"Nacht in Venedig" an der Volksoper: "Ja, wir bringen Politik ins Stück"

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Zum 200. Geburtstag von Johann Strauss zeigt die Volksoper heute „Eine Nacht in Venedig“. Regisseurin Nina Spijkers über Superhelden, die Sehnsucht nach Eskapismus und das Stück, das strahlen soll.

Am heutigen Samstag wird es nun begangen, das 200-Jahr-Jubiläum zu Johann Strauss’ Geburt. Die Wiener Symphoniker und die Wiener Philharmoniker spielen Festkonzerte, die Volksoper zeigt die Operette „Eine Nacht in Venedig“

Regie führt Nina Spijkers, die an der Volksoper bereits „Die lustigen Weiber von Windsor“ inszenierte.

KURIER: Wenn man heute eine Nacht in Venedig verbringt, ist das eine ganz andere Erfahrung als zu Strauss' Zeiten. Es ist kompliziert, teuer – ein Paradebeispiel für Übertourismus. Berücksichtigen Sie das in Ihrer Inszenierung?

Nina Spijkers: Ja, auf gewisse Weise schon. Wir laden das Publikum dazu ein, sich sein eigenes Venedig zu erschaffen – nicht das reale, das heute ziemlich enttäuschend sein kann. Unser Bühnenbild ist wie ein weißes Architektur-Pop-up-Buch, das die Fantasie anregt. Wer will, kann sich das überfüllte Touristen-Venedig vorstellen. Für mich persönlich – ich war noch nie in Venedig – ist es eine utopische Stadt, die nur in Büchern und Filmen existiert.

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Also eine Fantasie-Venedig für das Publikum, wie damals – in den 1880ern waren ja die Wenigsten tatsächlich in Venedig gewesen.

Genau. Aber es gab damals eine regelrechte Obsession mit Venedig. Ganze Plätze in Wien wurden der Stadt nachempfunden.

Auch die Operette als Genre hat etwas von einer Fantasie. Viele haben ein sehr klares, durchaus auch innovationsresistentes Bild davon, wie eine Operette auf der Bühne aussehen soll.

Ja, kein Druck! (lacht) Aber genau das mag ich an der Operette. Es gibt kein anderes Genre mit so viel Spielraum. Weil manche Werke problematisch sind – sexistisch, rassistisch oder einfach nicht mehr lustig –, fordert es das Kreativteam geradezu heraus, Entscheidungen zu treffen. Wenn man das nicht tut, wird es langweilig und altmodisch. Ich finde, man muss die Operette in eine andere Zeit holen – nicht unbedingt ins Jahr 2025, aber man muss sich klar positionieren.

Welche Entscheidungen haben Sie getroffen?

Ich wollte, dass es wirklich lustig ist. Und zwar eine Mischung aus dem Humor des 19. Jahrhundert und dem von heute. Weil das Stück so beliebt und bekannt ist, wollte ich es nicht für meine persönliche Agenda benutzen. Ich wollte, dass es das sein darf, was es sein will – aber eben nicht unlustig, sexistisch oder rassistisch. Also haben wir einen neuen Text geschrieben, mit hoffentlich zeitlosen Witzen, die auch in zehn Jahren noch funktionieren. Wobei ich nicht behaupten will, dass es die Inszenierung dann noch spielt! (lacht) Kostümtechnisch starten wir im Rokoko – also genau das Venedig, das sich viele wünschen. Und dann, zur Karnevalszeit, wechseln alle in moderne Kostüme: Superhelden, Barbie, Marilyn Monroe …

... Donald Trump?

Ja! Und Greta Thunberg, Frida Kahlo … eine Mischung aus historischen und aktuellen Figuren. So wie wir heute Karneval feiern. Das zeigt, dass Eskapismus zeitlos ist – und ich finde, gesunder Eskapismus ist eine sehr gute Reaktion auf die Weltlage.

Eskapismus scheint die Emotion der Stunde zu sein. Jeder versucht, irgendwie dem allen zu entkommen.

Es ist eine schwierige Zeit – politisch, mit vielen Kriegen und viel Leid. Und weil wir heute so gut informiert sind, spüren wir das alles viel stärker. Viele fühlen sich machtlos. Für mich ist Freude ein aktiver Widerstand gegen Unterdrückung. Freude zu verbreiten ist für mich ein Akt des Aktivismus. Sie schafft Gemeinschaft, Resilienz und Energie für Veränderung.

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Das Stück selbst handelt ja von jemandem, der eine Affäre haben will. Man denkt sich: Naja, braucht man das so heute noch?

Kommt drauf an. In unserer Version ist es Barbara, die eine Affäre will. Sie ist mit einem Mann verheiratet, der etwas jünger ist, und verliebt sich in einen, der noch viel jünger ist. Ich finde es spannend, solche Figuren zu nutzen, um neue Geschlechterkonstellationen zu zeigen. Eine Frau mittleren Alters wird hier sexualisiert – das sieht man selten auf der Bühne. Normalerweise wird Frauen in diesem Alter die Sexualität gestohlen. Und auch andere Figuren haben wir neu gedacht: Der berühmte Frauenheld Guido, Herzog von Urbino, ist bei uns extrem nervös, hat Angst vor Frauen und ist ehrlich in Barbara verliebt. Solche Entscheidungen brechen mit den Klischees und bringen Überraschungen – und eine subversive Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen.

Bei Operette gilt: Man lacht, aber gleichzeitig gibt es da eine gewisse Ernsthaftigkeit, manchmal sogar tragische Untertöne. Ist das auch hier der Fall?

Vielleicht ein bisschen. Ich nehme jede Figur ernst. Die Liebe zwischen Annina und Caramello zum Beispiel ist für mich echt. Sie verlieren sich und finden sich wieder an diesem Abend. Das hat durchaus Tiefe. Aber ich würde nicht sagen, dass das Stück eine dunkle Grundstimmung hat. Was wir gemacht haben: Wir haben die drei Senatoren – die Politiker – neu gedacht. In den Versionen, die ich kenne, sind das meist ältere, sexistische Männer, die nicht besonders lustig sind. Wir wollten ihnen eine aktuelle Note geben. Sie sind echte Politiker: Es gibt einen linken, der ausstirbt, einen „mittleren“, der eigentlich rechts ist, und einen rechten, der in Wahrheit extrem rechts ist. Die Figur des extrem Rechten basiert bei uns auf Alice Weidel. Also ja, wir bringen Politik ins Stück, aber ohne eine Seite zu vertreten. Das Publikum soll sich selbst ein Bild machen. Es geht hier nicht ums Predigen.

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Es ist die große Neuinszenierung genau zu Strauss’ 200. Geburtstag ...

Schon wieder: No pressure! (lacht) Ich glaube, man kann es nie allen recht machen. Mein Ziel ist, das aufregendste und unterhaltsamste Stück zu machen, das ich jetzt machen kann. Wir erfinden das Rad nicht neu, aber wir lassen das Stück strahlen – mit viel Liebe und Respekt für das, was gut ist. Und was Spaß machen kann, das machen wir.

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