Die Geschichte von My Ullmann, die das Museum für Angewandte Kunst (MAK) bis 1. September in einer Ausstellung und einem parallel dazu erschienenen Buch erzählt, lässt es zu, diese Wege der Moderne genau unter die Lupe zu nehmen. Ullmann wird der Strömung des „Wiener Kinetismus“ zugerechnet, die sich in den 1920er Jahren an der Wiener Kunstgewerbeschule – der Vorgängerinstitution der „Angewandten“ – unter dem Professor Franz Čižek entwickelte.
Freier Ausdruck
Weniger auf die Hochkunst als auf eine reformorientierte Kunstpädagogik fokussiert, förderte Čižek den freien Ausdruck von Kindern und Jugendlichen; zudem bot er einen Kurs für „Ornamentale Formenlehre“ an, den die 1905 in ein kunstsinniges Wiener Elternhaus geborene Maria Ullmann im Alter von 16 Jahren belegte.
Die Zerlegung von Formen, die Auffächerung in Bewegungsbestandteile, der Versuch der Darstellung von Tanz und Rhythmus zeichnet den „Wiener Kinetismus“ aus, der sich zwar Anregungen aus vergleichbaren Avantgardebewegungen wie dem Futurismus holte, diese aber nicht mit der gleichen Ellbogen-Dominanz durchsetzte.
Katholische Bewegung
In der MAK-Schau wird besonders offenkundig, dass Ullmann – ganz anders als Kolleginnen wie die zuletzt breit wiederentdeckte Erika Giovanna Klien – danach trachtete, die neue Formensprache auch auf traditionelle katholische Motive zu übertragen: Die auf Papier gemalte Darstellung der „Evangelisten“ und das vierteilige Bild „Apokalypse“ sind in der Schau die wohl eindrucksvollsten Beispiele für sakrale Werke der Künstlerin, die sich auch in der katholischen Jugendbewegung engagierte.
Dennoch dürfte Ullmann, die ihre Bilder bald mit „My“ statt „Maria“ signierte, kein braves Mädchen gewesen sein – ihre „aufmüpfige und renitente Art“, steht im Katalog zu lesen, habe ihre Lehrer 1925 veranlasst, ihr die Fortsetzung des Studiums zu verweigern. Ullmann machte als freischaffende Künstlerin weiter und übersiedelte bald in die Schweiz, wo sie für die „Geistlichen Spiele Luzern“ Bühnenbilder, Kostüme und Drucksorten entwarf. Auch andere Auftraggeber lernten sie bald als Werbe- und Gebrauchsgrafikerin zu schätzen.
Nicht nur ein Lichtstrahl
Wie die Aufarbeitung des Werks zeigt, war Ullmanns Werk aber kein ungebrochener Lichtstrahl ästhetischer Fortschrittlichkeit. Nach der Machtübernahme der Nazis wusste sie sich durchaus zu arrangieren, sie signierte wieder als „Maria“ statt als „My“ und lieferte gefällige Entwürfe ab – unter anderem für die Olympischen Spiele in Berlin 1936 und für die Wiener Festwochen, die nach dem „Anschluss“ Österreichs vom 4. bis 19. Juni 1938 stattfanden (akzeptiert wurde das Bild allerdings nicht).
Die rund um die MAK-Schau geleistete Aufarbeitung zeigt somit keine Künstlerinnen-Heldengeschichte, sondern weist eher darauf hin, wie eine kreative Person nicht nur formt, sondern auch durch die Umstände der Zeit geformt wird – zumal dann, wenn sie auf Aufträge angewiesen ist.
Ullmann sollte während des Zweiten Weltkriegs zwischenzeitlich auch Möbel designen, nach 1946 gestalte sie etwa das Lokal im „Royal Navy Headquarter“ der britischen Armee in Lübeck, schuf Wandbilder und Reliefs für Schulgebäude und Krankenhäuser in Deutschland.
Der „Wiener Kinetismus“ lugte da an manchen Orten wieder hervor und bahnte sich seinen Weg, etwa im Verwaltungsgebäude der „Vereinigten Industrie“ in Bonn: Die Avantgarde war zur Nachkriegsmoderne geworden, weniger aufregend als früher vielleicht, aber doch ein Spiegel eines neuartigen Lebensgefühls.
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