der ungemein präzisen Inszenierung von Nestroyhof-Leiterin Ingrid Lang zwei Frauen und sechs Männer, versucht in vielen Anläufen, die Ereignisse in den vier Minuten davor zu rekonstruieren. „Sie stehen in Blut, aber das wissen sie nicht“, heißt es in der Szenenanweisung. Das Publikum weiß es auch nicht. Im Hintergrund deutet Bühnenbildner Vincent Mesnaritsch aber einen Eisenbahnwaggon an: Die Mauer hat einen gewaltigen Riss, ein Teil ist umgestürzt.
Mit der Zeit wird die Spielfläche zum Schlachtfeld. Und viele Songs werden zitiert – von „The Passenger“ über „Road to Nowhere“ bis zu „Don’t Dream it’s Over“. Immer wieder hört man das Zersplittern der Tasse. Doch fällt sie überhaupt zu Boden? Schimmelpfennig gelingt eine Balance zwischen Tragik und heiteren Momenten. Gleiches gilt für die Inszenierung.
PS. Das Programmheft ist ausgezeichnet zusammengestellt!
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