Karl-Markus Gauß: Daheim zwischen Salzburg und Sarajevo
Ein weiß gelockter Schopf taucht wie aus dem Nichts auf dem Salzburger Residenzplatz auf. Dahinter folgt, mit skeptischem Blick, sein Besitzer, der Schriftsteller Karl-Markus Gauß.
Mühsam sei der Dreh dieser Szene gewesen, erzählt Gauß dem KURIER. Wann, bitteschön, ist denn dieser Platz einmal leer und ohne Touristen zu bewundern?
Ein Touristen-Problem hatte Regisseur Johannes Holzhausen im Lauf der Dreharbeiten seines Films „Schlendern ist mein Metier“ später keines mehr. Der Film führt dahin, wo noch eher kein „Overtourism“ herrscht. Er begleitet Gauß und seine Frau Maresi von deren Salzburger Zuhause zu den Rändern Europas, wo Gauß oft unterwegs ist. Um zu recherchieren und zu sammeln, um mit der Füllfeder Eindrücke in Notizbüchern festzuhalten. Niemals aber, um zu tatsächlich zu schreiben, das tut er daheim. Denn er reist nicht, um sich selbst zu verlieren, sondern um sich auf Reisen „selbst zu begegnen“.
Cremeschnitten
So begleitet der Film Gauss und seine Frau in die serbische Stadt Futog in der autonomen Provinz Vojvodina, von wo Gauß’ Mutter stammt. In einem heruntergekommenen Pfarrhaus zeigt ihm ein hagerer Pfarrer in fadenscheinigem Talar früheste Dokumente seiner Familie. „Ein Erlebnis“, sagt Gauß. Obwohl die Begegnung natürlich nicht so intim war, wie sie im Film wirkt, schließlich war das Kamerateam dabei.
Durch das nahe gelegene Novi Sad schlendert Gauß mit László Végel, Angehöriger der ungarischen Minderheit, neben Danilo Kiš und Aleksandar Tišma einer der großen Autoren der Vojvodina. Hier tritt er vor allem als Freund auf. „Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren. Ein großartiger Schriftsteller und witziger Mensch. Er gehört wiederentdeckt.“ Die Rede ist dann von der Geschichte der Stadt Novi Sad und ihren altösterreichischen Spuren, nicht zuletzt den Cremeschnitten. Und davon, dass Végel eines der großen Vorbilder des ungeraischen Schriftstellers Péter Esterházy war.
Von untergegangenen Imperien, neue Reichen und nicht verheilten Wunden der Vergangenheit schreibt Gauß. Ihre Zeugen trifft er in diesem Film. In Sarajewo etwa eine eigenartige Inszenierung eines Denkmals, auf dem das österreichische Thronfolgerpaar und dessen Attentäter Gavrilo Pricip in trauter Zweisamkeit abgebildet sind. Hier trifft er auch den Germanisten Vahidin Preljević, mit dem er sich darüber unterhält, warum es fatal ist, Geschichte als Naturereignis zu betrachten und ihr mit Fatalismus zu begegnen.
Wieder daheim, wird Gauß ordnen, sortieren und irgendwann mit dem Schreiben beginnen. Vorher aber muss er Zeitung lesen. Barbara Beer