Jerusalem Symphony in Wien: "Sollen wir den Kopf einziehen und in Israel bleiben?"

Jerusalem Symphony in Wien: "Sollen wir den Kopf einziehen und in Israel bleiben?"
Janna Gandelman, Konzertmeisterin des Jerusalem Symphony Orchestra, über die tägliche Gefahr als Routine, Proteste und den 7. Oktober.

Das Jerusalem Symphony Orchestra gastiert am Dienstagabend im Wiener Konzerthaus mit Werken von Mieczysław Weinberg, Max Bruch und Tschaikowsky. Das Konzert ist Teil einer Tournee, die das Orchester nach Deutschland, Wien und Liechtenstein führt. Der KURIER erreichte die Konzertmeisterin Janna Gandelman vor dem Abflug des Orchesters nach Europa.

In Tel-Aviv seien die Straßen voll von ausgelassenen Menschen, erzählt sie. „Wir feiern in diesen Tagen Purim. Meine Tochter hat mich gefragt, ob sie mit ihrer kleinen Tochter rausgehen soll. Ich habe ihr gesagt, ich würde sofort mitgehen und sie beschützen“, schildert Janna Gandelman die Stimmung der vergangenen Tage in Israel. Purim, ein Fest, das das Überleben der Juden in der persischen Diaspora zelebriert, kann heute als Symbol für ungebrochene Unerschrockenheit gesehen werden. 

Die manifestiert sich auch im Gespräch mit Gandelman.

Vielleicht sei die Möglichkeit, dass etwas passieren könne seit dem 7. Oktober 2023, also seit dem Terrorangriff der Hamas, etwas mehr geworden. „Aber wir versuchen, dem keine Beachtung zu schenken. Das ist Teil des israelischen Lebens. Das ist nichts Neues für uns. Wir haben keine Angst“, konstatiert Gandelman. Seit 2009 ist sie Konzertmeisterin des traditionellen Jerusalem Symphony Orchestra.

Den österreichischen Geiger Julian Rachlin, der Anfang Oktober 2023 Chefdirigent des Orchesters wurde, schätzt sie sehr. Sein Antrittskonzert konnte noch stattfinden. Doch dann kam der 7. Oktober, der Terrorangriff der Hamas auf Israel.

„Was da passiert ist, war wie ein weiterer Holocaust. Schrecklich war das, mir fehlen die Worte, das zu beschreiben“ fügt sie mit Nachdruck hinzu. Es gäbe in Israel nahezu niemanden, der nicht jemanden kennt, der von diesem Attentat betroffen ist, erklärt Gandelman. Ein für diesen schrecklichen Tag geplantes Konzert musste abgesagt werden.

„Was da passiert ist, war so furchtbar, da konnte selbst Musik nicht helfen. Es wollte in dieser Zeit auch niemand spielen. Aber Rachlin kam zurück, im Dezember nahmen wir unsere Arbeit wieder auf“, blickt sie zurück. Leicht sei das nicht gewesen, denn die Raketen waren ständig um uns herum, natürlich wirke sich das auf die Psyche aus, „aber“, setzt sie fort, „das gehört zur Routine. Rachlin hat das nichts ausgemacht. Er ist ein Teil von uns, das gibt uns soviel Energie“, lobt die Konzertmeisterin ihren Chefdirigenten.

Wie sieht sie das verstärkte Aufkommen von Antisemitismus nach dem 7. Oktober? Antisemitismus habe es immer gegeben. „Wenn ich allein reise, ist es mir egal, Ich bin stolz, Jüdin zu sein. Aber man sagte uns, wenn wir in der Gruppe auftreten, sollten wir nicht sofort jedem unseren Pass zeigen. Aber was haben wir denn für eine Wahl? Sollen wir den Kopf einziehen und in Israel bleiben?“

Auch mit Protesten habe sie nicht nur einmal Erfahrung gemacht. Noch heute erinnert sie sich an ein Konzert mit dem Israel Philharmonic Orchestra und Zubin Mehta bei den Proms in London. „Da warfen die Leute Eier auf die Bühne, aber Mehta spielte das Konzert zu Ende. Ich war schockiert, als ich hinausging, sah ich keine Palästinenser, sondern nur Engländer, die für Palästina protestierten. Ich denke, die meisten haben überhaupt keine Ahnung von Israel.“

Über dieses Konzert wurde berichtet. Aber vieles erfährt die Öffentlichkeit nicht. In Chile war ein Bewaffneter auf das Orchester losgegangen, als es in den Bus steigen wollte. „Aber die Sicherheitskräfte konnten ihn aufhalten.“ In Brasilien seien sie einmal so bewacht gewesen, als wäre der amerikanische Präsident im Orchester, blickt Gandelman zurück. Im Jerusalem Symphony Orchestra spielen ausschließlich jüdische Musikerinnen und Musiker. Wie denkt sie über Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, das jüdische und muslimische Mitglieder vereint? „Das ist ein guter Weg. Ich selbst unterrichte muslimische Schüler und glaube, so ließen sich Krieg, Antisemitismus und Hass zwischen den Menschen besiegen.“