Geheimnis des Glaubens

Die Neuinszenierung des „Jedermann“ im Vorjahr war so erfolgreich, dass Regisseur Robert Carsen bei der Wiederaufnahme in diesem Sommer nur Details verändert hat. Auch die Besetzung blieb weitgehend unverändert. Nur zwei Schauspielerinnen sind neu im Ensemble, darunter Juliette Larat als Glaube. Es ist eine relativ kleine, aber wichtige Rolle.
Nach dem „Jedermann“ schauen viele Zuschauer noch ins nahe gelegene Gasthaus Resch & Lieblich auf ein Paar Würstel und einen G’spritzten. Und die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie dort von Juliette Larat bedient werden. Die 24-jährige Schauspielerin hat ihren Nebenjob als Kellnerin nicht aufgegeben, nur weil sie jetzt eine Rolle im „Jedermann“ hat.
An sich sind Kellnerinnen, die eigentlich Schauspielerinnen sind, nichts Ungewöhnliches, New York ist voll davon. Aber eine Kellnerin, die eigentlich Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt ist und im „Jedermann“ den Glauben spielt, ist dann doch eine Seltenheit. Schuld daran ist der Nimbus der Salzburger Festspiele, aber fangen wir am Anfang an.

„Ich muss da hin!“
Juliette Larat – den Namen spricht man französisch aus – ist halb Französin, halb Deutsche, spricht beide Sprachen perfekt und akzentfrei. Aufgewachsen ist sie in Straßburg, und obwohl sie jetzt schon ein paar Jahre weg von daheim ist, hat sie immer noch eine französische Handynummer. Sie war schon als Jugendliche ein glühender Opernfan, hörte sich kreuz und quer durch Youtube und stellte fest: „Die besten Inszenierungen sind bei den Salzburger Festspielen, ich muss da hin!“
Gleich nach der Matura, mit 18, fuhr sie nach Salzburg, musste dort aber feststellen, dass sie sich die Karten gar nicht leisten kann. Also bewarb sie sich als Billeteurin, weil man da die Vorstellungen sehen und sogar ein bisschen was verdienen kann.
Sie war im Haus für Mozart, in der Felsenreitschule und in der Kollegienkirche eingeteilt und sah sich jede einzelne Aufführung, jedes Konzert an. „In diesem Sommer hat sich für mich eine Welt erschlossen“, sagt sie. „Man muss sich das vorstellen: jeden Tag Konzerte, Opern – mit 18! Ich habe einfach nicht genug davon bekommen.“
Larat ging dann zum Studieren nach Berlin, inskribierte Philosophie und Theaterwissenschaft, wusste aber schon nach der ersten Lehrveranstaltung: Das ist es nicht. Sie wollte nach Salzburg zurück und machte am Mozarteum die Aufnahmsprüfung für das Schauspielstudium. Kurz danach wurde der erste Lockdown verhängt. Die Konzerte hat Larat damals so vermisst, dass sie oft in Gottesdienste ging, weil das die einzigen Veranstaltungen waren, wo man öffentlich Musik hören konnte. Wie sehr sie die Musik liebt, kann man an ihrem Unterarm ablesen, in den die Zahl 795 tätowiert ist – sie steht im Deutsch-Verzeichnis für Schuberts Liederzyklus „Die schöne Müllerin“, der ihr sehr wichtig ist.
Alle sind da
Mit Einschränkungen (Abstand, Masken) fanden die Festspiele 2020 trotz Corona statt, für Billeteurin Larat war es der schönste Festspielsommer von allen. „Weil nur die Menschen gekommen sind, denen wirklich etwas an der Kunst liegt.“
Während des Studiums hat sie auch angefangen, im Resch & Lieblich zu arbeiten. „Ich war dort lange Stammgast, bis ich irgendwann draufkam: Eigentlich könnte ich hier auch arbeiten.“ Das kleine Beisl im Toscaninihof, gleich neben den Festspielhäusern, ist bei Künstlern und Gästen beliebt, weil es eines der ganz wenigen „normalen“ Lokale in der Altstadt ist. Larat schätzt besonders das gemischte Publikum: „Die Techniker gehen dort was trinken und die Orchestermusikerinnen, Passanten und Kritiker, Intendanten und Schauspielerinnen – alle sind da.“

Musik-Tattoo: Die Zahl auf ihrem Unterarm steht für Schuberts „Schöne Müllerin“.
Die Gäste kommen oft direkt aus der Oper oder dem Konzert und sind entsprechend guter Stimmung. „Die Leute im Resch & Lieblich sind meistens glücklich. Daran ein bisschen Anteil zu haben, erfüllt mich mit Stolz.“
Bei den Festspielen hat sie im Lauf der Jahre auch in der Portiersloge, als Ankleiderin und bei der Vermittlung von Künstlerwohnungen gearbeitet. Den ersten Schauspieljob hatte sie vor zwei Jahren in dem Jugendstück „Fiesta“, im Vorjahr war sie beim „Jedermann“ in der Tischgesellschaft dabei. Mit dem Glauben spielt sie heuer eine Rolle, die in der mehr als 100 Jahre langen Geschichte des „Jedermann“ meist von gestandenen, namhaften Schauspielerinnen verkörpert wurde.
In Carsens Inszenierung kommt der Glaube als Putzfrau daher; es ist eine sehr bodenständige Figur, die aber die letzten Dinge anspricht und über Jedermanns Seelenheil entscheidet.
Juliette Larat spielt die Szene sehr ruhig, ganz bei sich. „Ich hab mir die Rolle über den Text erschlossen“, sagt sie. Das mache sie immer so, in guten Texten stünden die Regieanweisungen nämlich schon drin. Dass sie auch nach der Vorstellung kellnern geht, müsste nicht sein, sagt Gabriela Nagy, die Wirtin im Resch & Lieblich. „Aber sie sagt, sie braucht das zum Runterkommen.“
Bevor sie selber mitspielte, hatte sie sich den „Jedermann“ nie angeschaut, Oper und Konzert waren wichtiger. Außerdem: „Für eine Deutsch-Französin ist ,Jedermann‘ erst mal ein bisschen strange, das Phänomen hat sich mir nicht ganz erschlossen. Ganz verstanden hab ich es immer noch nicht, aber als ich bei der ersten Probe auf dem Domplatz lag und zum Dom hochschaute, bekam ich eine Ahnung davon. Das hat so eine Kraft!“
Wo ist Josefstadt?
Auch das Theater in der Josefstadt war ihr kein Begriff, als sie gefragt wurde, ob sie dort vorsprechen mag. „Ich hab erst einmal gefragt: Wo in Deutschland liegt denn dieses Josefstadt?“ Seit zwei Jahren ist sie dort engagiert, und auch in der neuen Spielzeit, der letzten der Direktion Föttinger, bleibt sie dort.
Wie es danach weitergeht, kann sie noch nicht sagen. Es wird sich bestimmt etwas ergeben. Nur, was sie nächsten Sommer macht, weiß sie schon. „Einen Sommer ohne Salzburg kann ich mir noch nicht so richtig vorstellen.“