Zu laut, zu politisch: Warum Festivals aktuell so im Online-Kreuzfeuer stehen

NOVA ROCK 2025: BUEHNE
Zu laut, zu eng, zu politisch, zu ... egal was: Online prägt Kritik das Image der Rockfestivals. Ob zu Recht oder nicht – das wird zum Problem.

Eines der Erfolgsgeheimnisse von Rockfestivals: Sie boten seit Woodstock das Versprechen einer Auszeit von den Zwängen der Zivilisation, wie Oberbekleidung zu tragen, den Alkoholkonsum an bestimmte Tageszeiten zu koppeln und feste Nahrungsaufnahme. Im, je nach Wetter, Gatsch oder Staub des Festivalgeländes konnte die Stadt- und die Landjugend gegen Entrichtung des Ticketpreises kurz das vermeintlich freie Leben konsumieren, bevor sie wieder in die jeweiligen Zwänge (Schule, Eltern, täglich duschen) zurückkehrte. 

Dementsprechend waren Festivals und Anspruchsdenken nicht unbedingt kompatibel: Bei Festivals gab es lange Zeit in der Hauptsache zwei Angebote, laute Musik und die Erfüllung existenzieller Mindestanforderungen (Klo, Schlafen, Bierausschank).

Dass sich das in den vergangenen Jahren ordentlich geändert hat, ist bekannt:

Festivals wurden nach und nach zum Rundum-Jahrmarkt, mit Ringelspiel, Krims-Krams-Geschäften, veganem Essen und Luxuscamping. Längst ist das Publikum nachgealtert, beim Nova Rock sitzen die frühen Festivalgänger von einst inzwischen mit ihren eigenen Kindern im Biergarten (ja, den gibt es am Gelände, mit allerlei Spezialitäten aus dem Burgenland).

Die Anforderungen sind gewachsen, die Ansprüche auch. Festivals sind vom Abenteuer- zum Pauschalurlaub geworden – was man auch an den streng nach oben schnalzenden Eintrittspreisen merkt. Der sommerliche Rockzirkus ist längst durchkommerzialisiert, auch, weil der Live-Markt inzwischen der einzig wirklich lukrative für die Bands selbst ist und sie daher immer höhere Gagen verlangen. 

Und mit dieser Preis- und Angebotsspirale hat ein Phänomen Einzug gehalten, das jeder Reiseveranstalter kennt: Der Beschwerdechor, der online längst zum Headliner fast aller Festivals geworden ist.

Nun ist das Internet ja gemeinhin nicht der Ort, den die Menschen aufsuchen, um einander Positives zu erzählen. Wer aber die dortige Begleitmusik zu den großen Festivals im In- und Ausland mitliest, der bekommt ein fatales Bild vom Festivalzirkus, das – Stichwort: Eltern, die schauen, was der Nachwuchs um hunderte Euro so tut – zunehmend zum Imageproblem wird.

So waren die beiden großen deutschen Schwesternfestivals, Rock im Park und Rock am Ring, heuer von harscher Kritik begleitet: Die Organisation wurde vehement angegangen, besonders Rock im Park stand und steht im Online-Kreuzfeuer. User berichten von langen Schlangen, zu wenigen Klos und organisatorischen Mängeln bezüglich der Besucherströme, die immer wieder als gefährlich empfunden wurden.

Rock am Ring 2022

Wie brisant das vor Ort war, ist im Nachhinein schwer feststellbar. Ein Pressesprecher verwies auf die besonders gute Stimmung heuer. Dass aber die Besucher eher mit negativen Erfahrungen online gehen als mit positiven, hat das Bild dieses Festivals heuer schon stark nachgedunkelt – und birgt die Frage, ob dieses Image nicht zum Problem für die kommenden Jahre wird.

Davon kann das Lido Sounds in Linz auch ein Lied singen. Dass es heuer beim jungen Linzer Festivals nur eine Bühne gab statt bisher zwei, darüber äußerten online vor allem jene ihren Unmut, die schon nach der Ausgabe 2024 ihr Ticket für heuer kauften. Zusätzliche Kritik gab es an langen Wegen und dem Line-Up, auch die Anrainer sind nicht nur positiv gestimmt. Die Zukunft ist nach der dritten Ausgabe eher offen: Die Festivalleitung will nach einer Evaluierung entscheiden, „wo, wann, wie geht's weiter“, dabei spiele das Feedback der Fans auch eine große Rolle, hieß es laut APA.

FESTIVAL "LIDO SOUNDS": JUSTICE

Bei diesem Feedback kann man eher nicht gewinnen, scheint es. Denn selbst wenn ein Festival so perfekt organisiert ist wie das Nova Rock in Nickelsdorf, stimmt der Beschwerdechor halt ein anderes Lied an: Das der inhaltlichen Kritik an sich zeitlich überschneidenden Bands und zu kleinen Headliner (Electric Callboy, die das Nova Rock als Headliner beendeten, waren bei Rock am Ring noch im Nachmittagsprogramm). 

NOVA ROCK 2025: KONZERT - ELECETRIC CALLBOY

Da hilft auch lustiges Onlinemarketing wie die angeblich gestohlene FM4-Ente und der „Bartmann“, das heurige Hauptmeme des Festivals (was der getan haben soll, wollen Sie nicht wissen!), nicht viel: Wer etwa 2026 googlet, ob er das Lido Sounds oder das Nova Rock besuchen soll, findet viele Gründe dagegen und wenige Äußerungen der vielen Fans, die die Veranstaltungen genossen haben. Denn auch wenn die überwiegende Mehrheit happy war, schweigt diese.

Und es verschwimmen auch zunehmend die Grenzen zwischen fundierter Kritik und Klagen über doch erwartbare Begleitumstände von Großveranstaltungen. Dass man etwa bei Metallica in Ebreichsdorf im Vorjahr oder beim heurigen Nova Rock bei der Abreise warten musste, erzürnte manchen Fan. Nur: Wenn Zehntausende Menschen gleichzeitig einen Parkplatz verlassen wollen, ist eine gewisse Verzögerung zu erwarten. Wie lang diese sein darf, wurde weniger diskutiert als dass es sie überhaupt gibt. Einst reiste jene, die das Festival so richtig begangen haben, am Folgetag ab, und zwar dann, wenn sie wieder aufgewacht und ausgenüchtert genug waren. Es haben sich auch die Erwartungshaltungen des Publikums stark geändert.

Und dann ist da noch das Problem mit der Weltflucht: Auch die ist teilweise abgesagt. Sowohl beim Rock am Ring als auch vergangenes Wochenende etwa beim renommierten Glastonbury-Festival hielt die Weltpolitik auf unangenehme Art Einzug. Eine Band rief in Glastonbury das Publikum dazu auf, „Tod den israelischen Streitkräften“ zu skandieren, eine andere war schon im Vorfeld umstritten, da sie eine Hisbollah-Flagge bei einem Konzert schwenkte. Dass die BBC erstere Band live übertrug, sorgt für anhaltenden Wirbel in England. Eine andere britische Band wiederum solidarisierte sich bei Rock im Ring laut einem Bericht des Bayerischen Rundfunks mit Palästina, was in Deutschland eine noch andere Debatte ist.

Die aktuelle Weltpolitik ist natürlich eine weniger unbeschwerte Trinkvorlage als diverses Gitarrengedröhne. Und das letzte Phänomen, das 2025 zu einem seltsam beschwerten Festivalsommer macht.

Kommentare