Boomer, Gen Z und Palästinensertuch: Tanz zwischen Generationen

Gen-Z-Vertreter Mariotte (Jg. 2001) und die 65-jährige de Keersmaeker in „BREL“.
Von Silvia Kargl
Anne Teresa De Keersmaeker zählt seit vielen Jahren zu den gefragtesten Choreografinnen der Gegenwart und gastiert seit drei Jahrzehnten nahezu jährlich bei ImPulsTanz. Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass sie dieses Jahr neben Marina Abramović den großen japanischen Kulturpreis Praemium Imperiale bekommt. Auch ihr neues Duo „BREL“ im Akademietheater ist ein einzigartiges Werk, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Tänzer Solal Mariotte zu Chansons des legendären belgischen Sängers Jacques Brel (1929 – 1978).
Die Idee zum Stück kam, als die 1960 geborene De Keersmaeker und der 2001 geborene Mariotte bei der Arbeit an einem Stück zufällig ihre gemeinsame Vorliebe für Chansons von Brel entdeckten. Allein ihre tänzerisch unterschiedlichen Zugänge zur Musik und zu Texten von Brel sind sehenswert. Reflektierend, kontrolliert, gelegentlich aus ihren ikonischen früheren Werken wie „Fase“ zitierend, bei Keersmaeker, stürmischer und mit Elementen aus dem Break-Dance bei Mariotte. Mit ihren individuellen Handschriften entsteht ein von Brels Chansons getragener Dialog.

Liebe, Tod und Tanz
Neben den Hauptthemen Liebe und Tod ist Tanz ein wiederkehrendes Thema bei Brel. Mit Gesten und Mimik, Haltungen und Tanz werden seine Chansons interpretiert. Selten hat man De Keersmaeker so frei und gelöst tanzen gesehen. Beeindruckend gestaltet sie im locker sitzenden hellgrauen Anzug (Kostüme: Aouatif Boulaich) die Entwicklung eines jungen Mädchens im Sonnenschein zu einer alternden Frau, die Vergangenes reflektiert und sich dennoch dem von Mariotte verkörperten Neuen öffnet. Die unterschiedlichen Blickwinkel von De Keersmaeker und Mariotte sorgen für fließende Übergange der aneinandergereihten Lieder. Die Choreografie stellt Bezüge zu den im Hintergrund eingeblendeten Texten her, aber auch zu persönlichen Erlebnissen De Keersmaekers und Mariottes. Eindringlich gelungen ist Brels Hommage an die starke flämische Frau, die De Keersmaeker auch im wirklichen Leben verkörpert.
Umweltkatastrophe
Ein Video zeigt eine Umweltkatastrophe in Brels „flachem Land“, auch die Gesellschaftskritik Brels wie in „Les Bourgeois“ kommt nicht zu kurz. Zudem wurden seine Bewegungen beim Singen anhand von Filmmaterial studiert und im Tanz aufgegriffen. Ganze Städte werden atmosphärisch nachgezeichnet, Paris, Brüssel und Amsterdam mit humorvollen Seitenblicken porträtiert.
Am Ende steht nochmals das Aufeinandertreffen der Generationen im Mittelpunkt, ist das Thema des Chansons „Jojo“ aus Brels letztem Album doch der Tod seines besten Freundes. Dem ungestümen, hilflosen Ausweichen des Jüngeren steht das Wissen um die Vergänglichkeit bei der Älteren gegenüber. Viel Applaus für ein sehenswertes Duett, den De Keersmaeker in ein rotes Palästinensertuch gehüllt entgegennahm.
KURIER-Wertung: **** von *****
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