Mit der Disney+-Serie „Sam – Ein Sachse“ erfüllt sich Produzent Tyron Ricketts einen lange verfolgten Wunsch. Er möchte Menschen mit dunkler Hautfarbe in Film und Fernsehen präsenter machen.
Das Leben von Samuel Meffire ist eine Geschichte, die man so aus Deutschland nicht erwartet hätte. Der in der DDR geborene Sohn eines Studenten aus Kamerun wird in Dresden der erste afrodeutsche Polizist Ostdeutschlands, er dient kurz vor ihrer Auflösung in der Volkspolizei. Nach dem Mauerfall, als in Sachsen Asylheime brennen, wird er als Symbol für Diversität herumgereicht, eine eigene Werbekampagne mit seinem Konterfei und dem Schriftzug „Ein Sachse“ wird ausgerollt.
Meffire wird selbst aber kriminell und flieht in den Kongo, dort wird er von mordenden Militärs aufgegriffen. Mithilfe deutscher Behörden schafft er es zurück nach Sachsen. Als Kronzeuge gegen Schwerkriminelle gerät er erneut in Lebensgefahr.
"Markt war noch nicht so weit"
Der Schauspieler und Musiker Tyron Ricketts ist 2001 auf Sam und dessen Geschichte gestoßen. Er war damals gerade als Rapper mit seiner Band Brothers Keepers auf Schultouren in Ostdeutschland. „Wir wollten damals mit dem sehr politischen Song ,Adriano, die letzte Warnung´ die Bundesrepublik darauf aufmerksam machen, dass Deutschland zu dem Zeitpunkt auf dem rechten Auge blind war“, erzählt Ricketts.
„Wir erhielten davor schon Morddrohungen von Nazis, daher brauchten wir Security. Samuel Meffire und seine Crew waren zu unserem Schutz da. Er hat mir seine Geschichte erzählt und ich war so fasziniert von dieser dramatischen, emotionalen Lebensgeschichte, dass ich mir damals schon gedacht habe: Das muss auf jeden Fall auf die Leinwand kommen. Aber der Markt war damals noch nicht so weit.“
Entwickelte "Sam" und spielt mit: Gebürtiger Steirer Tyron Ricketts
Wollte keiner sehen
2006 unternahm er gemeinsam mit Produzent Jörg Winger den ersten Versuch, einen Kinofilm daraus zu machen. „Aber“, so Ricketts, „da hieß es durch die Bank: Ja, spannende Geschichte, aber einen schwarzen Hauptdarsteller will ja keiner sehen. Und so musste das wieder in die Schublade.“
2018, als er nach fünf Jahren USA zurückgekommen ist, gründete Ricketts seine eigene Produktionsfirma. Panthertainment hat das Ziel, Diversität als Normalität in deutschen Fernseh-, Streaming- und Kinoproduktionen zu etablieren. People of Color sollen Teil der Geschichte werden, weg vom reinen Objekt, hin zum Subjekt einer Geschichte.
Aus der Schublade
Das Thema „Sam“ wurde wieder aus der Schublade geholt – mit Winger und seiner Big Window, einer UFA-Tochter, an Bord, und Chris Silber als Head Autor. „Und letztendlich konnten wir Disney+ dafür gewinnen, dass wir das jetzt endlich weltweit streamen können“, sagt Ricketts. Er erklärt den Vorteil bei Streaminganbietern: „Sie haben die Welt als Markt – und weltweit sind eben weiße Menschen eher in der Minderheit gegenüber People of Color. Dazu kam die Diskussion um Black Lives Matter und damit ein Verständnis davon, dass es davor auf breiter Ebene einen eurozentrischen Blickwinkel auf die Welt gab.“
Die Gesellschaft in Deutschland habe „sehr viel dazugelernt“, die Digitalisierung habe sich positiv auf die Repräsentation von People of Colour vor der Kamera ausgewirkt, sagt Ricketts. „Dadurch, dass Kommunikation komplizierter wird, nicht mehr in der Pyramide, sondern eher im Netzwerk stattfindet, verstehen wir zunehmend, dass wir die Narrative einer Gesellschaft diverser gestalten müssen und dass alle Elemente, die eine Gesellschaft ausmachen, Teil dieser Erzählung sein müssen.“
Tyron Ricketts
Der Schauspieler, Musiker und Produzent wurde 1973 als Sohn einer Österreicherin und eines Jamaikaners im steirischen Weiz geboren. Er begann seine Schauspielerkarriere mit „Bunte Hunde“ (1995). Es folgten Rollen in Filmen wie „Kanak Attack“ oder "Knockin' On Heaven's Door". Ende 2012 ging Ricketts für fünf Jahre in die USA und arbeitete mit Harry Belafonte an Diversity-Projekten
Die Serie
„Sam – Ein Sachse“ ist die erste deutschsprachige Disney-Originalserie. Malick Bauer spielt den afrodeutschen DDR-Polizisten Meffire, Tyron Ricketts dessen Mentor und Gangleader Alex, Svenja Jung seine Liebe, Yvonne
Eigene Perspektive
Samuel Meffire lebt heute als Sozialarbeiter, Autor und Familienvater im Rheinland. Für die Serie brachte er seine eigene Perspektive ein. Ricketts sagt: „Er hat sich zuerst schon Gedanken darüber gemacht, ob er das machen möchte. Das ist ja auch ein dunkles Kapitel seiner persönlichen Geschichte.“ Im Schreibprozess hatte Meffire die Möglichkeit, mitzureden: Manchmal habe dieser gesagt: „Das geht gar nicht, weil es zu gefährlich werden könnte. Oder auch: Da könnt ihr noch eine Schippe drauflegen.“
Nun ist Meffire laut Ricketts der Meinung, „dass es uns gelungen ist, bei der psychologischen Wahrheit den Nagel auf den Kopf zu treffen. Und das ist, denke ich, ein Kompliment, mit dem wir sehr gut leben können.“
Ricketts selbst spielt Alex, der Sam in der Serie in seine Security-Gang holt. Inspiriert sei die Figur von einer anderen Person in Meffires Leben. „Dieser Mensch hat ihn zum Kampfsport gebracht und auch versucht, Sams Energie zu kanalisieren. Ich durfte ihn auch mal kennenlernen.“
Heimat und Harry Belafonte
Ricketts, der in Berlin lebt, schaute zuletzt auf einer Europareise auch wieder in seiner Heimat, der Oststeiermark, vorbei. „Mein Herz ist noch immer verbunden“, sagt er.
Am 25. April, einen Tag vor dem Start von „Sam – Ein Sachse“, starb der große Musiker und Menschenrechtsaktivist Harry Belafonte. Mit ihm arbeitete Ricketts in den USA an Diversity-Projekten. Der Tod seines Mentors hat ihn betroffen gemacht. Auf Instagram schrieb Ricketts: „Du hast viele Menschen dazu gebracht, deine Lieder zu singen und die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ruhe in Frieden!“
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