Der Wert ästhetischer Niesreize: Kunst Haus Wien zeigt Mika Rottenberg

Der Wert ästhetischer Niesreize: Kunst Haus Wien zeigt Mika Rottenberg
Die Künstlerin baut mit Videos und Rauminstallationen ein absurd-komisches Universum. Wirtschaft und Politik hält sie einen Narrenspiegel vor

Die Tochter des Müllers soll im Märchen „Rumpelstilzchen“ über Nacht Stroh zu Gold spinnen. Der Esel, den ein anderer Müller im Märchen seinem Sohn gibt, scheißt Geldstücke. Und Aschenputtel schüttelt ein Bäumchen, und ein goldenes Ballkleid fällt herab.

Die alchemistische Idee, Unedles in Wertvolles verwandeln zu können, ist tief in Mythen und Märchen verwurzelt – doch sie reicht viel weiter in unsere entzauberte Welt hinein. „Eigentlich ist jede Produktion, jede Wertschöpfung eine Form der Alchemie“, sagt die Künstlerin Mika Rottenberg, der bis zum 10. August eine große Werkschau im Kunst Haus Wien gewidmet ist, zum KURIER. „Nicht zuletzt deswegen, weil sie oft einfach fake ist.“

Zauberei

Dass Zaubertricks für so manch überhöhte Einschätzung, den Wert der Dinge betreffend, verantwortlich sind, werden nicht nur die Geschädigten der Signa-Pleite bestätigen können (von Kryptowährungen sprechen wir vorerst nicht). Bei Rottenberg wird die Zauberei aber mit Elan übersteigert, ästhetisiert und wie in einem Kaleidoskop gespiegelt, um dann als buntes Spektakel auf die Ausstellungsbesucher zurückzufallen. Das ist lustig und unterhaltsam, aber auch erhellend.

So niest ein Mann im Video „Sneeze“ (2012), das am Beginn der Schau zu sehen ist, ein Kaninchen. Natürlich ist auch das ein simpler Trick, denn unser Gehirn hat durchs Filmschauen gelernt, zwei Einstellungen miteinander zu verbinden: Folgt ein Langohr aufs „Hatschi“, muss das Tier wohl durch die Nase gekommen sein.

Der Wert ästhetischer Niesreize: Kunst Haus Wien zeigt Mika Rottenberg

Produktivität

In gleicher Weise „produziert“ eine Frau im Video „NoNoseKnows“, mit dem Rottenberg schon auf der Venedig-Biennale 2015 vertreten war, eine Vielzahl von Speisen, die sich dann aber sinnlos auftürmen. Angeregt wird der Niesreiz hier durch Blumen. Gegengeschnitten ist dies mit Aufnahmen aus einer Zuchtperlenproduktion, bei der Muscheln ebenfalls zu allergischen Reaktionen gereizt werden, bevor Arbeiter ihnen händisch ihre von Schleim umhüllten Schätze entnehmen.

Produktionsprozesse bekommen bei Rottenberg also satirisch-mythische Zwillinge zur Seite gestellt, die die Sinnhaftigkeit des ganzen Unterfangens infrage stellen.

Die 1976 geborene Künstlerin, die in Argentinien und Israel aufwuchs und heute in New York lebt, baut dabei stark auf den Methoden des Surrealismus auf: Das Zusammentreffen des scheinbar Unzusammenhängenden, aber auch absurde, teils traumartige Szenarien gehören zu Rottenbergs Repertoire. Dazu kommt eine Auswahl von teils händisch zu betreibenden Maschinen, die jedoch nichts produzieren: Sie sorgen nur dafür, dass sich etwa ein Cocktailglas mit einer kandierten Kirsche dreht oder ein Pferdeschwanz auf und ab wippt.

Der Wert ästhetischer Niesreize: Kunst Haus Wien zeigt Mika Rottenberg

Maschinen und Material

Die Ahnenreihe solcher Apparate lässt sich von Marcel Duchamps „Junggesellenmaschinen“ über den Franzosen Francis Picabia bis zum Schweizer Jean Tinguely verfolgen, in dessen Personal-Museum in Basel die Schau im Vorjahr gastierte. Doch Rottenbergs Werk reicht über diese Anleihen hinaus: Neben der starken Affinität zur Filmkunst hat es auch einen starken Sinn für Materialien und haptische, greifbare Qualitäten.

Im Dreikanal-Video „Spaghetti Blockchain“ (2019) werden etwa knallbunte Teigrollen gedreht, geschnitten und geschmolzen, aber auch Erdäpfel geerntet, Felder gepflügt und Tonblöcke gekratzt. Um zum Video „Cosmic Generator“ zu gelangen, muss man einen Tunnel durchwandern. „Lips“ zwingt dazu, durch zwei nachgeahmte Lippen in ein kleines Guckloch zu schauen. Die Ästhetik, deren Ursprünge man nicht bis ins Letzte durchschauen muss, ermuntert, das Große im Kleinen zu sehen und umgekehrt.

Der Wert ästhetischer Niesreize: Kunst Haus Wien zeigt Mika Rottenberg

Der letzte Werkblock „Lampshares“ stellt dann Lampen-Objekte vor, die aus Holz und recyceltem Plastik bestehen, das Publikum darf selbst mitbauen. Die zugrunde liegende Idee, wonach Erdöl eigentlich verdichtetes Sonnenlicht sei (gebunden durch Fotosynthese, Verdauung, Verwesung ...), zeigt erneut, dass Rottenberg in großen Kreisläufen denkt. Leider nehmen die Lampen übermäßig viel Ausstellungsfläche in Beschlag: Man hätte stattdessen gern weitere Varianten dieser absurd-klugen Kunst gesehen.

  • Die Schau "Mika Rottenberg-Antimatter Factory" ist bis 10. 8. 2025 im Kunst Haus Wien, Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien, zu sehen.
  • Der Titel der Schau nimmt auf eine Abteilung des Forschungszentrums CERN Bezug, an dem die Künstlerin auch arbeitete.
  • Ein Online-Katalog, aufgemacht in der für Rottenberg typischen Kaleidoskop-Ästhetik, bietet weiterführende Hinweise, Videos und Interviews. 

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