Ausstellung im Lentos Linz: Kritischer Blick auf historische Mädchenbilder
Verunsicherung? Angst? Üble Laune? Markus Åkessons Gemälde „When they told us about the night“ (2018) lässt Interpretationsspielraum offen.
Sie blickt einen aus großen, melancholischen Augen an, von unten her, weil sie nämlich fast nackt am Boden sitzt.
Für Besucher der Ausstellung „Mädchen* sein!?“ (sic!) reicht es fürs Erste schon, den eingeübten männlichen Blick auf junge Frauen einmal vorgeführt zu bekommen, so wie es das Gemälde „Mädchen vor dem Spiegel“ des Malers Matthias May (1911) am Eingang des großen Ausstellungssaales im Linzer Lentos Museum tut.
So wie im Bild des Jugendstilmalers begegnen Mädchen und junge Frauen im Lauf der Kunstgeschichte immer wieder: Mal sind Darstellungen eindeutig sexuell aufgeladen wie im Motiv der Leda, die ein paar Stellwände weiter von Zeus in Gestalt eines Schwans bestiegen wird, mal erscheinen Mädchen vordergründig „unschuldig“ und brav. Aber sie sind immer noch passive Projektionsflächen für Fantasien.
Etwas Betretenheit darf sich da gerne einstellen: Mit diesen Bildern haben wir also jahrhundertelang unsere Museen – und in weiterer Folge unsere Köpfe – gefüllt?
Das Spektrum erweitern
Die Lentos-Schau, die sich in eine Reihe von Themenausstellungen zu Geschlechter- und Rollenbildern in der Institution einfügt („Rabenmütter“, 2016; „Wilde Kindheit“, 2021; „Sisters & Brothers“, 2023), hat neben dem kritischen Blick auf historische Mädchenbilder das klare Ziel, das Spektrum zu erweitern.
Das gelingt deshalb hervorragend, weil das Historische und das Neue, der Blick nach vorne und zurück, auch in der Auswahl der Objekte und in der räumlichen Anordnung präzise austariert wurde – und weil neben dem klar feministischen Ansatz künstlerische Werke mit all ihrer Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeit für sich wirken können.
Natürlich setzt Kuratorin Brigitte Reutner-Doneus auch auf ein paar „Eyecatcher“ aus der Sammlung: Egon Schieles Porträt der Trude Engel etwa, das die Dargestellte, die sich auf dem Bild so gar nicht gefiel, mehrfach mit einem Messer attackierte. Oder das riesige „Saintes Maries de la Mer“ von Franz Gertsch, in dem der Schweizer Maler seinen am Strand spielenden Töchtern ein Denkmal setzte.
Die Atmosphäre solcher Werke wird von dem Raster an Kapiteln, denen die Erzählung folgt, nicht niedergedrückt: Da geht es etwa um die Darstellung von Arbeit („Mädchen“ leitet sich von „Mägdchen“ ab), aber auch um „Traurige Mädchen“, um häusliche Gewalt und mehr.
In einem Bauernkasten, den Amelie von Wulffen mit Motiven aus dem Streaming- und Instagram-Universum bemalte, die alle mit dem Thema Gefangenschaft zu tun haben (man erkennt die Gefängnisserie „Orange Is The New Black“ oder „Arrested Development“), schließt sich Repression und Häuslichkeit kurz. Ein bearbeitetes Foto von Annelies Strba (2022) ruft das seit Taylor Swift wieder hoch aktuelle Motiv der Ophelia – die in Shakespeares „Hamlet“ den Freitod sucht – wach.
Überhaupt hätte die Pop-Ikone Swift ein eigenes Kapitel verdient – scheint sie mit ihrem Mix aus Außenseiter-Poesie und offensiv vorgelebter Perfektion viel von dem Spannungsverhältnis zu verkörpern, in dem sich junge Frauen heute befinden.
In Form bringen
Wie Mädchen in früheren Tagen informiert – im Sinne von „in Form gebracht“ wurden – zeigt die Schau in Vitrinen, in denen Puppenhäuser, Kinderkorsette oder Haushaltsgeräte zu sehen sind. Dem gegenüber stehen unter dem Motto „Rebellin sein“ oder „Pionierin sein“ Identifikationsangebote, die Mädchen* selbst Bestimmung über ihre Identität geben.
Das Gendersternchen soll dabei darauf verweisen, dass auch queere Positionen Teil der Schau sind: Der hinreißende Kurzfilm „Räuberinnen“ von Isa Schieche zeigt dazu etwa eine WG von Transfrauen, die sich in einem Haus am Land einerseits feminin stylen und lesbisch leben, während sie – laut Erzählung zur Vorbereitung eines Überfalls – betont „männliche“ Verhaltensweisen einstudieren. Zu erkennen, dass auch solche Bilder ihren Platz im Museum haben, war längst überfällig.
Lentos Museum Linz:
Die Ausstellung „Mädchen* sein!?“ ist bis zum 6. 4. 2026 im Lentos Museum, Linz, zu sehen. Der umfangreiche Katalog (Hirmer Verlag, 216 Seiten) kostet 41,20 €.
Buchtipps:
Die in der Ausstellung gezeigte Serie „Teens (in their rooms)“ von Anna Breit ist als Fotobuch erhältlich (Fotohof, 20 €). Eine sensible Auseinandersetzung gelingt auch der Niederländerin Hellen van Meene („Portraits“, 31,40 €).
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