Guns N`Roses in Wien: Achterbahnfahrt zwischen "eh nett" und "himmlisch"

„Das ist nur Karaoke!“ So unverhohlen verärgert reagierte Ex-Sex-Pistols-Sänger Johnny „Rotten“ Lydon, als er erfuhr, dass seine Band ohne ihn auf Tour gehen wird. „Es hat mich wütend gemacht“, erzählte er der Plattform The i Paper. „Sie zerstören alles, was die Sex Pistols ausgemacht hat, indem sie den Sinn und Zweck dahinter eliminieren.“
Jetzt stehen „sie“ - die Gründungsmitglieder Steve Jones (Gitarre), Glen Matlock (Bass) und Paul Cook (Drums) - mit dem neuen Sänger Frank Carter auf der Bühne des Wiener Ernst-Happel-Stadions, bestreiten das Vorprogramm von Guns N‘ Roses.
Mit einer 15-minütigen Verspätung mussten sie beginnen, denn exakt, als sie zur Bühne gingen, brach ein heftiges Gewitter auf das Stadion nieder. Carter nimmt es mit Humor: „Wir haben den Regen gebracht, in typisch englischem Stil“.
Er macht sich gut als Frontmann, hatte er doch als glühender Punk-Fan 2005 die Band Gallows gegründet. Und er hat jede Menge Energie, ist mit seinen 41 Jahren ein Jungspund im Vergleich zu den Musikerlegenden neben ihm, die die Punk-Bewegung begründet haben. Die stehen alle kurz vorm 70er. Spielen können sie immer noch, nur das rotzig rebellische Gehabe haben sie abgelegt. Es würde ihnen vermutlich eh nicht mehr stehen.

Bei „Pretty Vacant“ geht Carter Crowdsurfen. Da zeigt sich zum ersten Mal, was Lydon wohl mit „Karaoke“ gemeint hat. Den Weg durch die Masse zurück auf die Bühne bahnt er sich wie ein Gentleman mit den mit den Worten „Entschuldigt mich bitte“.
Nichts gegen Höflichkeit, aber mit dem Punk-Spirit, der Rebellion gegen das Establishment, gegen Autoritäten und Machtstrukturen, hat Carters charismatisches, aber sehr konventionelles Auftreten nichts gemein. Er und die Setlist sind ganz darauf ausgerichtet, den Massen zu gefallen.
Johnny Rotten stört das mehr als die 43.000 Besucher der Guns-N`-Roses-Show. Denn es macht einfach Spaß, Klassiker wie „God Save The Queen“, „Anarchy in The U.K.“ und die Punk-Version des Frank-Sinatra-Hits „My Way“ wieder zu hören - speziell mit der Energie und der Spielfreude, mit der sie hier erklingen. Und ob eine Reunion mit Johnny Rotten nicht genauso Karaoke gewesen wäre, ob seine bloße Anwesenheit den Punk-Spirit zurückgebracht hätte, bleibt fraglich.
Das Set von Guns N‘ Roses (dann fast komplett im Regen), hat hingegen genug anarchistische „Pfeif drauf“-Attitüde. Nein, eigentlich zu viel für die Kartenpreise einerseits und die Professionalität, die man von so einer renommierten Band erwarten könnte, andererseits. Es ist eine Achterbahnfahrt in Stimmung und Qualität. Das beginnt beim Sound, der speziell am Anfang chaotisch ist.
Sänger Axl Rose ist immer wieder für einige Sekunden viel zu laut zu hören, wenn er über das Dröhnen von Songs wie „Welcome To The Jungle“ oder „Mr. Brownstone“ drüber schreit. Manchmal aber auch wieder gar nicht – obwohl auf den LED-Schirmen zu sehen ist, dass er gerade ins Mikro singt. Das wird sich bis zum Schluss nicht ändern.
Nach „You Could Be Mine“ stellt Rose Keyboarder Dizzy Reed vor, der das elegische Intro zu „Enstranged“ spielt. Jetzt hört man zum ersten Mal, dass da auch jemand Klavier spielt. Aber der Gesamt-Sound wird mit Fortdauer der Show zum Glück besser. Auch das anfangs chaotische Zusammenwirken von Rose und Gitarrist Slash verbessert sich mit der Zeit - wie bei einer Maschine, die erst warmlaufen muss.
Genauso die Soli von Slash: Der Saitenzauberer, der die Gabe hat, auch mit nur ganz wenigen Tönen viel Gefühl auszudrücken, spielte anfangs rasend viele Töne, die aber beliebig wirkten. Jetzt werden seine Soli pointierter und konzentrierter, dienen dem Song und treiben die Stimmung an.

In der Mitte erinnern Gun N‘ Roses mit zwei Songs von Black Sabbath an deren gerade verstorbenen Sänger Ozzy Osbourne, blenden auf dem LED-Schirm hinter der Bühne ein Foto von Ozzy ein, haben dafür aber ihren eigenen Hit „Patience“ aus dem Set gekickt. Bassist Duff McKagan singt „So Fine“, und die Besucher „Happy Birthday“ für Slash, der gestern 60 geworden ist.
Eigentlich ist die Setlist perfekt aufgebaut. Früh hörte man Highlights wie „Live And Let Die“, danach eine gelungene Mischung aus Metal-Härte, Balladen und Midtempo-Songs. Immer wieder gibt es Überraschungen wie das psychedelische „Sorry“ vom „Chinese Democracy“-Album. Aber es gibt auch ein permanentes Auf und Ab in der Energie, mit der Guns N‘ Roses die Songs ins Happel-Stadion schicken. Manchmal klingen sie wie schlampige Rockarbeiter, dann wieder ist ein Feuer zu spüren, das unwiderstehlich mitreißen kann.

So ein Höhepunkt ist das lange Solo von Slash: Er beginnt mit dem Blues, kommt über den Boogie zum Rock, dabei wie zu Beginn ins Turbotempo, diesmal aber mit Feeling. Gänsehaut. Und dann fällt er noch in das grandiose Riff von „Sweet Child O‘ Mine“. Genial. Besser geht es nicht.
Zwei Songs weiter: „November Rain“. Normal ein vorprogrammierter Euphorie-Ausbruch. Nicht hier. Man hat das Gefühl, dass plötzlich komplett die Luft draußen ist – bei der Band und bei der Stimme von Rose, die bei manchen Balladen zwischendurch auch recht gut geklungen hat.
Und das mehr als dreistündige Konzert bleibt bis zum Ende mit „Paradise City“ eine derartige Achterbahnfahrt zwischen „eh nett“ und „himmlisch“ - wobei die „eh nett“-Momente doch in der Überzahl waren.
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