ORF-Sparpläne zum Radiosymphonie-Orchester: Bestürzung in der Musikwelt
Die vorgesehene Umwandlung der GIS-Gebühr in eine ORF-Haushaltsabgabe wird, soviel ist fix, einen Sparauftrag an den Sender mit sich bringen. Ein Posten auf der Sparliste des ORF ist das ORF Radiosymphonie-Orchester (RSO). Auf das wollte der Sender bereits in den Nullerjahren verzichten, sein Betrieb gilt manchen als anachronistische Kür. Die nun mit Sicherheit anschwellende Debatte um das Orchester wird einmal mehr unterstreichen: Auch wenn der ORF das RSO nicht braucht, die Musiknation braucht es schon.
Wichtige Rolle im musikalischen Gesamtbild
Das RSO ging 1969 aus dem Großen Orchester des Österreichischen Rundfunks hervor, nach einigen Umbenennungen ist man schließlich beim heutigen Namen angelangt. Dass Sender Orchester betreiben, war damals selbstverständlich - um etwa die Musik zum Fernsehprogramm einzuspielen. Und, wie etwa jenes des Bayerischen Rundfunks, können diese Orchester zur absoluten Weltspitze zählen.
Das RSO hat darüber hinaus auch einen großen Teil der heimischen Musikgeschichte mit abgebildet, denn es ist neben dem renommierten Klangforum Wien jenes Orchester, das sich besonders der Neuen Musik in großer Besetzung gewidmet hat, zeitgenössischen Komponisten wie dem jüngst verstorbenen Friedrich Cerha also, die die Musiknation prägten.
„Es geht hier wirklich um eine Einstellung“, sagte Angelika Möser, künstlerische Leiterin des RSO der APA und stellte zugleich klar: „Es ist noch keine Entscheidung gefallen.“ Bis zum 23. März, der Zusammenkunft des ORF-Stiftungsrates, wolle sie nun um den Fortbestand kämpfen.
„Ich fände es grundfalsch, wenn das Orchester eingestellt würde“, unterstrich Möser im APA-Gespräch. In Europa habe praktisch jedes Land zumindest ein Radio-Symphonieorchester. „Wenn man im Musikland Österreich meint, auf das ORF Radio-Symphonieorchester verzichten zu können, dann wäre das ein fatales Signal für die gesamte europäische Musiklandschaft.“
Sie sehe nun vor allem das Kunst- und Kulturministerium gefordert, sich klar zu einem Fortbestand des RSO zu bekennen. „Die Regierung hat das Heft des Handelns hier in der Hand“, machte die RSO-Leiterin deutlich.
In diesem Metier steht das RSO auf internationalem Niveau, die Chefdirigentin Marin Alsop (die erste Frau an der Spitze des Orchesters trat ihr Amt 2019 an, ihr Vertrag läuft bis 2025) ist hier ausgewiesene Spezialistin.
Von jener Breitenwirkung, auf die der ORF zuletzt stark gesetzt hat, ist das Orchester aber natürlich weit entfernt. Das RSO erfüllt aber einen Kulturauftrag, der sonst auch in der Orchesterlandschaft größtenteils brach liegen würde. Die Wiener Philharmoniker interessieren sich begrenzt für Neue Musik, die Wiener Symphoniker auch nicht flächendeckend.
Pullfaktor
Mit diesen beiden Orchestern plus jenem der Volksoper zusammen bildet das RSO aber auch noch etwas anderes: Einen musikalischen Pull-Faktor für Wien und damit für Österreich. Wiener Philharmoniker, Symphoniker und das RSO bestreiten viele Konzerte des heimischen Musiklebens im Musikverein und im Konzerthaus. Das RSO ist hier wohl das niederschwelligste Orchester.
Das Image als Musikstadt ist ein millionenschwerer Imagefaktor, der u. a. viele Touristen in die Stadt lockt. Sollte nun eines der großen Orchester weggespart werden, droht hier eine Einbuße auch an jenen Talenten, die dieses Image aufrechterhalten. Denn wenn es rund 100 Jobs weniger für Orchestermusiker gibt, verliert die Branche an Strahlkraft - und zumindest mittelfristig an Renommee.
Riesendebatte in den 2000er-Jahren
Schon vor rund 15 Jahren sah sich das Orchester einer großen Spardebatte gegenüber. Damals lief die Kulturwelt und insbesondere der damalige Chefdirigent Bertrand de Billy Sturm gegen die (2008 dann begrabene) Idee, den Klangkörper einzusparen. Damals war die klassische Musik aber auch noch ein zentralerer Ort in der Kulturdebatte.
Wie eine Spardiskussion heute ablaufen könnte, sieht man an der Wiener Zeitung: Auch wenn große Teil der Medienbranche der Einstellung als Tageszeitung kritisch gegenüber stehen, wird diese allem Anschein nach durchgezogen.
Die ÖVP scheint auch beim RSO wenige Zweifel zu hegen, die klassische Orchestermusik ist nicht gerade die Kernkompetenz der Grünen - und das Gewicht, das die Worte von Künstlerinnen und Künstlern bei der Regierung haben, scheint zuletzt einer rasanten Inflation zu unterliegen. Der Aufschrei in der Bevölkerung, das wissen Politik und ORF-Führung, wird sich in Grenzen halten, was für manche Diskussion heute schon ausreicht.
Das Sparpotenzial
Das Sparpotenziel ist jedoch insgesamt vergleichsweise gering: 8,5 Millionen Euro sind für das RSO im Jahr veranschlagt, bei einem kursierenden Sparvolumen von 300 Millionen Euro auf drei Jahre verteilt würde mit der Einstellung rund 10 Prozent dieses Volumens hergestellt sein.
Im Vergleich zum jährlichen Budget von Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer - das heuer bei 620,2 Millionen Euro liegen soll - ist der Posten überhaupt vergleichsweise schmal. Eine Debatte, die auf das Einsparen des Orchesters im ORF hinausläuft, würde wohl auch die dringende Frage mit sich bringen, ob der Klangkörper nicht mit dem Argument der Bedeutung für die Kulturnation ins Bundesbudget überführt werden könnte. Das ist für den Steuerzahler natürlich ein Nullsummenspiel, könnte aber durchaus argumentiert werden.
n einem der APA vorliegenden Statement zeigten sich Wiener Philharmoniker bestürzt über die Nachricht: "Das RSO stellt für Österreich und auch weit über die Grenzen des Landes hinaus ein unersetzbares und wichtiges Kulturgut dar, das das Musikleben weltweit seit seinen Anfängen maßgeblich geprägt hat. Ein einzigartiger Schwerpunkt unserer Musikerkolleg*innen vom RSO ist vor allem auch die Hinwendung zu Neuer Musik, wie kaum ein anderes österreichisches Orchester hat es soviel zeitgenössische Musik aufgeführt. Das Fehlen des RSO in der vielfältigen Musiklandschaft Österreichs würde eine große Lücke aufreißen. Wir appellieren daher an die Kulturpolitik unseres Landes, alles daran zu setzen, die kulturelle Vielfalt zu fördern und all jene Institutionen zu erhalten, die zur Identität unseres Kulturlandes maßgeblich beitragen. Ein Orchester wie das RSO muss weiterbestehen!"
Vor einem Schlag für die zeitgenössische Musik bei einem Aus des RSO warnte gegenüber der APA auch Jan Nast, Intendant der Wiener Symphoniker: "Das RSO ist mit der Pflege der zeitgenössischen Musik in der Programmatik der Stadt fest verankert." Das RSO könne sich in dieser Position ungeschützter auf dem Markt bewegen als die Philharmoniker oder Symphoniker, die stärker darauf achten müssten für ihre eigene Institution oder die Konzerthäuser Einnahmen zu generieren. "Wir könnten diese Funktion nicht 1:1 übernehmen", macht Nast deutlich: "Ein Aus für das RSO wäre ein Bruch in der Welthauptstadt der Musik." Die Rolle des RSO als Opernorchester bei Produktionen im Theater an der Wien lasse sich ebenfalls zumindest nicht mittelfristig von den Symphonikern substituieren. Man komme jetzt bereits auf drei Inszenierungen, die man musikalisch mitgestalte, eine vierte sei organisatorisch für die Wiener Symphoniker nicht machbar.
Auch Stefan Herheim, Intendant des Theaters an der Wien, sprang dem RSO gegenüber der APA zur Seite: "Seit 2007 gehört das ORF Radio-Symphonieorchester Wien durch seine kontinuierliche Zusammenarbeit mit dem Theater an der Wien auch zu den weltweit anerkannten Opernorchestern. Es genießt im Inland und Ausland höchste Reputation und sein Bestehen ist maßgebend für den Erfolg des Opernhauses der Stadt Wien. Ein Ende des Orchesters würde das MusikTheater an der Wien künstlerisch und finanziell in ernsthafte Schwierigkeiten bringen und wäre ein kulturpolitisch fatales Signal in einem Land, dessen weltweit anerkanntes, kulturelles Erbe von Institutionen wie der unseren getragen und erhalten wird."
Auch Stephan Pauly, Intendant des Wiener Musikvereins, warnte vor einem irreparablen Einschnitt in das österreichische Musikleben, sei das RSO doch ein unverzichtbarer Bestandteil des Kulturlandes Österreich. "Ohne das ORF RSO Wien wäre die jüngere Musikgeschichte anders verlaufen, es ist nicht vorstellbar, wie sie ohne diesen immens wichtigen Klangkörper weitergehen sollte", betonte Pauly, der an die Verantwortlichen appellierte, eine Lösung zu finden: "Eine Auflösung des ORF RSO Wien wäre ein unersetzlicher Verlust für die Wiener und die österreichische Musikszene."
Ins selbe Horn stieß Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ) in einer Stellungnahme: "Der ORF sollte stolz sein auf sein Radio-Symphonieorchester: Es ist eine tragende Säule des österreichischen und Wiener Musiklebens und muss als solche weiter bestehen. Das RSO ist aus der Musikstadt Wien nicht wegzudenken." Nicht zuletzt sei das Orchester ein Botschafter der Wiener Klangkultur in der Welt. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen Kulturauftrag, und ich appelliere an die Verantwortlichen, diesen nicht mit Füßen zu treten, in dem sie das Fortbestehen des RSO in Frage stellen. Hier ein rein wirtschaftliches Denken als Maßstab für Entscheidungen anzulegen, deren Auswirkungen weit über den ORF hinausreichen, halte ich für die falsche Herangehensweise."
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