Pflege-Fall im neuen Wiener „Tatort“ – eine Frage der Ehre
Christina Scherrer, Adele Neuhauser, Harald Krassnitzer und ein 3-D-Modell des Pflegeheims.
Harald Sicheritz steht als Regisseur nicht nur hinter Kultkomödien wie „Muttertag“ und „Hinterholz 8“, sondern auch hinter Fernsehreihen wie „Mutig in die neuen Zeiten“ und Krimis. Nach zehnjähriger Pause beim „Tatort“ läuft heute sein sechster Fall, „Der Elektriker“ (siehe Infobox unten).
Regisseur Harald Sicheritz (67): „Harald und Adele gingen mit ihrem Können so selbstlos um, dass sie wirklich ein Team waren.“
KURIER: Der drittletzte „Tatort“ mit Harald Krassnitzer und Adele Neuhauser ist Ihr letzter mit dem Duo. Hat das die Dreharbeiten geprägt?
Harald Sicheritz: Als wir im Oktober 2024 gedreht haben, war das noch nicht so am Horizont. Ich wusste zwar, dass die beiden in einem sehr klugen Schritt schon Anfang des Vorjahres den Sendern gesagt haben, dass sie nur noch so und so viele „Tatorte“ machen wollen, aber das war nicht wirklich Thema. Wahrscheinlich auch deshalb, weil wir in einem Pflegeheim gedreht haben. Da waren einem andere Gedanken näher, speziell wenn man selber älter wird.
Welche Gedanken waren das?
Jeder Mensch über 50 ist irgendwann damit konfrontiert, dass man gebrechlich werden kann und der Kopf nicht mehr so mit will. Das Thema hat einen rätselhaften Tabustatus. Ich kenne sehr kluge Menschen, die völlig durchorganisiert sind, aber kein Testament haben. Es gibt viele solche Rätsel der Menschheit ...
Dieser Wiener "Tatort"-Fall hat es in sich: Danijel Filipovic (Roman Frankl) stirbt in einem Pflegeheim unter seltsamen Umständen. Als ein Pfleger (Michael Edlinger) dem gehbehinderten Mann per Hebelift in die Badewanne hilft, muss er ihn – aufgrund von Personalknappheit – allein lassen. Einer der Pensionisten hat einen Feueralarm ausgelöst. Als der Pfleger zurückkommt, liegt der Alte ertrunken in der Wanne. Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) tun sich zunächst schwer damit, konkrete Motive zu finden. Sie stoßen dann auf triste Umstände. Danijels Tochter (Gabriela Garcia Vargas) steckt in Geldnöten. Ein Fußpfleger (Aleksandar Petrovic) ist vorbestraft und wurde von Danijel mehrfach beleidigt. Haben sie eine gemeinsame Vergangenheit?
Zwei Heimbewohner (Johannes Silberschneider und Elfriede Schüsseleder) pflegen eine zärtliche Beziehung – und auch Eisner trifft auf seine Jugendliebe Sandra (Martina Spitzer).
Einen Cameo-Auftritt als Feuerwehrmann hat Regisseur Sicheritz, der scherzt: „Es ist eine winzige, aber wichtige Szene, das kann man einem Schauspieler schwer zumuten. Ich mach so was immer wieder gern. Nach so vielen Jahren traue ich mir zu, diese drei Sätze zusammenzubekommen.“
Es ist nur eine von mehreren Überraschungen, die der Fall „Der Elektriker“ bietet. Visuell schön gelungen ist die Umsetzung des Verdächtigendiagramms: In einer Art 3-D-Brettspiel schieben Eisner und Fellner die verschiedenen Protagonisten durch aus Karton gestalteten Räume. Ein lustiger Einfall ist, dass dabei symbolhaft kleine Gegenstände zum Einsatz kommen, so auch eine Sojasauce und ein Glückskeks vom Takeaway-Essen.
„Der Elektriker“ spielt fast nur im Pflegeheim. Wie entstand die Idee, ein Modell aus Karton zu bauen, wo kleine Gegenstände hin und her bewegt werden?
Ich fand an dem Buch von Petra Ladinigg und Roland Hablesreiter so gut, dass es ein Kammerspiel ist, was beim „Tatort“ eher selten ist. Ein Pflegeheim ist ein abgeschlossener Mikrokosmos und den wollten wir sichtbar machen. Kameramann Thomas Kürzl und ich wollten nicht die 5000. Wandtafel haben, wo ritualhaft Fotos der Verdächtigen hängen. Wie schon im Drehbuch angedeutet gewesen ist, haben wir das in ein 3-D-Brettspiel verwandelt, durch das kleine Spezialkameras fahren können.
Inhaltlich wird ein weiter Bogen gespannt – von Personalengpässen im Pflegewesen bis zum Jugoslawienkrieg. Es geht um Vergangenheitsbewältigung. Das sollte zwar bei allen Menschen angesagt sein, aber speziell bei älteren Jahrgängen ist das ein Thema. Ich fand reizvoll, dass einerseits, klassischen „Tatort“-Aufgaben entsprechend, ein aktuelles Thema behandelt wird, und es auf der anderen Seite eine kriminalistisch interessante Handlung gibt. Ein Fußpfleger wird zum Bindeglied zwischen Pflegemisere und Vergangenheit. Das können wir schon verraten. (lacht)
Zärtliche Beziehung im Pflegeheim: Johannes Silberschneider, Elfriede Schüsseleder.
Inwieweit haben Sie selbst recherchiert, wie es in Pflegeheimen zugeht?
Wir hatten den Glücksfall, dass das unglaublich tolle Personal eines Heims im 14. Bezirk gesagt hat: ,Wenn Sie uns sagen, wie viel Platz Sie brauchen, verschieben wir die Eröffnung des neuen Traktes um sechs Wochen.‘ Nebenan war ungestörter Betrieb, dadurch konnten wir miterleben, wie es in einem Pflegeheim ist. Bessere Drehbedingungen kann man nicht haben.
"Der 'Tatort' ist eine sehr ehrenhafte Aufgabe"
Nun wurde das neue Duo offiziell vorgestellt. Wie finden Sie die Entscheidung?
Es ging mir gut mit dieser Neuigkeit, weil mir die Entscheidung rundum nachvollziehbar war. Proschat Madani, meine Frau, hat berichtet, dass Miriam Fussenegger bei „Walking on Sunshine“ absolut professionell und gut unterwegs war. Und Laurence Rupp hatte 2014 in meinem „Tatort“ „Paradies“ eine seiner ersten Filmrollen. Der ist super. Es ist ja keine leichte Entscheidung, weil der „Tatort“ schon etwas ist, was einen beruflich institutionalisiert. Aber es ist eine sehr ehrenhafte Aufgabe.
Neues Duo ab 2027: Laurence Rupp, Miriam Fussenegger.
Sie würden in dieser Konstellation gerne weitermachen?
Für mich spricht überhaupt nichts dagegen. Es kommt immer darauf an, was den Fernsehredaktionsstuben einfällt und wie die Bücher sind. Beim „Tatort“ weiß man nie genau, was man kriegt. Es kann etwas sein, das man noch nie gesehen hat, es kann auch sehr lustig sein. Und es gibt welche, wie den Aktuellen, die man sofort großartig findet.
Wie blicken Sie auf die Zeit mit Eisner und Fellner? War es der richtige Zeitpunkt, um adieu zu sagen?
Es ist der absolut Richtige! Die beiden haben modellhaft gezeigt, dass man irgendwann selbst unaufgefordert einen Beschluss fasst und verkündet. Und so verläuft die Übergabe unspektakulär und harmonisch. Die beiden konnten mit ihrem Können so selbstlos umgehen, dass sie wirklich ein Team waren. Wenn man das daran misst, dass niemals wer versucht, sich in den Vordergrund zu spielen, sondern im Gegenteil, den anderen mitnimmt, wohin die Reise auch geht, dann ist es den beiden hervorragend gelungen.
Kommentare