Taylor Swift, "Ophelia" und das originale Showgirl: Welche Kunst den Star inspiriert

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Weil das Video des aktuellen Swift-Hits ein Gemälde zitiert, strömen Fans ins Museum. Dabei führen die Spuren zu einer anderen Story.

Ausgerechnet Wiesbaden: Die Anfangsszene im Video des aktuellen Nummer-eins-Hits „The Fate of Ophelia“ von Taylor Swift hat dem dortigen Landesmuseum einen unverhofften Besucherzuwachs beschert. Am vergangenen Wochenende seien Hunderte zusätzliche Gäste im Museum gewesen, meldet die Deutsche Presse Agentur. Das Ziel der Swifties war ein Jugendstilgemälde mit Ophelia, der Geliebten Hamlets in Shakespeares gleichnamigem Werk. Auf KURIER-Nachfrage erklärt Sprecherin Susanne Hirschmann, dass das Haus spezielle Angebote rund um das plötzlich prominente Gemälde geplant hat: "Wir bieten eine Themen-Führung zu Ophelia für Swifties und interessierte Gäste an, allerdings ist der Termin aufgrund der hohen Nachfrage ausgebucht."

Nicht nur im Song "Fate of Ophelia" spricht Swift auf die tragische Figur aus Shakespeares "Hamlet" an, die als Spielball zwischen dem geliebten Dänenprinzen und ihrem Vater Polonius den Verstand verliert und schlussendlich in einem Fluss ertrinkt: Auch das Cover des Erfolgsalbums "Life of A Showgirl" zitiert - mit Swifts Gesicht, das fast im Wasser untertaucht, die Darstellung Ophelias in der Kunst. 

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Dabei ist alles andere als eindeutig, dass das um 1900 geschaffene Gemälde des Malers Friedrich Heyser (1857-1921) aus der Sammlung des Wiesbadener Museums die Vorlage für Swifts Ophelia war. Denn auch wenn der Museumsdirektor auf eine gewisse Ähnlichkeit der Darstellung hinweist, ist eine andere Fassung des Motivs viel bekannter: Die Version des britischen Romantikers John Everett Millais, die 1852 geschaffen wurde und heute in der Londoner Tate Gallery hängt, gilt gemeinhin als die "kanonische" Fassung des Themas.

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Eine ursprüngliche Schönheit

Millais gehörte der der Künstlergruppe der "Präraffaeliten" an, die um 1850 eine Rückkehr zu urtümlicher Schönheit predigte und damit gegen die akademische Kunst ihrer Epoche antrat. Die Maler waren in ihrer Zeit jugendliche Rebellen. Mit seinem "Hitgemälde" der Ophelia inspirierte Millais zahlreiche Nachahmer - in seiner eigenen Zeit, aber auch im Pop. So griffen die australischen Stars Nick Cave und Kylie Minogue in ihrem Duett "Where The Wild Roses Grow" (1995) das Ophelia-Motiv aus Millais' Gemälde offensichtlich auf. 

Das originale "Showgirl", das die Ophelia verkörperte, hieß allerdings nicht Kylie oder Taylor, sondern "Lizzie": Unter diesem Spitznamen wurde die Künstlerin Elizabeth Siddal bekannt, die 1829 in London geboren wurde und - neben einem eigenen dichterischen und malerischen Werk - zu dem wichtigsten Modell und der zentralen "Muse" der Präraffaeliten avancierte. 

Siddal stand (oder lag) dem Maler Millais auch für seine berühmte "Ophelia" Modell - laut Überlieferung in einer Badewanne, die während der Porträtsitzung durch Öllampen warm gehalten wurde. Da diese Lampen immer wieder ausgingen, soll sich Siddal eine Lungenentzündung geholt haben, die sie später mit Laudanum (der damals üblichen Bezeichnung für ein Opiumpräparat) kurierte. 

Zehn Jahre später sollte Siddal - durch eine Fehlgeburt in tiefe Depressionen gestürzt - an einer Überdosis Laudanum sterben. Zuvor saß sie aber noch für unzählige Gemälde Modell, unter anderem dem Maler Dante Gabriel Rossetti, ihrem zeitweiligen Partner und einem weiteren Hauptvertreter der Präraffaeliten. 

Press preview of The Rossettis at Tate Britain

Als melancholische, rothaarige Schönheit prägte Siddal wie kaum eine andere Frau das Schönheitsideal im Großbritannien des 19. Jahrhunderts. In den Gemälden, für die sie posierte, verkörperte sie oft literarische Figuren. Neben Shakespeares Hamlet war Dantes "Inferno" ein begehrter Stoff der Präraffaeliten. Mit der Mittelalter-Sehnsucht des 19. Jahrhunderts befasst sich übrigens aktuell auch die Schau "Gothic Modern" in der Albertina.

Siddals Geschichte - und ihre markante Erscheinung - hinterließ auch Spuren in der Popkultur. Unter all jenen Acts, die mit der Ästhetik jener Zeit liebäugeln, ist Florence Welch, die Frau hinter dem Projekt Florence + The Machine, wohl am ehesten als Siddals Wiedergängerin zu bezeichnen. Die Sängerin, selbst mit einer roten Mähne gesegnet, nimmt in ihren Videos und Albumcovers immer wieder auf das Vorbild aus dem 19. Jahrhundert Bezug

Swifts Referenzuniversum überschneidet sich also - ob zufällig oder nicht - mit dem so manch anderer Stars. Wo die Unterschiede und Gemeinsamkeiten dieser kulturellen Verbindungen liegen, dürfen Absolventinnen und Absolventen jener kulturwissenschaftlichen Studiengänge, die sich mittlerweile dem Universum des Superstars widmen, in ihren Dissertations- und Habilitationsschriften herausfinden. 

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