Mit Fragen zur Gegenwart, die auch "Spaß machen", will der neue Direktor Publikum gewinnen. Außerdem soll das Museum freundlicher zu den Menschen sprechen, wie er findet.
Ralph Gleis plant, die Albertina durch eine stärkere Verbindung von Sammlung und Ausstellungen sowie aktuelle Fragestellungen und neue Präsentationsformen zu modernisieren.
Er betont die Bedeutung einer dialogorientierten und zeitgenössischen Ansprache des Publikums.
Gleis sieht das private Mäzenatentum als wichtig an und betont den Nutzen von Partnerschaften. Mit der Sammlung Viehof wurde zuletzt eine Kooperation vereinbart
Mit Jahresbeginn hat Ralph Gleis (51) offiziell die Leitung der Albertina von deren Langzeitdirektor Klaus Albrecht Schröder übernommen. Der Kunsthistoriker wirkte zuvor in Berlin als Chef der Neuen Nationalgalerie. Dank einer langen Tätigkeit als Kurator im Wien Museum und einer Dissertation zum Maler Anton Romako darf er aber als Österreich-Kenner gelten.
KURIER: Die Albertina wird gern als Museumstanker bezeichnet. Wenn Sie da jetzt auf die Kommandobrücke klettern und sich umschauen, was sehen Sie da?
Ralph Gleis: Auch wenn ich selbst ein anderes Bild bemühen würde: Mein Blick ist in die Zukunft gerichtet, auf das weite, offene Meer. Und wenn ich am Schiffsdeck entlangschaue, sehe ich ein hochmotiviertes Team, das mich ganz herzlich willkommen geheißen hat und das auch Lust auf Veränderung hat. Insofern beste Startbedingungen, würde ich sagen.
Aber steuern Sie durch ruhige See – oder gibt es auch dunkle Wolken am Horizont?
In diesen Krisenzeiten ist da eine mitunter auch stürmische See, aber ich bleibe grundsätzlich Optimist. Bei dem Programm, das wir jetzt aufgestellt haben, konnte ich ja schon seit anderthalb Jahren mitwirken. Ich bin angetreten, um die Albertina auch neu zu denken. Die größere Blickrichtung ist aus der Geschichte dieser Institution entwickelt, die als graphische Sammlung gestartet ist und in den letzten Jahren vor allem als Ausstellungshaus mit hohem Publikumszuspruch gut dagestanden ist. Es ist aber so gewesen, dass man zunächst die Sammlung hatte, dann die Ausstellung.
Jetzt geht es für mich in einem nächsten Schritt darum, die Sammlung mehr in den Vordergrund treten zu lassen und auch in den Ausstellungen deutlich werden zu lassen, woraus wir schöpfen und wer hier arbeitet. Die historische grafische Sammlung ebenso wie die Sammlungen, die zuletzt dazugekommen sind, bedeuten eine Verpflichtung, uns damit zu befassen, sie zu erschließen und zugänglich zu machen.
Das heißt, die prinzipielle Kursänderung ist eine Rückbesinnung auf die Sammlung?
Ich würde das nicht als Kursänderung, sondern als Weiterentwicklung sehen. Ich möchte Sammlung und Ausstellungen stärker zusammen denken, Kunst neu erfahrbar machen: vor allem durch Fragestellungen, die uns aktuell bewegen, neue Hands-on-Elemente, neue Präsentationsformen in den Ausstellungen, Premieren von Künstlerinnen und Künstlern oder auch die Neuentdeckung der Sammlung. Das Programm wird weiblicher – im ersten Jahr sind allein sechs Soloshows für Künstlerinnen dabei. Wir werden also anders an Ausstellungen herangehen.
Es gibt mehr Themenausstellungen, die ich vorher nicht so wahrgenommen habe. Sie basieren auf internationalen Kooperationen oder werden aus der Sammlung heraus entwickelt. Mir ist immer wichtig, dass Ausstellungen eine These verfolgen. Wenn wir große Namen wie Damien Hirst haben, geht es darum, ihn anders zu fassen als bislang. Er ist ja nicht als akademischer Künstler mit einem großen zeichnerischen Oeuvre bekannt, aber er kommt aus dem Zeichnen, jedes Werk bereitet er durch Zeichnungen vor. Mich freut es, einmal andere Qualitäten weltberühmter Künstler zu zeigen.
Die Albertina ist zugleich ein altes und ein junges Museum – als Palais verbreitet sie historisches Flair, auch wenn die Patina fehlt, zugleich begegnet sie einem als moderne Ausstellungshalle. Wo liegt für Sie der gemeinsame Nenner?
Ein Museum muss zeitgenössisch sein, um relevant zu sein. Das bedeutet, dass die Kunst, egal aus welchem Jahrhundert, mit aktuellen Fragen dem Publikum präsentiert wird und dass die Haltung, die wir gegenüber dem Publikum einnehmen, nicht jene des Dozierens ist, sondern eine des Dialogs. Wir stellen uns letztlich auch ähnliche Fragen in der Ausstellungsvorbereitung wie das Publikum selbst und versuchen, interessante Themen zu finden, die uns Spaß machen und die uns mit der Kunst von damals verbinden. Es war meine Erfahrung in Berlin, dass sich so eine Ausrichtung an Themen nicht mit Popularität ausschließt. Wir waren mit dem Programm dort sehr erfolgreich und konnte die Besucherzahlen in sieben Jahren verdoppeln.
Die Albertina hat das Alleinstellungsmerkmal, dass ihr berühmtestes Bild nicht an der Wand hängt - der Dürer-Hase kann nur ganz selten gezeigt werden. Die Besucherfrequenz, um den Betrieb am Laufen zu halten, muss also durch Ausstellungen generiert werden – und Ihr Vorgänger setzte auf „Große Namen“ von Michelangelo bis Picasso. Wo unterscheiden Sie sich da?
In Berlin habe ich ein Format entwickelt, das ich intern scherzhaft „Kleine Ausstellung Großer Meister“ genannt habe. Wir haben Werke fokussiert zu einem Thema aus dem Oeuvre bekannter Künstler gezeigt – etwa Monets Stadtbilder. Dabei geht es mir mehr darum, zu akzentuieren: Welche Fragestellung ist heute für uns relevant oder interessant? Warum sollte man die 50. Ausstellung von Monet auch besuchen? Das ist ja die Frage, die Besucherinnen und Besucher sich stellen. Meine Antwort ist: Ich versuche neugierig zu machen mit Dingen, die überraschend sind, mit Neuentdeckungen, sei es aus der Sammlung oder aus der internationalen Museumsszene, wo wir Kooperationen schmieden können.
Wie funktioniert Museum in Wien anders als in Berlin? Sehen Sie da Unterschiede zwischen den Museumskulturen?
Es sind beides Orte, wo Museumsarbeit auf allerhöchstem Niveau funktioniert - da sehe ich gar nicht so einen großen Unterschied. Unsere Publika sind etwas verschieden. In Wien gibt es ein sehr kunstaffines Publikum, das viel Kenntnis hat, aber bei der Beurteilung von Ausstellungen, so glaube ich, öfters auf das Altbewährte setzt. In Berlin gibt es diese vielleicht nicht mehr so eine ungebrochene Tradition der des kulturellen Lebens, wo man mit Kunst aufwächst und ohnehin Museumsgänger ist. Dort sind Museen teils dynamischer und setzen oft auf Neues im Angebot für die Besucher und Besucherinnen. Das ist vielleicht etwas, das wir auf die Wiener Situation übertragen können – dass wir die Leute noch mehr neugierig machen.
Im MAK hat Direktorin Lilli Hollein das ehemalige Direktionsbüro in eine „Direktion für alle“ eingebaut – ein Aufenthalts- und Projektraum für Aktivitäten aller Art. Dass es auch um Aufenthaltsqualität abseits von reinen Schauräumen geht, ist in der Museumswelt ein großes Thema. Hat die Albertina überhaupt Raum und Ressourcen für so etwas?
Wir denken sehr wohl daran, aber wir haben natürlich hier auch ein großes Erbe mit einem historischen Palais. Und auch die Albertina Modern ist auf die Ausstellungsflächen begrenzt. Aber der Standort Klosterneuburg bietet gute Möglichkeiten, etwas umzuwidmen, Familien anders anzusprechen, neue Vermittlungsformate auszuprobieren.
Die Skandinavier sind auf dem Gebiet der Publikumsansprache sehr viel weiter als wir. An der aktuellen Kooperation mit der Nationalgalerie in Helsinki schätze ich, dass man nicht nur gemeinsam eine gute Ausstellung erarbeitet, sondern dass wir auch in Austausch über solche museale Grundideen treten. Dort gibt es auch gar nicht so viele zusätzliche Räume, aber die Ansprache und der Umgang mit dem Publikum durch das Team und die Ausstellungen hat einen ganz anderen, familiär niederschwelligen Charakter. Ich arbeite auch mit dem Team daran, das zu übertragen.
Wie sehen Sie die Rolle des Mäzenatentums? Es wird oft gesagt, dass die in Wien nicht so entwickelt sei. Gleichzeitig ist die Albertina wahrscheinlich von allen Museen diejenige Institution, die am stärksten darauf aufbaut.
Das private Engagement in Sachen Kunst finde ich extrem wichtig – und ich würde gar nicht sagen, dass das in Wien unterentwickelt ist. Man muss, glaube ich, die gegenseitige Wahrnehmung von Mäzenen und Museen stärker kommunizieren. Es ist auch wie in allen Bereichen ein Geben und Nehmen. Ich habe unlängst einen relativ jungen Sammler getroffen, der sich durch die Zusammenarbeit mit Museen Orientierung verspricht. Museen haben diese große Expertise, man kann zusammen auch etwas entwickeln. Und umgekehrt haben Museen nicht die finanziellen Mittel wie in früheren Jahrhunderten, um große Sammlungen aufzubauen. Die größten Zuwächse passieren heute durch umfangreiche private Sammlungen, die an die öffentliche Häuser gelangen.
Sie präsentieren 2025 die Sammlung Viehof - ist das eine Leihgabe oder eher ein Gastspiel?
Gute Frage. Wir haben wir gerade einen langfristigen Vertrag abgeschlossen, und es ist eine Partnerschaft, in der wir jederzeit aus dieser Sammlung Werke entleihen können. Die Sammlung ist eher in Deutschland als in Österreich bekannt, und wir zeigen Werke von Gerhard Richter bis Katharina Grosse verbunden mit unserem eigenen Sammlungsbestand. Das ist eine Win-Win-Situation: Die Sammlung gewinnt an öffentlicher Wahrnehmung, und wir haben einen zusätzlichen Fundus an Werken, ohne dass wir uns dauerhaft um Lagerplatz, Versicherung etc. sorgen müssen.
Abseits von Kooperationen, die für Ausstellungen geschlossen werden, waren immer wieder auch Dependancen im Gespräch – so gab es einmal Pläne für einen Albertina-Außenposten in Seoul. Ist das etwas, was Sie sich mittelfristig vorstellen können?
Im Moment sehe ich das nicht. Ich würde sagen, dass wir uns schon viel ins Aufgabenheft geschrieben haben. Wir haben Wachstum in verschiedener Hinsicht im Haus, aber ich sehe im Moment nicht die Notwendigkeit einer ausländischen Dependance.
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