Keine zehn Jahre ist es her, da galt Renate Bertlmann als eine zu Unrecht vergessene Künstlerin, die mediale Erzählung sprach von Wiederentdeckung und Neubewertung. Sie gipfelte darin, dass Bertlmann 2019 den Österreich-Pavillon der Venedig-Biennale bespielte.
Heute ist die Ausgangslage eine andere: Die große Werkschau der Künstlerin, die im Februar ihren 80. Geburtstag feierte, zeigt jemanden, der im Kanon der jüngeren österreichischen Kunstgeschichte angekommen ist.
Trotzdem überrumpelt einen die schiere Menge an Objekten, Installationen, Gemälden, Zeichnungen und Fotografien, die einen Zeitraum von 1968 bis heute umspannen: Rund 200 Exponate sind es, die Belvedere-Chefkuratorin Luisa Ziaja aus Bertlmanns noch viel reicherem Fundus geholt hat.
Provokante Dinge sind da dabei, mutige Statements, auch jede Menge Kitsch, Plastik und Sexspielzeug, denn Bertlmann überschritt gern und bewusst die Grenzen dessen, was Gesellschaft und Kunstwelt als schön und angemessen ansahen.
Material & Menge
Es gilt, zwischen der Stimmigkeit und der Brisanz dieser Werke und ihrer Aufbereitung im Obergeschoß des Ausstellungspavillons einen Trennstrich zu ziehen.
Letztere ist nicht vollständig gelungen: Die Aneinanderreihung von Papier- und Fotoarbeiten, die in ständig wechselnder Hängehöhe oft wie von einer Zentrifuge an die Außenwände des Parcours gedrückt scheinen, strengt an und fördert ein Vertiefen und Vergleichen nicht. Anleitende Texte sind oft auf den Rückwänden jener Kojen montiert, in denen die betreffenden Werke stehen, was die Orientierung ebenfalls erschwert – und es ist nicht immer nachzuvollziehen, warum Werkgruppen wie die Plexiglas-Rollstühle der 1970er-Jahre in derart vielen Versionen gezeigt werden müssen.
Sich in Bertlmanns ästhetischen Kosmos zu vertiefen, ist nichtsdestotrotz ein erhellendes, wenn auch nicht immer angenehmes Erlebnis. Das liegt gar nicht so sehr an dem harten Konfrontationskurs, den die studierte Restauratorin von Beginn ihrer Laufbahn an gegen Mutterrollen, Schönheitsideale und kirchliche Moral fuhr.
Material & Melancholie
In der Zusammenschau im Belvedere beschleicht einen auch eine tiefe Melancholie, die sich in der Ästhetik des Materials äußert: Es ist eine Welt aus Latex, Plexiglas und Plastik, die zwar von Sinnlichkeit, Sex, Berührung und Zärtlichkeit erzählt, die Erfüllung dieser elementaren Bedürfnisse aber so gut wie immer im Bereich des Künstlichen und damit des Unerreichbaren hält.
Der Schnuller ist seit jeher eines der zentralen Bertlmann-Latex-Objekte, er wird oft – besonders drastisch in der Zeichnung „Die missgebildeten Menschen von morgen“ (1975) – zum Werkzeug der Konditionierung umgedeutet. In einem auf einem monumentalen Flügelaltar montierten Selbstporträt (Titel: „Wann werden uns die Theologen endlich etwas von Zärtlichkeit erzählen“, 1979) trägt Bertlmann als Schmerzensfrau Schnuller statt einer Dornenkrone am Kopf.
Die Latex-Dildos, die in zahllosen Bertlmann-Werken vorkommen, machen letztlich nur kenntlich, wie männliche Schwanzvergleichsobsessionen auch noch das Territorium weiblicher Lust okkupieren.
Mit der Konfrontation des Erotik-Vokabulars mit kirchlichen Ritualgegenständen schließlich transponiert Bertlmann die Hoffnung auf Erfüllung ins Spirituelle – auch hier ist es das Unechte, Kitschige, das die Einlösung des Versprechens unwahrscheinlich wirken lässt.
Die ganze Ausstellung, ja vielleicht das ganze Werk, singt „I Can’t Get No Satisfaction“ in einer feministisch gestimmten Tonlage. Unbefriedigend, ja – aber doch in einer Art, die einen nicht leicht wieder loslässt.
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