Kleist-Briefe in Österreich gefunden - US-Forscher: "Jahrhundertfund"
"Jahrhundertfund" in einer Obstkiste: Ein US-amerikanischer Forscher hat in der Bibliothek des Landesmuseums im Innsbrucker Ferdinandeum eine mittlere Sensation zu Tage treten lassen. In Kiste 142 - insgesamt handelte es sich um 289 - entdeckte dieser fünf bisher unbekannte Briefe des deutschen Schriftstellers Heinrich von Kleist ("Der zerbrochne Krug"). "Das waren die aufregendsten Wochen meines Forscherlebens", sagte der 87-jährige Literaturwissenschaftler Hermann F. Weiss am Donnerstag.
Dieser umfangreiche Teilnachlass des österreichischen Diplomaten Joseph von Buol-Berenberg befindet sich bereits seit 2007 in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums. "Ich habe meine Forschungen an diesem im Sommer 2022 aufgenommen", erklärte der aus den USA zugeschaltete Weiss von der University of Michigan bei einer Hybrid-Pressekonferenz der Tiroler Landesmuseen, an der auch Wissenschafter der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft aus Berlin teilnahmen. Zuerst sei "ein Brief aufgetaucht", was bereits "an sich eine Sensation für sich gewesen wäre", weitere vier Briefe hätten schließlich den "Jahrhundertfund" aus dem Lebens des 1811 verstorbenen berühmten Schriftstellers besiegelt. Es handle sich um den größten Fund an Kleist-Autografen seit über 100 Jahren.
"Großartig, etwas Vergrabenes zu finden"
Es sei schlicht "großartig, so etwas Vergrabenes zu finden", sagte Weiss weiters zu seinem Fund im Teilnachlass, der ursprünglich mittels eines Schenkungsvertrages seinen Weg von Südtirol nach Innsbruck in die Landesmuseum-Bibliothek gefunden hatte. "Ich habe mich wie ein Literatur-Detektiv gefühlt", beschrieb der Literaturwissenschafter, der vor rund zwei Jahren auf die Landesmuseen zugekommen war, seine Gefühle während seiner Entdeckungsreise, die schließlich zur "Krönung meines wissenschaftlichen Schaffens führte".
Roland Sila, Leiter der Landesmuseum-Bibliothek, beschrieb die "skurrilen Umstände im Jahr 2007", unter denen der Teilnachlass damals in die Landeshauptstadt und in seine Hände kam. "Ich wurde ursprünglich wegen eines anderen Nachlasses nach Südtirol gerufen", berichtete er. In "289 Obstkisten in einem Keller" hätten sich aber schließlich "mehrere tausend Dokumente befunden", bei denen ad hoc klar gewesen sei, dass sie "von großem Interesse sind".
Diese Einschätzung von Sila bestätigte sich schließlich spätestens mit der aufgenommenen Forschungstätigkeit von Weiss. Die Briefe sind zwischen dem 22. Mai 1809 und dem 28. Jänner 1810 datiert und sind somit dem späten Leben Kleists, der 1811 Suizid beging, zuzuordnen. Die Briefe sind direkt an den österreichischen Diplomaten Joseph von Buol-Berenberg gerichtet. Buol war Zentrum eines Kreises von patriotisch gesinnten Personen, die auf einen Kriegseintritt Preußens gegen Napoleon drängten. In einem Brief beklagt Kleist etwa, dass es "keine Rettung für Deutschland" und keine "Hoffnung für die Publikation seiner politischen Schriften" mehr gebe. Der fünfte und letzte Brief bleibt rätselhaft: Kleist berichtet darin von den Folgen eines nicht näher bestimmten gescheiterten Projektes, das ihn nach Frankfurt am Main führte.
Den monetären Wert dieses "Sensationsfundes" wollte Sila auf Nachfrage vor Journalisten nicht benennen. "Uns als Gedächtnisinstitution geht es vor allem um den dokumentarischen und wissenschaftlichen Wert", strich er heraus. Es gehe nunmehr darum, dass der Fund für den "Zugriff der Wissenschaft" und für "weitere Forschung" verfügbar ist, so Sila. Auch die breitere Öffentlichkeit hat darauf Zugriff: Der Fund wird im "Kleist-Jahrbuchs 2024" veröffentlicht.
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