Heimischer Onlinenachrichtenriese orf.at gerät ins Kreuzfeuer
Orf.at erhitzt die Gemüter. Um die mit Abstand reichweitenstärkste Onlinenachrichtenseite des Landes wird bei den Verhandlungen zu einer ORF-Gesetzesnovelle heftig gerungen. Dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) wie auch der NEOS-Mediensprecherin Henrike Brandstötter ist sie ob ihrer schieren Marktmacht in ihrer gegenwärtigen Form ein Dorn im Auge. Eva Blimlinger, Mediensprecherin der Grünen, hält von dieser Ansicht wenig. ORF-Chef Roland Weißmann kalmiert.
73 Prozent Reichweite
5,1 Millionen unterschiedliche Internetnutzerinnen und Internetnutzer erreichte die "blaue Seite" laut Österreichischer Webanalyse (ÖWA) im Juni und damit 73 Prozent der internetaktiven Bevölkerung (14+). Verwundern mag das wenig, erhält man auf orf.at doch innerhalb kürzester Zeit einen kompakten Überblick über das aktuelle Geschehen - und das gratis. Erst mit Respektabstand folgen krone.at (4,1 Mio. Unique User) - das unlängst ankündigte, für bestimmte Onlineinhalte in Zukunft Geld zu verlangen - heute.at (3,7 Mio. Unique User) und derstandard.at (3,3 Mio. Unique User). Letztere beide weisen wie orf.at keine Paywall oder Plus-Artikel auf.
"Drehen wir orf.at ab"
"Retten wir die Medienvielfalt. Drehen wir orf.at ab!", forderte Brandstötter unlängst. Denn der gebührenfinanzierte ORF dehne seine mediale Vormachtstellung aus und stelle so ein Problem für den privaten Mitbewerb dar, der darauf angewiesen sei, auch digitale Inhalte zu monetarisieren. VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberger stimmt dem gegenüber der APA zu. "Bei unbegrenzter Ausdehnung des digitalen Angebots des ORF bei gleichzeitiger kostenloser Verfügbarkeit kommt es zur medialen Bodenversiegelung, also einer dramatischen Einschränkung der Medienvielfalt in Österreich." Andere private Angebote wären nicht finanzierbar, wenn der größte Anbieter alles kostenlos anbiete.
"Zeitungsähnliche Ausgestaltung"
Anstoß nimmt Grünberger an der "zeitungsähnlichen Ausgestaltung" von orf.at. Diese sei in den Bestimmungen des ORF-Gesetzes so nicht vorgesehen und "aus gutem Grund jedenfalls untersagt". Stelle sie doch einen "Hemmschuh" für die Weiterentwicklung des digitalen Aboangebots der privaten Medienhäuser dar. Denn: "Die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf dem Digitalmarkt hat erheblichen Einfluss auf die digitale Transformation der nationalen Medienhäuser", meinte der VÖZ-Geschäftsführer mit Blick auf die Lage in anderen europäischen Staaten.
Fokus auf Kernzweck richten
Der ORF solle seinen Fokus auf seinen Kernzweck - Hörfunk, Fernsehen und programmbegleitende digitale Ausspielmöglichkeiten - legen, so Grünberger, der daran erinnerte, dass Umsätze aus dem Digitalgeschäft in der Branche immer relevanter werden. Der Anteil bewege sich je nach Medienhaus zwischen etwa zehn Prozent und bis immerhin 40 Prozent. "Ich denke, allen ist klar, es gibt kein Zurück. Daher haben die Maßnahmen im ORF-Gesetz auch eine entscheidende Bedeutung für die Funktionstüchtigkeit des österreichischen Medienmarktes."
Blimlinger: Seite muss bleiben
Kontra gibt die Grünen-Mediensprecherin Eva Blimlinger: "Die letzten Jahre - Stichwort Pandemie, Verschwörungserzählungen und Fake-News - haben einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig und gefragt ein unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk, auch online, ist. Das abschaffen zu wollen, zeigt, dass hier ganz grundlegend das Verständnis für Medien, den Charakter des Öffentlich-rechtlichen und den dualen Medienmarkt fehlt." Der Werbemarkt sei zwar heiß umkämpft, aber von einer Abschaffung von orf.at würden nicht österreichische Medien, sondern primär internationale Plattformen profitieren, zeigte sich Blimlinger gegenüber der APA überzeugt. Das lasse sich auch an den hohen Einnahmen aus der Anfang 2020 eingeführten Digitalsteuer ablesen. Diese zielt speziell auf große internationale Internetkonzerne ab und dürfte nach 80 Mio. Euro im Vorjahr heuer bereits in etwa 100 Mio. Euro abwerfen.
"Orf.at muss dem Grunde nach orf.at bleiben", so Blimlinger. Natürlich werde aber den Anforderungen im internationalen Wettbewerb Rechnung getragen, um dem ORF - gerade im digitalen Bereich und hinsichtlich der geplanten Playerstruktur - "angemessene Rahmenbedingungen" zu geben. "Es soll damit sowohl die Konkurrenzfähigkeit des ORF als auch die der privaten Marktteilnehmer gewährleistet werden", so die Grünen-Politikerin, bezüglich Details auf die laufenden Verhandlungen zur ORF-Gesetzesnovellierung verwies.
"Hinter roter Linie"
Und was sagt ORF-Generaldirektor Roland Weißmann zur Debatte um orf.at? "Die 'blaue Seite' abzudrehen, das ist sicher ganz klar hinter der roten Linie, die nicht akzeptierbar ist", sagte er im Ö1-Medienmagazin #Doublecheck. In Hinblick auf die vom VÖZ bemängelte Textlastigkeit merkte er an, dass man die Seite ohnehin in Richtung mehr Bewegtbild entwickeln wolle. Das entspreche dem Userverhalten. "Wenn das mit den Verhandlungen kompatibel ist, ist das gut", so Weißmann.
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