Musikkabarett: Aliosha Biz, der Fiddler ohne Ruf
Das Weltgeschehen kommt ihm ständig in die Quere. Erst die Pandemie. Die konnte man zur Not noch sinnvoll nutzen. Zwar gab’s keine Bühnenauftritte für den Musiker Aliosha Biz, aber der Kabarettist Aliosha Biz konnte endlich sein Programm schreiben. Zeit war’s. „Meine Freunde haben schon lang gesagt, dass ich mich zwischen den Musikstücken auf der Bühne immer so aufführe.“
Kaum, dass das Programm da war, die Premiere ausverkauft und die ersten Kritiker begeistert – da überfiel Russland die Ukraine und vorbei war’s mit den Russland-bezogenen Bühnenschmähs, die bis dahin gut die Hälfte des Programms ausmachten. Schließlich ist Biz in Russland geboren. Sein stärkstes Kleinkunstverkaufsargument war, neben der Musik, der russisch-jüdische Humor – sein erstes Programm als Kabarett-Geiger nannte Biz „Fiddler ohne Ruf“.
Nach dem 24. Februar 2022, dem Tag der Invasion russischer Truppen in die Ukraine, war alles anders. „Plötzlich war mein Kabarett Stoff für Tragödien.“ Ein Programm mit dem Untertitel „russisch-jüdisches Musikkabarett“ wollte nun niemand mehr sehen. „Als der Krieg begann, stand ich mit der Musikkabarett-Band Russian Gentlemen Club mit dem Schauspieler Cornelius Obonya auf der Bühne. Als humoristisches Thema war ursprünglich die Frage ,Russland ohne Wodka’ geplant. Wir mussten dann über Nacht alles neu denken und sind, bevor der erste Ton gespielt wurde, vor das Publikum getreten und haben eine Erklärung zum Krieg abgegeben. Ich lebe seit 35 Jahren in Österreich, ich hätte mich nicht distanzieren müssen, aber meine Überzeugung ist: Kunst ist nie apolitisch. Ich hatte das Gefühl, ich musste etwas dazu sagen. “
Nur ein Geigenkoffer
Aliosha Biz, 1970 in Moskau geboren, stammt aus einer Moskauer Künstlerfamilie mit Wiener Wurzeln. (Die Großmutter musste als Jüdin 1938 vor den Nazis flüchten.) Er hat außerdem, wie viele im europäischen Teil der UdSSR geborene Juden, Wurzeln in der Ukraine. Biz studierte in Moskau Violine am Tschaikovskij-Konservatorium und kam 1989 nach Wien – mit nichts als seinem Geigenkoffer. „Wie jeder kleine Russe wollte ich eigentlich nach Amerika.“ Es kam anders. Der 19-Jährige fand seinen Weg nicht nur auf die Hochschule für Musik und darstellende Kunst, sondern auch auf die Kärntner Straße, wo er sich als Straßenmusiker verdingte, sofort entdeckt wurde und einen Plattenvertrag bekam. „Wer so ein Glück hat, wäre bescheuert, hier wegzugehen.“
Weltmusik Klassisch ausgebildet in seiner Heimatstadt Moskau, kam der 19-jährige Aliosha Biz 1989 nach Wien, wo er auf der Hochschule für Musik und darstellende Kunst studierte und bei einem Konzert in der Kärntner Straße entdeckt wurde. Seither arbeitete er u. a. mit Musikern wie Krzysztof Dobrek (Dobrek Bistro), Alegre Corrêa und Roland Neuwirth
Musikkabarett Als „Fiddler ohne Ruf“ unterhält Biz sein Publikum mit skurrilen Geschichten und erklärt unter anderem, wie man als Osteuropäer Tiroler Dialekt sprechen lernt. Geige spielt er dazu auch noch
Termine Die nächsten Kabarett-Auftritte: 25. Jänner, 2. März und 30. April im Kabarett Niedermair in Wien. Am 1. März in der Tischlerei Melk, NÖ, und am 13. April im Stadttheater Grein, OÖ
Das Leben gerettet
Wien wurde zur Heimat. Klezmer und das, was man „Weltmusik“ nennt, gehörten bald zum Repertoire. Außerdem jede Menge Blödelei – die ihn immer schon gerettet hat. „Ich war schon in der Schule der Kleinste, der einzige Jude und trug außerdem eine Brille. Um nicht verprügelt zu werden, musste ich Komiker werden. Das ist aufgegangen. Nicht nur, dass ich nicht verprügelt wurde. Als Klassenkasperl hab ich bald auch die weiblichen Blicke auf mich gezogen.“
Der Schmähtandler
Nicht zuletzt deshalb ist er Kasperl geblieben. Einer, der Spaß auf der Bühne hat und macht. „Zuerst war ich ein langweiliger Geigenstudent – im Klassikbereich ist der Spaß enden wollend. Als ich dann bei einer Rembetiko-Band eingestiegen bin, hab ich erlebt, dass man zwischen den Liedern auch Blödsinn ins Mikrofon reden durfte. Da hab ich mit den Schmähs auf der Bühne angefangen.“
Damals traf der angehende Schmähtandler die Schauspielerin Sandra Kreisler, die ihn mit der Musik ihres Vaters Georg Kreisler und dessen legendären, ätzenden Wienerliedern wie „Taubenvergiften“ bekannt machte. „Ich dachte: Wahnsinn, was in dieser Sprache, die ich gerade erst erlernte, alles möglich ist! Das war ein Wendepunkt für mich.“ Es folgten Lehrjahre in der „Brutstätte des musikalisch-künstlerischen Wahnsinns“, der Broadway-Bar am Bauernmarkt. „Verrückt, was dort alles an künstlerischen Ideen entstand.“ Jahrzehnte voll kreativem Multitasking aus Weltmusik und Theater führten schließlich zum Musikkabarett. Das durch die Weltpolitik ins Stocken kam.
Erst der Ukraine-Krieg, dann der Angriff auf Israel. „Mein Vater lebt in Tel Aviv. Schon deshalb bin ich sehr betroffen. Aber ich bin zugleich sehr kosmopolitisch und arbeite viel mit arabischen Musikern. Dieser Konflikt hat viele wichtige Zusammenarbeiten zwischen jüdischen und arabischen Musikern jäh beendet. Niemand traut sich mehr. Immer wieder werden Auftritte abgesagt. Keiner will Ärger.“ Wie es weitergeht? Die Zeiten sind schwierig. Aber der Schmäh geht dem russisch-jüdischen Musikkabarettisten trotz allem nicht aus. „Ich bin ja auch Niederösterreicher. Darüber kann man genug blöde Witze erzählen.“