Müsli aus Schädelschalen und Skelette im Keller
Wer das Wort Kriechkeller bis dahin nicht gruslig gefunden hat, wird es nach „Devil in Disguise“ tun.
Mancher wird sich zu Halloween vielleicht einen grusligen Film ansehen. Vielleicht fällt die Wahl auf Alfred Hitchcocks genre-bestimmenden „Psycho“? Oder auf den Clown, der Generationen Coulrophobie beschert hat, in „Es“? Kürzlich sind zwei Serien gestartet, die sich jeweils mit den Vorbildern für die fiktiven Horrorfiguren beschäftigen. Und das tun sie mit sehr unterschiedlichen Mitteln.
Wer erstmals mit Norman Bates in „Psycho“ Bekanntschaft macht – dem voyeuristischen Killer mit Vorliebe für Frauenkleider, Ausgestopftes und toten Müttern – der würde sich wünschen, dass er nur erfunden ist. Aber die Figur hat ein sehr reales Vorbild: Ed Gein ermordete in den 1950er-Jahren (mindestens) zwei Frauen, besonderes Grauen riefen freilich die Funde von Leichenteilen in seinem Haus hervor. Er hatte sie aus Gräbern geraubt und sich allerlei daraus „gebastelt“. TV-Macher Ryan Murphy, der schon Serienkiller Jeffrey Dahmer ein nicht ganz unumstrittenes Serien-Denkmal gesetzt hat, hat Gein zum Inhalt der neuesten Ausgabe seiner „Monster“-Reihe gemacht.
Offenkundig abgründig
Charlie Hunnam spielt Gein so offenkundig abgründig, dass man nie auf die Idee kommen würde, im Nachhinein zu sagen: „Komisch, er hat so normal gewirkt“. Die Netflix-Serie erzählt aber nicht nur die fatale Entwicklung des von seiner wahnhaft religiösen Mutter schikanierten Mannes, sondern verquickt das mit der Entstehungsgeschichte des Hitchcock-Thrillers. Der Regisseur wird als jemand gezeichnet, der Lustgewinn dabei hat, wenn er Menschen erschrecken kann – was bekanntlich bei „Psycho“ in exorbitantem Maße geschehen ist. Wie in Albtraumsequenzen verschwimmen die Ebenen manchmal, löst sich eine Gein-Episode als Filmszene auf, ist Schauspieler Anthony Perkins plötzlich zu Ed Gein geworden. Wo bei Hitchcock Andeutungen oder Schnittkunst reichte, schaut Murphy ganz genau hin, Stichwort Vulven in der Tiefkühltruhe. Das ist alles insgesamt recht viel, aber trotzdem enervierend langsam inszeniert. Dass die „Austreibung“ der Homosexualität von Schauspieler Perkins auch noch in die Monster-Meta-Kiste gepackt wird, macht es nicht besser konsumierbar.
Dass es auch anders geht, zeigt die Sky-Serie „Devil in Disguise: John Wayne Gacy“. Stephen King hat nie bestätigt, dass der Serienmörder, der sich seinen Opfern im Clownkostüm gezeigt hat, seinen Roman „Es“ inspiriert hat. Dieses schaurige, aber nachhaltige Detail im „Schaffen“ – er ermordete (mindestens) 33 Buben und junge Männer – von John Wayne Gacy wird in der Serie auch nur sehr am Rande erwähnt. So wie es die Produktion auch schafft, dass nicht die Verbrechen im Fokus stehen – zumindest nicht im reißerischen True-Crime-Modus.
Opfer im Fokus
„Devil in Disguise“ erzählt das Davor und das Danach: Es beginnt mit jenem Mann, dessen Verschwinden endlich – nach Dutzenden Ignorierten doch von der Polizei ernstgenommen wird und zur Verhaftung von Gacy führt. Man sieht, wie der Killer im Gespräch mit seinem Anwalt überzeugt davon ist, in Notwehr gehandelt zu haben. Michael Chernus spielt keinen irren Killer, sondern einen durchschnittlich sympathischen, nur wenig unheimlichen US-Vorstädtler mit Hang zu Wutausbruch und Größenwahn. Man sieht auch, wie Polizisten – 1978 noch weit entfernt von modernem Spurensicherungs-High-Tech – mühsam in Gacys niedrigem Kriechkeller 28 Leichen ausgraben. Und man lernt die Opfer kennen. Junge Männer, die mit ihrer Homosexualität wegen der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz in Unsicherheit, Einsamkeit oder Illegalität gedrängt werden – und so in jedem Fall leichte Beute für geheuchelte , gefährliche Freundlichkeit waren.
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