Letzte Verneigung vor Marcel Reich-Ranicki

Drei ältere Herren in Anzügen gehen nebeneinander die Straße entlang.
Bei einer Trauerfeier kondolierten die Spitzen von Staat und Gesellschaft am Sarg des Kritikers.

Vor 75 Jahren trieben ihn die Nazis aus dem Land, doch er kehrte zurück, weil er die Literatur und die Musik dieses Landes so liebte. Am Donnerstag verneigte sich Deutschland vor Marcel Reich-Ranicki, dem bedeutenden Kritiker und Zeitzeugen. 93 Jahre wurde er alt, die meisten davon verbrachte er in Frankfurt, wo er nach der Einäscherung auch begraben werden soll.

An seinem Sarg in der Trauerhalle des Frankfurter Hauptfriedhofs kondolierten die Spitzen von Staat und Gesellschaft. Es war ein schlichter Holzsarg, umgeben von vielen Blumengebinden.

Gauck als Trauergast

Lang war die Liste derer, die mit persönlichen Worten Abschied nehmen wollten. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck war als stiller Trauergast gekommen. In der ersten Reihe saß mit weißer Lockenmähne Reich-Ranickis Sohn Andrew. Er ist Mathematik-Professor und lebt in Edinburgh. Rund 150 geladene Gäste durften in den kuppelüberwölbten Zentralraum, viele weitere drängten sich in den Nebenräumen.

Ein Mann steht neben einem Sarg, umgeben von Blumen und Kerzen.
epa03884877 Andrew Ranicki, the son of late literature critic Marcel Reich-Ranicki stands by his father's coffin in the mourning hall of the main cemetery in Frankfurt on the Main, Germany, 26 September 2013. Numerous prominent orators and funeral guests bid farewell to the so called 'literature pope' who passed away last week at age 93. EPA/ARNE DEDERT
Viele fanden sehr persönliche Worte - so wie der TV-Entertainer Thomas Gottschalk, der "als Vertreter der geistigen Mittelklasse" sprach, wie er selbst sagte. Reich-Ranicki sei für ihn "Sinnbild des unschuldigen Opfers und Held des Vergebens" geworden. Die beiden hatten sich kennengelernt, als Reich-Ranicki den Deutschen Fernsehpreis ablehnte. Bei der Trauerfeier überreichte Gottschalk ihm "noch einmal einen Lebenspreis - und keiner bedauert es mehr als ich, dass Du ihn diesmal nicht mehr ablehnen kannst".

Salomon Korn, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Frankfurts, berichtete, wie liebevoll und einfühlsam der nach außen so strenge Kritiker privat war. Die Quelle seiner Unerbittlichkeit müsse man in seiner dramatischen Geschichte suchen: Er habe nie wieder Schwäche zeigen, nie wieder machtlos sein wollen. Ihre Freundschaft begann mit einer - selbstverständlich von Korn verlorenen - Wette um ein Heine-Zitat und war auch dadurch nicht zu erschüttern, dass sein Freund nicht an Gott glaubte.

Die frühere Oberbürgermeisterin Petra Roth ( CDU) berichtete von gemeinsamen Opernbesuchen, bei denen der Literaturkritiker eine so feste Meinung hatte ("Das ist nicht Mozart, das ist Firlefanz!"), dass sie als OB nichts mehr zu melden gehabt habe.

Zwei Männer in Anzügen geben sich die Hand, ein dritter Mann steht daneben.
epa03884916 Andrew Ranicki (R), the son of late literature critic Marcel Reich-Ranicki welcomes entertainer Thomas Gottschalk (L) to the memorial ceremony for his father as literature critic Hellmut Karasek (C) looks on in the mourning hall of the main cemetery in Frankfurt on the Main, Germany, 26 September 2013. Numerous prominent orators and funeral guests bid farewell to the so called 'literature pope' who passed away last week at age 93. EPA/ARNE DEDERT
Sein Leben sei der Beweis gewesen, "dass Gewalt und Hass nicht das letzte Wort bleiben müssen", sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier ( CDU). Er habe nach den Jahren der Barbarei "am moralischen und geistigen Wiederaufbau" des Landes mitgewirkt.

"Der Punkt ist ja", begann der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, "dass er auch diese Veranstaltung rezensiert hätte". Eine Beerdigung, auf der keine Polizeiwagen vor der Tür stünden, tauge nichts, habe er immer gesagt - insofern müsste er wohl zufrieden sein mit der Trauerfeier, die von Sicherheitsleuten und Kamerateams umlagert war.

Ein Pianist sorgte für musikalische Unterbrechungen zwischen den Reden. Zu hören waren zwei Stücke von Johann Sebastian Bach, eines von Robert Schumann und am Ende eine Melodie aus der Puccini-Oper "La Bohème". Die Titelmelodie der ZDF-Sendung "Das Literarische Quartett" - Takte aus einem Streichquartett von Beethoven - wurde nicht gespielt.

Die eigentliche Beerdigung wird erst in einigen Wochen stattfinden - und weit stiller ablaufen. 2011 musste Reich-Ranicki seine geliebte Frau Teofila begraben, die er 1940 im Warschauer Ghetto kennengelernt hatte und mit der er fast 70 Jahre verheiratet war. Sie wurde eingeäschert und hat auf dem Hauptfriedhof ein Urnengrab. Reich-Ranicki wird neben ihr seine letzte Ruhe finden.

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