Von süßem Katzenflausch zum zerstückelten Kadaver: Das geht bei Satoko Ichihara in nur wenigen Minuten. Also, bitte, zur Beruhigung: Nicht die Katze wird zerstückelt. Der geht es im Stück „Kitty“ der japanischen Dramatikerin, das am Sonntag bei den Festwochen Premiere hatte, eigentlich noch am besten. Ichihara ist bekannt dafür, gesellschaftliche Virulenzen, Klischees über Asien und (japanische) Popkultur mit allerlei verfremdenden Zutaten zu einem fordernden Abend mit sehr, nun ja, individuellem Witz zu verarbeiten. Vor drei Jahren war sie mit ihrer Version von Puccinis „Madama Butterfly“ bei den Festwochen zu Gast und schon damals waren ihre Lieblingsmotive Hello Kitty und Riesenpenis mit dabei. In „Kitty“ nun ist die berühmte Comic-Katze überhaupt so eine Art Schutzgeist, der in verschiedenen Ausformungen auftritt.
Disziplin durch Vergewaltigung
Einerseits als groteske Masken aus Müll und Kabelbindern, an denen gerade noch die großen Augen sehr fern an Niedlichkeit erinnern. Die tragen die Eltern von Kitty, die wiederum eine Perücke mit Katzenohren trägt. Das Familienleben ist nicht von langer Dauer: Der Vater, der die Mutter durch Vergewaltigung diszipliniert, wenn sie ihm kein Fleisch serviert, fällt seinerseits einer Aktion von Frau und Tochter zum Opfer. Die haben ihm nämlich einmal so richtig viel Fleisch zubereitet, und das auch noch in Menschenform. Blöd nur, dass das Fleischwesen nicht verspeist werden will, also muss - nach ausgiebigem Tanz über die Bühne - der Vater dran glauben. Katze Charmy - eine Roboterpuppe, die das Publikum schon vor Beginn des Stücks kopfnickend begrüßt hat - nutzt die Chance und kostet ein bisschen vom schlachtfrischen Genital. Daraufhin ist das Tier so zufrieden, dass es wegläuft.
Porno ist überall
Das Fleischwesen wurde von der Tochter nach dem Aussehen einer Prostituierten modelliert, die ihr Vater offenbar bezahlt hat. Hier treffen sich die verschiedenen Assoziationen von Fleisch, die Ichihara die Ichihara in einem Metaphernorgasmus zusammenrührt. Nachdem Kitty, die sich bei ihren zahlreichen erneuten Auftritten, dargestellt von verschiedenen Schauspielerinnen, immer wie in einem Dating-Chat als „Skorpion-Mädchen“ vorstellt, unversehens eine Laufbahn in Pornobranche („Man ist jederzeit Statist in einem Porno!“) und Sex-Arbeit einschlägt, liegt das Heil im Abschwören von allem Fleischlichen. Mit einer Rakete wie aus dem Bastel-Kinder-TV geht es auf einen fernen Planeten. Dort gibt es Sex nur zur Fortpflanzung und gegessen wird nur Gras. Bis man doch Lust auf Fleisch kriegt, dann muss man sich halt gegenseitig essen. Da kann man noch so ein putziges Anime-Tierchen aus der KI sein, wie sie im rosa gehaltenen Video eingespielt werden.
Miau, Miau, Miau
Alles an „Kitty“ ist irgendwie irritierend: Die Schauspielerinnen (Sung Soo-yeon, Yurie Nagayama, Birdy Wong Ching Yan, Yuka Hanamoto) bewegen sich fort wie Roboter mit Fehlfunktionen oder wie Mr. Monk, der jeden Pflasterstein betreten muss, dann wieder posieren sie in einer Art Ballett-Tourette. Dazu kommt teils pubertärer Kicherhumor, wie der Würgeschlangenpenis in den Pornoszenen , der wiederum kontrastiert wird mit Videos von sich zu Tode rammelnden Hamstern. Wenn man sagen würde, dass sich ein erheblicher Erkenntnisgewinn außer Sexarbeit ist Ausbeutung und Kapitalismus ist auch nicht superer, wenn es um Putziges geht, einstellt nach dieser zu langen Gruselstunde im Kawaii-Gewand, wäre es übertrieben. Aber vielleicht wäre ja der Schlüssel im gehirnerweichenden Sountrack, einem ewig wiederholten Synthieloop, versteckt gewesen. Der Text ist aber schwer übersetzbar: „Miau Miau Miau, Miau Miau Miau, ...“
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