Schneiden, Zeichnen, Falten: Albertina lässt bei Ausstellung mitspielen

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Die Schau „Faszination Papier“ experimentiert mit der Präsentation der Museumsbestände. Bis 22. März 2026.

Bastelbögen! Landkarten! Aufklappbücher! Schablonen! Und hinten im Eck: Ein kackender Bauer!

Das klingt doch etwas anders als „Ausstellung der Sammlungsbestände mit besonderer Berücksichtigung von Arbeiten auf Papier.“

Tatsächlich ist die Schau „Faszination Papier“ (bis 22. 3. 2026), mit der die Albertina ihr erstes Jahr unter dem im Jänner angetretenen Direktor Ralph Gleis beschließt, eine Ansage: Hier hat das kuratorische Team offensichtlich alle Kräfte zusammengenommen, um eine lustige Ausstellung zu gestalten. Eine, in die man auch getrost mit Kindern gehen kann, ja gehen soll.

Mit dem Zusatz „Rembrandt bis Kiefer“ hat das Museum den Zwang zu großen Namen, der die Ankündigungspolitik von Ex-Direktor Klaus Albrecht Schröder kennzeichnete, zwar nicht ganz abgestreift. Aber zwischen diesen Polen wird heftig gesprungen: Etwa mit dem Gestrüpp aus ausgeschnittenen „Papiergewächsen“ von Birgit Knoechl, das Besucherinnen und Besucher am Ende der Rolltreppe in der Albertina-Basteihalle empfängt.

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Oder mit dem Objekt „2014-061 Terforation“ von Angela Glajcar, das wie ein riesiger Papierluster im Saal hängt: Aus einer Abfolge großer, eingerissener Blätter ergibt sich hier die Anmutung von Tunnels oder Gängen.

Nächste Dimension

Papier, das den Schritt in die dritte Dimension wagt, ist aber nur ein Thema dieser epochenübergreifenden Schau, die vielleicht nicht die allergrößten Meisterwerke, aber einige der kuriosesten Stücke der Albertina-Grafiksammlung umfasst.

Verblüffend – und auch wieder nicht – ist die Einsicht, dass das künstlerisch-bastlerische Spiel mit Papier eine so lange Geschichte hat: Der Dürer-Experte Christof Metzger stellt etwa Werke des Nürnberger Instrumentenmachers Georg Hartmann (1489–1564) vor, der eine funktionierende Sonnenuhr und einen Himmelsglobus zum Selbstbau anbot (die Bastelbögen sind im aufwendig gestalteten Katalog nachgedruckt).

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Unweit davon ist ein Objekt zu sehen, das nach Art einer Parkscheibe funktioniert: Kirchenkritiker um 1550 konnten damit einer Figur im Priestergewand wechselnde Köpfe – vom Eulengesicht bis zum Schafskopf – aufsetzen.

In der Schau ist die Scheibe zum Selberdrehen nachgebildet, wobei auf die fachgerechte Präsentation des Originals daneben nicht verzichtet wird (was angesichts einer zuletzt auffallenden Häufung von Faksimiles in vielen Ausstellungen extra betont werden soll).

Zotige Scherze

Es ist nur eine von vielen Mitmachstationen: Von einem Podest in der Saalmitte lässt sich etwa mit Fernrohr auf einen riesigen Stadtplan von Paris aus dem Jahr 1739 blicken; zwei Holzschnitte eines gewissen Peter Flötner von 1538 lassen sich aus der Wand herausklappen, um aus extremer Quersicht Motive zu erkennen, die bei direkter Draufsicht verzerrt erscheinen: Zu sehen ist der erwähnte „Bauer, der seine Notdurft verrichtet“ und eine anzügliche Szene.

Die großen Meister sind mit einer Serie von Rembrandt-Selbstporträts und einem erstaunlich modern wirkenden Holzschnitt von Tizian (die größte solche Druckgrafik, die der Venezianer je schuf) vertreten. Albrecht Dürer tritt oft als Kartograf, aber auch mit der monumentalen „Ehrenpforte“ für Kaiser Maximilian I. in Erscheinung.

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Im Liegen schauen

Dass man aufgefordert ist, einen ebenfalls monumentalen Holzschnitt von Anselm Kiefer am Rücken liegend über einen Deckenspiegel zu betrachten, ist ein netter Gag, der dem Werk ein wenig seines Ehrfurchtsgehabes nimmt.

Natürlich kann man die Inszenierung da und dort zu dominant finden. Mit dem Aufruf ans Publikum, sich die Werke spielerisch anzueignen, ist aber der museale Trend, die Erfahrungs- und Aufenthaltsqualität ebenso im Blick zu haben wie die gezeigte Kunst, klar in der Albertina angekommen. Und mit der Qualität, die die Sammlung des Hauses bietet, ist so bald kein Substanzverlust zu befürchten. Es wird spannend sein, zu sehen, was auf diese Experimentierphase folgt.

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