"Herzjagen" mit Martina Gedeck: "Als würde die Haut abgezogen"
Dass starke Frauen in berührenden Dramen zu ihren schauspielerischen Spezialitäten zählen, zeigt Martina Gedeck einmal mehr in „Herzjagen“ von Elisabeth Scharang. In diesem Film hat sie allerdings auch eine Schwachstelle - ihr Herz. Sie spielt eine verheiratete Frau, die nach einer Herzoperation nur schwer zurück ins Leben an der Seite ihres Ehemanns (Rainer Wöss) findet. Gerade magisch fühlt sie sich zum Chirurgen (Anton Noori) hingezogen, der während der lebensgefährlichen Operation ihr Herz in seinen Händen hielt, halten musste.
Einen Cameo-Auftritt in diesem Film hat übrigens die Schriftstellerin Julya Rabinowich, deren Roman „Herznovelle“ als literarische Vorlage diente. Für die Autorin, Journalistin und Regisseurin Elisabeth Scharang war der Film – um bei jenem Organ zu bleiben, das seit Urzeiten als Metapher für Mut, Seele, Gefühle und Leidenschaften gilt – so etwas wie eine „Herzensangelegenheit“. Mit ihrer Hauptdarstellerin, Martina Gedeck, stellte sich Scharang dem KURIER-Interview – über ein gemeinsam erschaffenes Filmjuwel, das sicher auch mitten ins Herz der Zuschauerinnen und Zuschauer trifft.
Die Hauptdarstellerin
Sie wirkt immer anders, lässt sich nicht auf einen bestimmten Typus festlegen: Martina Gedeck. Sie spielte so unterschiedliche Rollen wie die Gourmet-Köchin in „Bella Martha“, die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in „Der Baader Meinhof Komplex“, die Musikerin Clara Schumann in der Filmbiografie „Geliebte Clara“, oder die fürsorgliche Ehefrau eines von Klaus Maria Brandauer gespielten Alzheimer-Kranken in „Die Auslöschung“. Hollywood wurde auf sie durch das Oscar-prämierte Stasidrama „Das Leben der Anderen“ aufmerksam und besetzte sie unter anderem in „Der gute Hirte“ an der Seite von Robert De Niro.
Die Regisseurin
Elisabeth Scharang wurde 1969 in Bruck an der Mur geboren. Nach international erfolgreichen Werken über kriminelle Außenseiter wie „Franz Fuchs – Ein Patriot“, über die Briefbombenattentate des Franz Fuchs, oder „Jack“, über den Prostituierten-Mörder Jack Unterweger, wollte die Regisseurin in „Herzjagen“ ein Thema aufgreifen, das auch mit ihr selbst zu tun hat: Die Geschichte einer Frau, die ihr Dasein hinterfragen und neu definieren muss.
KURIER: Frau Gedeck, Sie spielen in diesem Film eine emotional-schwierige Rolle – eine Frau, die mit einer Verwirrung ihrer Gefühle zu kämpfen hat. Man hat den Eindruck, dass Sie diese Rolle nicht spielen, sondern viel von sich selbst preisgeben. Wie schwierig war das für Sie?
Martina Gedeck: Wenn man sich hineinbegibt in die Ängste und Verzweiflung dieser Frau und daran nicht mit der beruflichen Routine herangeht - die ich natürlich aufgrund meiner langen Berufserfahrung auch abrufen könnte - dann ist das schon ein großes Wagnis. Das ist so, als würde die Haut abgezogen von dieser Frau. Ihre Nerven liegen blank und sie hat keine Schutzmechanismen mehr. Und wenn das Ganze auch für das Publikum ehrlich wirken soll, dann kann ich mich beim Spielen nur voll und ganz hineinbegeben in diese Person und hoffen, dass ich dabei gut begleitet werde. Ohne Vertrauensverhältnis zur Regisseurin wäre das nicht möglich gewesen.
Hat Ihnen, Frau Scharang, dabei geholfen, dass Sie eigentlich vom Dokumentarfilm kommen? Haben Sie dadurch ein besseres Gespür für „richtige Menschen“ entwickelt?
Elisabeth Scharang: Ich bin in den letzten Jahren immer mehr draufgekommen, dass es eigentlich egal ist, ob ich Radio-Interviews, Dokumentationen oder Spielfilme mache. Es geht mir dabei immer vor allem um die Menschen und ihre Geschichten. Interessant ist, dass ich dabei mehr und mehr erkannt habe, dass jeder Film – auch ein inszenierter Spielfilm – sehr viel von mir preisgibt. Dazu kommt, dass mir Schauspielerinnen und Schauspieler bei Dreharbeiten erzählen, dass ihre Rollen auch sehr viel mit ihnen selbst zu tun haben. Offenbar gibt es einen menschlichen Nenner, der uns allen gemeinsam ist. Und dann kommt es natürlich auch sehr auf die Besetzung an. Wahrscheinlich sucht man sich eben die Schauspieler aus, zu denen man eine bestimmte Wellenlänge hat.
Und was die #MeToo-Debatte betrifft, so ist sie für mich wie eine alte Schlangenhaut, die wir längst abgestreift haben sollten.
Gibt es da so etwas wie eine Schlüsselszene für die Entdeckungen, die Sie gemeinsam mit Martina Gedeck hatten?
Scharang: Ja, da gibt es die Szene, in der die von Martina Gedeck gespielte Caroline Binder dem Arzt, der sie am Herzen operiert hat, durch einen Markt nachläuft. Wir haben diese Szene am Brunnenmarkt gedreht und da kommt Caroline an einer Straßensängerin vorbei und beginnt mit ihr zu singen. Dieses Zusammenspiel der beiden Frauen war fast durchwegs improvisiert und da braucht man schon eine Schauspielerin und auch einen Kameramann, die sich gemeinsam darauf einlassen. Ich habe ihnen einfach nur zugeschaut und geweint – mir kommen schon wieder die Tränen, wenn ich davon nur spreche. Denn das war genau der Moment, indem man merkt, wie die am Herzen operierte und seelisch angeschlagene Frau wieder langsam in das wirkliche Leben zurückfindet.
Gedeck: Für mich hat sich die Szene so angefühlt, als würde die Frau, die ich spiele, einen Teppich lüften und darunter die Schätze des Lebens wiederentdecken, die ihr so lange verborgen waren. Und das Schöne war, dass diese Szene im Drehbuch nicht ausgeschrieben war. Ich konnte daher beim Spielen meinen eigenen Gefühlen freien Lauf lassen. Für mich hat sich diese Szene erst durch die Improvisation beim Drehen entschlüsselt. Beim Lesen des Drehbuchs habe ich mir gedacht: Das Ganze können wir uns sparen. Warum muss die da im Schlafrock herumrennen und wie ein Hippie auf der Straße singen. Und erst als ich mich schließlich doch darauf eingelassen habe, wurde mir klar, dass diese Frau - während sie da herumtänzelt und singt - zum ersten Mal wieder ein Licht am Ende des langen Tunnels sieht, durch den sie aufgrund ihrer Krankheit gehen musste. Und dieses Wiedererwachen ist letztlich entscheidend. Nicht, dass sie sich zum Affen macht, dass sie verrückt herumrennt und zu singen anfängt - sondern dass sie in diesem Augenblick wieder zurück in ihr Leben findet.
Ihr Film zeigt auch, wie diese Frau nach ihrer Herzoperation einen Mann verfolgt. Es kommt einem dabei unwillkürlich die #MeToo-Debatte in den Sinn, obwohl die sich in erster Linie um sexuellen Missbrauch dreht und in Ihrem Film das Herz sozusagen treibendes Organ für das Stalking ist. Also jenes Organ, das als Zentrum von Liebe und Gefühlen gilt. Wollen Sie darauf hinweisen, dass es neben Erotik noch wichtigere Emotionen gibt?
Scharang: Ich würde das gerne so formulieren: Die meisten von uns gehen im Alltag nur als Köpfe herum. Der Körper ist dabei nur Trägermasse. Wenn Menschen von „ich“ sprechen, meinen sie ihren Kopf, ihr Gehirn, ihre Gedanken und ihre geistigen Erfahrungen. Und sie vergessen dabei, dass ohne Herz nichts geht. Gar nichts. Und das betrifft nicht nur das „Herz“ als Metapher für „Gefühle“, sondern vor allem auch die physische Komponente. Wenn es zu schlagen aufhört, dann geht plötzlich gar nichts mehr. Und die Angst vor diesem „Nichts“ beherrscht und verwirrt die Gefühle der Lebenden. Das wollte ich in meinem Film einmal thematisieren. Was die #MeToo-Debatte betrifft, so würde ich sie gerne in die Richtung lenken, dass es gut ist, wenn Frauen ihre Stimme erheben, weil es Zeit für mehr Diversität ist – auch im Film. Mehr Frauen sollten Geschichten erzählen können, die mit Frauen zu tun haben.
Gedeck: Ich finde es interessant, wie viele Facetten bei diesem Film mitschwingen – und auch die Metapher „Herz“. Beim Film „Die Wand“ nach dem Roman von Marlen Haushofer, hatten wir ja auch das Herz von einem ausgeweideten Reh, das eine ganze Geschichte erzählte. Es war auf einen Holzstock gesteckt worden und ist dort gefroren. Als Zeichen für die Kälte, die wir der Natur entgegenbringen. Und was die #MeToo-Debatte betrifft, so ist sie für mich wie eine alte Schlangenhaut, die wir längst abgestreift haben sollten. Und das ist ja auch ein Thema im Film „Herzjagen“. Es geht auch darum, ob und wie die Frau aus den eingefahrenen Bahnen ihres Lebens und ihrer Ehe herauskommt. Nach der Herzoperation, bei der sie auch hätte sterben können, will sie eben nicht mehr, dass alles genauso weitergeht wie davor.
Würden Sie den Film als „Frauenfilm“ bezeichnen?
Gedeck: Nein, eher als „Menschenfilm“. Wir sollten uns die Einengung nicht gefallen lassen, wonach sich Männer wie „Männer“ benehmen sollen und Frauen wie „Frauen“. Das versuchen wir mit diesem Film zu vermitteln. Wer sich darauf einlässt, wird von der Geschichte sehr stark berührt sein und wer nicht, der ist vielleicht genervt.
Frau Scharang, Sie betonen immer, dass Ihnen genaue Recherche vor dem Schreiben Ihrer Drehbücher wichtig ist. Wie genau haben Sie die Symptome von herzkranken Menschen recherchiert?
Scharang: Diesmal habe ich es einmal umgekehrt gemacht. Ich habe die Geschichte geschrieben und dabei einige Details der literarischen Vorlage von Julya Rabinowich verändert - und ich habe sogar eine Figur dazuerfunden, eine Psychologin. Beim Beschreiben der Gefühle meiner Protagonistin wollte ich nicht durch eine wissenschaftliche Vorrecherche eingeschränkt sein. Erst danach habe ich das Drehbuch Herzchirurgen vorgelegt, damit sie beurteilen können, ob ich richtig liege.
Gedeck: Ich habe auch recherchiert und erfahren: Der Film beschreibt genau das, was mit Menschen passiert, nachdem sie am Herzen operiert wurden. Diese Achterbahnfahrten der Seele, die Ängste, durch die man geht. Die Ärzte, mit denen ich gesprochen haben, sagten alle, dass alle Symptome völlig richtig beschrieben sind. Genauso fühlt sich ein Mensch in den Wochen danach. Wir haben uns gemeinsam durch diesen Stoff getastet und er ist er immer noch so porös, dass ihn auch die Zuschauer durchdringen und darin ihre eigenen Ängste und Gefühle wiederfinden können. So wie auch eine neue Freude am Leben.
Von Gabriele Flossmann
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