Er war der beliebteste Quizmaster Deutschlands. Ein „Schwerarbeiter der leichten Muße“, der hunderte Ratespiele erfunden hat. Ein kleiner, energetischer, hemdsärmeliger Entertainer, der mit seinen Rätselkandidaten, egal, ob es sich dabei um Prominente oder um Leute von der Straße handelte, auf Augenhöhe sprach. Der sich mit ihnen freute und als Ausdruck seiner Anerkennung enthusiastisch in die Höhe hüpfte, „Das war spitze!“ rief. Ab Mai 1971 tat er das 153 Mal. So oft war er mit der Rate-Sendung „Dalli Dalli“ im Fernsehen zu sehen. Immer dabei: Schnellzeichner Oskar, die außergewöhnlich hässliche Bienenwabenkulisse und Rosenthals rastlose Energie.
Nur einmal war es anders. Am 9. November 1978 sollte eine Jubiläumssendung ausgestrahlt werden. Hans Rosenthal bat, sie zu verschieben. Der 9. November, die Reichspogromnacht, war für ihn ein Gedenktag, der in diesem Jahr zum ersten Mal offiziell vom deutschen Staat in der Kölner Synagoge ausgerichtet werden sollte. Er wollte teilnehmen. Die ZDF-Programmleitung verweigerte seine Bitte. Die Show wurde aufgezeichnet. Rosenthal war an diesem Tag ernster als sonst. Und er trug, was er sonst nie tat, einen schwarzen Anzug. Eine Episode, die viel erzählt über den Charakter dieses bescheidenen Mannes, dessen Heiterkeit seine ernste Seite oft überdeckte. Er verweigerte die Aufnahme nicht. Er trug einfach nur Schwarz. Trauerte still. Nachzulesen ist das in Adriana Altars Vorwort zu Hans Rosenthals Autobiografie, die nun anlässlich seines 100. Geburtstages am 2. April neu aufgelegt wurde. „Zwei Leben in Deutschland“ heißt sie. Als sie 1980 erschien, kannten viele nur das zweite, das öffentliche Leben des Hans Günter Rosenthal.
Geboren 1925 in Berlin-Wedding, hatte Hans eine unbeschwerte Kindheit. Sie dauerte bis zu seinem achten Lebensjahr. Die Rosenthals waren liberale Juden, die nicht auf die Idee gekommen wären, dass sie womöglich nicht dazu gehörten. Der Vater pflegte zu sagen: „Es gibt katholische Deutsche und jüdische Deutsche, wir sind jüdische Deutsche.“ Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 kam die Zeit, als man den Juden das Deutschsein absprach. Hans spürte bald, dass sich etwas zusammenbraute. 1937 entließ die deutsche Bank seinen Vater, er starb bald danach mit nur 37 Jahren. Erspart blieb ihm das Schockerlebnis der sogenannten „Reichskristallnacht“. „Sie hat“, schreibt Hans Rosenthal in seinen Erinnerungen, „den deutschen Juden, die glaubten, zum Schlimmsten werde es nicht kommen und das deutsche Volk werde diese Barbarei nicht hinnehmen, auf einen Schlag alle Illusionen genommen.“ Bald stirbt die Mutter, sie geht an Magenkrebs zugrunde, dem auch Hans Rosenthal 1987 mit erst 61 Jahren zu Opfer fallen wird.
Da waren also Hans und sein kleiner Bruder Gert. Zwei jüdische Waisenbuben, allein. Onkel, Cousins, Cousinen – verschleppt und ermordet. Hans und Gert mussten ins Waisenhaus, von wo sein erst neunjähriger Bruder bald mit einem Kindertransport fortgeschickt wurde. Von seinem letzten Taschengeld hatte er noch Postkarten gekauft und wollte dem großen Bruder täglich schreiben. Hans Rosenthal sah seinen Bruder nie wieder. Er selbst überlebte in einem Versteck. Zwei Jahre harrte er in einem Verschlag auf vier Quadratmetern aus, die er nur verließ, wenn Bombenalarm war: Wenn alle anderen sich verstecken mussten, traute er sich hinaus.
Aufs Spiel gesetzt
Die beiden Frauen, die ihn beherbergt, ihr eigenes Leben riskiert und ihre kargen Lebensmittelrationen in allergrößter Hungersnot mit dem Buben geteilt hatten, waren wohl der Grund, warum Hans Rosenthals zweites Leben zu dieser unglaublichen Erfolgsgeschichte wurde. „Dadurch, dass ich in der schlimmsten Zeit zwei Menschen kennengelernt habe, die ihr Leben für mich aufs Spiel gesetzt haben, habe ich auch das gute Deutschland kennengelernt.“
Deshalb blieb er. Blieb in Deutschland und blieb ein Rastloser, der es immer eilig hatte. Als ob er wusste, dass er nicht lang leben würde. Im Versteck hatte er Radio gehört, der Wunsch, selbst dabei zu sein, wuchs in ihm. Wenige Tage nach der Kapitulation ging er zum Berliner Rundfunk, wo er der damals russisch besetzten Sendeleitung mitteilte, er wolle „Raboti“, arbeiten. Der Rest ist Mediengeschichte.
Politischer Journalist hatte er werden wollen, er blieb in der Unterhaltung, wo er halb Deutschland vor den Fernseher brachte. Für ihn persönlich blieb das eine Sensation. Er, der Verfolgte, wurde einer der beliebtesten Deutschen. Wenn ihm die Kinder aus der Nachbarschaft „Dalli Dalli“ nachriefen, dachte er: „Ja, ich habe mich immer beeilt im Leben. Nicht, um dem Glück nachzulaufen, sondern um dem Unglück zu entgehen. Und dabei bin ich dem Glück begegnet.“
Kommentare