KURIER: Herr Levit, die Doku über Sie heißt „Igor Levit – No Fear“. Haben Sie wirklich keine Angst, wenn Sie vor 2.000 Leuten auf ein Podium gehen und Beethoven spielen?
Igor Levit: Was die Bühne anbelangt, habe ich keine Angst. Bühne ist für mich ein Ort der Freiheit – ein angstfreier Raum. Auf der Bühne und generell am Klavier kann mir nichts passieren. Ich empfinde das als Geschenk und Privileg – als einen Ort der absoluten Freiheit.
Sie stehen schon jetzt stark in der Öffentlichkeit. Was hat Sie daran interessiert, bei einem Film mitzumachen?
Ich habe dem Filmprojekt zugestimmt, weil ich der Regisseurin Regina Schilling vertraut habe. Ich bin extrem Menschen bezogen und treffe so auch meine Entscheidungen. Die Frage „Was gebe ich preis?“ stand kaum im Raum, weil wir so ein gutes Einverständnis miteinander hatten. Es gab kaum Barrieren.
Die Kamera rückt Ihnen in langen Einstellungen zu Leibe und zeigt auch die große Anstrengung, die Ihnen ein Klavierstück abverlangt. Fühlten Sie sich manchmal gestört?
Ich habe die Regisseurin und ihr Team nie als Einengung empfunden. Manchmal war ich genervt –, aber das habe ich dann auch gesagt, und es war okay. Die meiste Zeit war es ein ganz natürliches Miteinander.
Apropos Anstrengung: Sie haben während der Pandemie 52 „Hauskonzerte“ gestreamt, unter anderem 15 Stunden lang Erik Satie. Wie hält man das rein physisch durch?
Diese Erfahrung war interessant. Es gab keinen Moment, wo ich das Gefühl hatte, ich muss abbrechen. Der Körper hat das wunderbar mitgemacht, die Psyche auch. Ich erinnere mich aber an zwei, drei Momente, wo ich sehr wütend war und dachte: „Es kann doch nicht sein, dass ich seit gefühlten 788 Stunden Klavier spiele und der Stapel von 840 Seiten immer noch so groß ist (spreizt Daumen und Zeigefinger weit auseinander). Nach gefühlten 900 Stunden war es nicht anders. Bis ich irgendwann dachte: „Komisch. Jetzt ist der Stapel nur noch so groß (zeigt einen Zentimeter). Die lange Dauer des Stücks hat mich also kurz einmal gefuchst. Aber ich habe es, ehrlich gesagt, ziemlich genossen. Danach war ich high bis zum Abwinken. Früh morgens war es vorbei, und der Tag, der dann kam, war sehr feucht-fröhlich.“
Kann Streaming ein Live-Erlebnis ersetzen?
Ich wollte mit dem Streaming nicht ein Konzert ersetzen. Darum ging es gar nicht. Viele sagten mir, wie viel ich ihnen mit den „Hauskonzerten“ geschenkt habe, und das ehrt mich. Ich muss aber auch sagen: „Freunde, euch muss klar sein, wie viel ihr mir geschenkt habt.“ Das hat mich gerettet. Dadurch konnte ich die Überzeugung beibehalten, warum ich überhaupt Klavier spiele: Und das ist das Teilen mit anderen, das Spielen für Menschen. Hätte es diese Form von Social Media nicht gegeben, ich hätte es nicht geschafft, für mich alleine zu arbeiten.
Sie erzählen in der Doku, dass Sie in einem Modegeschäft beleidigt wurden und daraufhin wutentbrannt ins Fitnessstudio liefen, um radikal abzunehmen – was Sie auch taten. Sind Sie sehr streng mit sich?
Ich bin sehr streng und sehr hart zu mir. Grundsätzlich liebe ich das Leben, und ich glaube, ich bin meinen Freunden ein sehr guter Freund. Man kann mit mir sehr lustige Zeiten haben. Zu mir selbst aber bin ich sehr kritisch. Das Wort „diszipliniert“ ist bei mir fast zu wenig. Ich bin tendenziell nicht sehr gut darin, gut zu mir zu sein. Daraus entsteht eine gewisse Selbstrenge. Und das begann nicht erst mit dem Abnehmen. Aber das Abnehmen und die körperliche Transformation ist sicher ein Beispiel für diese Art der Konsequenz. Ich bin ein sehr konsequenter Mensch.
Sie waren lange sehr aktiv auf Twitter, haben die Plattform aber vor ein paar Monaten verlassen. Warum?
Twitter hatte für mich über elf Jahre eine ungeheure Wichtigkeit. Es war eine Lern- und Kommunikationsplattform für mich. Ich habe mich für Minderheiten und Flüchtlinge stark gemacht. Aber mittlerweile gibt es immer weniger Kommunikation auf Twitter, stattdessen werden Menschen vernichtet. Die Gefahrenlage von rechts ist mit nichts zu vergleichen. Diese Shitstorms, diese Art der brutalen Kommunikation – ich wollte das nicht mehr sehen.
Die Doku „No Fear“ endet damit, dass Sie Klimaaktivisten mit ihrem Klavierspiel unterstützen. Sie selbst sind Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Was halten Sie von den sogenannten „Klimaklebern“?
Dazu habe ich eine geteilte Meinung. Ich bin einerseits Künstler und kann nicht aus meiner Haut heraus. Wenn irgendeine Soße auf einen Bilderrahmen fällt, tut mir das weh. Ich kenne viele Aktivisten persönlich, und das sage ich ihnen auch. Ich frage: „Was hat Euch der Bilderrahmen getan?“ Auf der anderen Seite: Die Klimabewegung macht darauf aufmerksam, wie wir unseren Planeten zugrunde richten. Da muss die Frage erlaubt sein: „Wer ist radikal? Derjenige, der sich auf eine Straße klebt, oder derjenige, der unseren Planeten gegen die Wand fährt?“ Ich habe ein Künstlerherz, aber die Aktivisten haben meine Unterstützung.
Sie kommen demnächst wieder nach Wien. Welche Programme bringen Sie mit?
Im März spiele ich Hans Werner Henzes „Tristan“ im Musikverein mit dem ORF-Orchester. Und dann immer wieder Klavierabende und Orchesterabende mit den Wiener Philharmonikern. Ich bin sehr viel und sehr gerne in Wien und sehr viel und sehr gerne in Österreich. Davon können Sie ausgehen (lacht). Die Verbindung zu den Festspielen im Allgemeinen und zu Markus Hinterhäuser (Intendant der Salzburger Festspiele, Anm.) im Besonderen, ist es eine zutiefst freundschaftliche und enge Verbindung. Markus ist mir ein sehr wichtiger Freund, Partner und Freund in meinem Leben, auch musikalisch. Ihr Heimatland wird mich auch in der nächsten Zukunft viel sehen.
Zum Abschluss: Wer ist denn Ihr Lieblingskomponist?
Leonard Cohen. Können Sie damit leben?
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