Der Zug, der die Erinnerung zurückbringt: Kunsthalle Wien zeigt Ibrahim Mahama
Wenn heute von Kunst in Afrika die Rede ist, geht es oft um Restitution – um die Rückgabe von Dingen, die im Zuge kolonialer Ausbeutung in westliche Sammlungen gelangt sind. „Es geht dabei aber nicht nur um die Objekte, sondern auch um die Seele und die Geschichte“, sagt Ibrahim Mahama.
In seinem Verständnis ist auch das enorme Gebilde, das nun bis 2. November das Obergeschoß der Kunsthalle Wien im Museumsquartier in Beschlag nimmt, als eine Form der Rückführung zu sehen: von Wissen, von Bewusstsein, von Know-how.
Der Künstler, der seit Beteiligungen an zwei Venedig-Biennalen und der documenta 2017 global sehr erfolgreich agiert, sieht es außerdem als Teil seiner Kunst an, mit seinen Erträgen ein weitläufiges Zentrum samt Ateliers und Bildungseinrichtungen in seiner Heimat zu betreiben. Mahama zeigt damit eine Art des Kunstmarkts vor, die über den bloßen Austausch von Sammler-Dollars gegen gehypte Kunst des „globalen Südens“ hinausgeht.
Verhüllte Gebäude
Aussagekräftige Materialien sind Mahamas Medium – bekannt wurde er damit, ganze Gebäude mit Jutesäcken, wie sie etwa für den Transport von Kakaobohnen verwendet werden, zu verhüllen.
Die aus den Außenhüllen dreier Lokomotiven zusammengeschweißte Skulptur, die nun in der Kunsthalle auf Säulen aus gestapelten Blechschüsseln (und einem stählernen Trägerskelett) ruht, erzählt von dem unter britischer Herrschaft errichteten Eisenbahnnetz Ghanas und von Bemühungen um dessen Modernisierung ab 1980: Der Schritt sollte das Land ökonomisch fit machen, verursachte aber Schulden bei Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF).
Die Schüsseln – für Aufgaben von der Feldarbeit über Markttransporte bis zum Babybaden genutzt – setzen diese ökonomische Last mit jener der körperlichen Arbeit in Bezug: „Jede dieser Schüsseln hat im Lauf von zehn Jahren 200 Lokomotiven getragen“, führte Mahama beim Presserundgang aus.
Flankiert wird die Lok-Skulptur schließlich von einer Bilderwand aus Röntgenaufnahmen: Sie zeigen Wirbelsäulen, die deutlich verformt sind – Nachwirkungen der über Jahre verrichteten Tragearbeit. Die Analogie der gequälten Wirbel zu den gestapelten, zerbeulten Schüsseln ist nicht zu übersehen.
Dennoch ist Mahamas Kunst meilenweit entfernt von jenem anklagenden Elendskitsch, der in künstlerischen Auseinandersetzungen mit den Folgen des Kolonialismus allzu oft unausweichlich erscheint: Bei seinem Werk sind die Schüsseln umgedreht, sie stützen anstatt zu (er)tragen. Und sie weisen den Weg zu einer neuartigen Form des Austauschs und der Ermächtigung, die nicht nur für Eingeweihte und Kenner des Kunstbetriebs inspirierend sein sollte.
Zwei Video-Räume führen in der Schau zu den Hintergründen der Entstehung der Skulptur und in das weitere Feld von Mahamas Praxis ein: Man gewinnt Einblick in „Redclay“, den weitläufigen Studiokomplex nahe der Stadt Tamale im Norden Ghanas, wo der Künstler zeitweise hunderte Personen zur Umsetzung seiner Großprojekte beschäftigt.
Gemeinschaftssinn
Die Demontage der Lokomotive und der Transport der Teile wird ebenso dokumentiert wie eine Aktion, bei der Ortsansässige ihre ausrangierten Blechschüsseln gegen neue eintauschen konnten – allerdings nicht, ohne vorher eine Geschichte über das alte Teil zu erzählen.
Viele Besucher seines offenen Atelier-Zentrums, sagt Mahama, würden nicht wissen, dass seine Materialarrangements als „Kunst“ zu definieren seien – dafür den Sinn zu schärfen und ihnen Zugang zu ermöglichen, sehe er als Teil seiner Aufgabe an.
„Meistens enden Kunstwerke noch immer in Sammlungen außerhalb des afrikanischen Kontinents“, sagt der Künstler – wobei auch einige Kollegen wie der Maler Amoako Boafo, der zuletzt vom Boom um afrikanische Kunst profitierte, in regionale Kultur-Infrastruktur investierten. Mahama will jedenfalls, dass seine Lokomotive – nach möglichen weiteren Stopps im Westen – wieder nach Ghana zurückgeführt wird.
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