Letzte Verneigung vor Marcel Reich-Ranicki

Vor 75 Jahren trieben ihn die Nazis aus dem Land, doch er kehrte zurück, weil er die Literatur und die Musik dieses Landes so liebte. Am Donnerstag verneigte sich Deutschland vor Marcel Reich-Ranicki, dem bedeutenden Kritiker und Zeitzeugen. 93 Jahre wurde er alt, die meisten davon verbrachte er in Frankfurt, wo er nach der Einäscherung auch begraben werden soll.
An seinem Sarg in der Trauerhalle des Frankfurter Hauptfriedhofs kondolierten die Spitzen von Staat und Gesellschaft. Es war ein schlichter Holzsarg, umgeben von vielen Blumengebinden.
Gauck als Trauergast
Lang war die Liste derer, die mit persönlichen Worten Abschied nehmen wollten. Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck war als stiller Trauergast gekommen. In der ersten Reihe saß mit weißer Lockenmähne Reich-Ranickis Sohn Andrew. Er ist Mathematik-Professor und lebt in Edinburgh. Rund 150 geladene Gäste durften in den kuppelüberwölbten Zentralraum, viele weitere drängten sich in den Nebenräumen.

Salomon Korn, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Frankfurts, berichtete, wie liebevoll und einfühlsam der nach außen so strenge Kritiker privat war. Die Quelle seiner Unerbittlichkeit müsse man in seiner dramatischen Geschichte suchen: Er habe nie wieder Schwäche zeigen, nie wieder machtlos sein wollen. Ihre Freundschaft begann mit einer - selbstverständlich von Korn verlorenen - Wette um ein Heine-Zitat und war auch dadurch nicht zu erschüttern, dass sein Freund nicht an Gott glaubte.
Die frühere Oberbürgermeisterin Petra Roth ( CDU) berichtete von gemeinsamen Opernbesuchen, bei denen der Literaturkritiker eine so feste Meinung hatte ("Das ist nicht Mozart, das ist Firlefanz!"), dass sie als OB nichts mehr zu melden gehabt habe.

"Der Punkt ist ja", begann der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Frank Schirrmacher, "dass er auch diese Veranstaltung rezensiert hätte". Eine Beerdigung, auf der keine Polizeiwagen vor der Tür stünden, tauge nichts, habe er immer gesagt - insofern müsste er wohl zufrieden sein mit der Trauerfeier, die von Sicherheitsleuten und Kamerateams umlagert war.
Ein Pianist sorgte für musikalische Unterbrechungen zwischen den Reden. Zu hören waren zwei Stücke von Johann Sebastian Bach, eines von Robert Schumann und am Ende eine Melodie aus der Puccini-Oper "La Bohème". Die Titelmelodie der ZDF-Sendung "Das Literarische Quartett" - Takte aus einem Streichquartett von Beethoven - wurde nicht gespielt.
Die eigentliche Beerdigung wird erst in einigen Wochen stattfinden - und weit stiller ablaufen. 2011 musste Reich-Ranicki seine geliebte Frau Teofila begraben, die er 1940 im Warschauer Ghetto kennengelernt hatte und mit der er fast 70 Jahre verheiratet war. Sie wurde eingeäschert und hat auf dem Hauptfriedhof ein Urnengrab. Reich-Ranicki wird neben ihr seine letzte Ruhe finden.
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