Graphic Novel: Als Romy Schneider nicht mehr Sissi sein wollte
Mit Luchino Visconti am Set des italienischen Episodenfilms „Boccaccio 70“.
Als Sissi ihrer künftigen Schwiegermutter Erzherzogin Sophie die Meinung sagte, funkelnden ihre Augen vor Zorn. Um richtig in Fahrt zu kommen, hatte „Sissi“-Darstellerin Romy Schneider zuvor an ihre Mutter Magda gedacht. Die Wut war groß, denn diese gängelte ihre Tochter am laufenden Band.
Nachzuschauen am 24. Dezember, wenn RTL alle drei „Sissi“ Filme nacheinander zeigt. Nachzulesen in einer neuen Graphic Novel. Stéphane Betbeder (Text) und Rémi Torregrossa (Zeichnungen) erzählen in „Romy Schneider. Ich bin nicht mehr Sissi“ von einem Wendepunkt im Leben der Schauspielerin, die in den 1950ern im Zentrum des spießigen deutsch-österreichischen Filmuniversums stand, bevor sie zum Weltstar wurde.
Mit Ernst Marischkas „Sissi“-Trilogie, die sie später als „Klotz am Bein“ empfand, wurde Rosemarie Albach-Retty, geboren am 23. September 1938 in Wien, schon als Teenager berühmt. Dass sie sich davon emanzipierte, hat man Romy Schneider in Deutschland und Österreich nicht verziehen. Als die von Schneiders Familie und der Hochglanzpresse zunächst verteufelte, später ausgeschlachtete Beziehung zu Alain Delon scheiterte, titelten die Zeitungen „Romy ohne Glück.“ Anders als in Frankreich, kultivierte man das Bild der kaputten Frau mit dem kaputten Leben. Sie könne alles auf der Leinwand – im Leben hingegen nichts, wird sie oft zitiert.
Betbeder und Torregrossa konzentrieren sich im Buch nicht auf Privates, sondern auf die Karriere-Wende Schneiders hin zur ernst zunehmenden Schauspielerin. Maßgeblich war dabei die von Delon initiierte Begegnung mit dem italienischen Regisseur Luchino Visconti, unter dessen Regie sie 1961 im Drama „Schade, dass sie eine Hure ist“ erstmals auf der Bühne stand. Nach einem Zwischenspiel in Hollywood wurde Schneider zur durch und durch französischen Schauspielerin, die mit Filmen wie Claude Sautets „Die Dinge des Lebens“ Filmgeschichte schrieb.
Bemerkenswert detailgenau, liefert „Ich bin nicht mehr Sissi“ auch für Kenner neue Fakten. Etwa Schneiders penible Vorbereitungen, ihren Ehrgeiz und ihren Mut, sich auch gegen den autoritären Visconti zu behaupten. Er dankte es ihr, die beiden wurden einander Lebensmenschen, er schenkte ihr den Ring seiner Mutter.
Lücken gefüllt
Er habe sich dem Thema journalistisch genähert, sagt Autor Betbeder im Gespräch mit dem KURIER. Er habe Biografien über Schneider gelesen, Autobiografien anderer Persönlichkeiten, die mit ihr zu tun hatten – Jean Claude Brialy, Annie Girardot – und Interviews, etwa mit Sautet, Delon und Visconti. Quellen abgeglichen, Ungenauigkeiten und Erfindungen der Biografen notiert und so nach und nach seine Szenen in den „Lücken“ der dokumentierten Ereignisse aufgebaut. Viele Szenen seien fiktionalisiert, basieren aber auf realen Ereignissen.
„Natürlich ist meine persönliche Erinnerung an Romy Schneider auch von Tragik geprägt. Ich erinnere mich an die Nachrichten über den schrecklichen Tod ihres Sohnes. Ich habe sie lange Zeit als eine gezeichnete, untröstliche und zugleich würdevolle Frau in Erinnerung behalten. Das war aber genau das, was ich in meinem Comic vermeiden wollte: Ich wollte nicht die Tragödie ihres Lebens, sondern vielmehr ihre prägenden Jahre in den Mittelpunkt stellen. Jahre voller Aufbruch, Jahre voller Freude,“ sagt der Autor, den vor allem eines immer an Scheider berührt hat: „Ihre Intensität beim Schauspielern, ihre Filmpräsenz und ihre Aufrichtigkeit. Sie vermittelte den Eindruck, nicht zu spielen, nicht zu schummeln und die Dramen, die sie vor der Kamera spielte, intensiv zu erleben.“
Sie müsse „immer bis zum Äußersten gehen, selbst wenn es nicht gut ist,“ sagte Schneider offenherzig über sich selbst, sie brannte darauf, „ihr wahres Gesicht“ zu zeigen. Dieses „wahre Gesicht“ veränderte sich mit der Zeit. Auch in Frankreich werden die „Sissi“-Filme jedes Jahr zu Weihnachten gezeigt, erzählt Zeichner Rémi Torregrossa, auch er, Jahrgang 1987, ist mit diesen picksüßen Bildern aufgewachsen. Und doch sind es Schneiders spätere Filme, die sich nachhaltig einprägten. Der Wandel vollzog sich auch physisch: „Die Herausforderung für mich als Zeichner waren die großen Veränderungen zwischen ,Sissi’ und dem Film ,Der Swimmingpool’. Ihre Augen, ihr Kinn habe sich in dieser Zeit stark verändert.“
„Romy Schneiders Schönheit in Jacques Derays ,Der Swimmingpool’ ist atemberaubend“, sagt Betbeder. „Wichtiger aber sind ihre Filme wie Claude Sautets ,Die Dinge des Lebens’: Sie sagen viel über die französische Gesellschaft jener Zeit aus, und Romy hat durch diese Rollen eine bestimmte Vorstellung von der Emanzipation der französischen Frau in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts geschaffen.“
S. Betbeder,
R. Torregrossa
„Romy Schneider.
Ich bin nicht
mehr Sissi“
Splitter Verlag.
160 Seiten.
31,95 Euro.