Familie Mastroianni und „die Illusion, dass Tote weiterexistieren“

Eine Tochter, von Beruf Schauspielerin, schlüpft in die Rolle ihres Vaters. An sich nichts Aufregendes, außer wenn der Vater Marcello Mastroianni und die Mutter Catherine Deneuve heißen. Dann wird das Ganze zur Sensation und zur Gratwanderung: Wie kann ich dem Bild und der Größe meines Vaters gerecht werden? Wie fallen die Vergleiche mit ihm aus? Begebe ich mich nicht mit diesem Rollenwechsel auf ein heikles Terrain, wo ich mir letztendlich selbst Schaden zufüge?
All diese Fragen könnten Chiara Mastroianni durch den Kopf gegangen sein, als ihr Christophe Honoré, ihr Leibregisseur, mit dem sie bereits sechs Filme gedreht hat, seine Idee unterbreitete, den Vater, Marcello Mastroianni, zu spielen. Sich aufgrund der frappanten physischen Ähnlichkeit mit seiner und ihrer Identität auseinanderzusetzen. Kein leichtes Unterfangen, denn da kommen viele Erinnerungen und Verwundungen hoch. Gerade einmal zwei Jahre war Chiara alt, als sich ihre berühmten Eltern 1974 trennten. Zeitweilig lebte sie bei ihrem Vater und dessen Frau Flora Carabella in Italien. 1996 starb ihr Vater im Alter von 72 Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs.

Christophe Honoré konnte trotz aller Bedenken sowohl Chiara Mastroianni als auch Mama Catherine Deneuve von seinem Projekt „Marcello Mio“ überzeugen. „Sie lieben es, miteinander zu spielen“, so der resolute Franzose, „Chiara, weil sie findet, sie könne immer noch was lernen von ihrer Mutter. Und Catherine, weil sie wie alle Mütter froh ist, Zeit mit ihrem Kind verbringen zu können. Während des Drehs sahen sie sich alle Tage, das gefiel ihr“.
Wie er auf die Idee gekommen ist, Chiara einen Sommer lang die Identität des Vaters annehmen zu lassen? Sich wie er zu kleiden und zu sprechen?
Eine Illusion
„Der Film handelt von einem Mädchen, das früh Waise wurde und dadurch in eine existenzielle Krise gerät. Sie leidet am plötzlichen Verlust des Vaters und will ihn wiederfinden. Sie versucht ihn über das Kino, über die Filme, in denen er mitgewirkt hat, zu finden. Das ist natürlich eine Illusion, denn auch wenn das Kino vorgibt, ein Bild des Lebens zu sein, ist es das natürlich nicht. Chiara lässt diese Erkenntnis bis zu einem gewissen Grad verzweifeln. Aber genau das hat mich interessiert – zu zeigen, wie das Kino die Illusion schaffen kann, dass die Toten weiter existieren.“
Eine rührende Szene in „Marcello Mio“ ist jene, in der Deneuve zu Chiara fast beschwörend sagt: „Du hast aber auch viel von mir“. So, als müsste sie Chiara ermutigen, weil alle in ihr immer nur ein Abbild Marcellos sehen. Honoré: „Aber das ist doch in jeder Familie so, dass jeder in seinem Kind Züge von sich selbst erkennen will. Chiara war immer total exponiert, als Kind, als Jugendliche, als Schauspielerin. Wenn sie auftritt, löst das immer eine morbide Faszination aus, weil sie Marcello so ähnlich sieht. Sie hat davon keinen Schaden davongetragen – sie ist lustig, positiv und liebenswert. Und ich kann bezeugen, dass sie mindestens genauso viele Charakterzüge und Eigenschaften von ihrer Mutter hat wie von ihrem Vater“.

Die Sache mit dem Brunnen
Wie ist Christophe Honorés Beziehung zu Marcello Mastroianni? „Was ich an Marcello so mag, ist die Verschiedenartigkeit seiner Filme. Das große Spektrum, das von ,La Dolce Vita’ über ,Achteinhalb’ und ,Die Stadt der Frauen’ bis zu ,Ginger und Fred’ reicht. Dann gab es da noch eine Art Paarbeziehung mit Sophia Loren, mit der er insgesamt 12 Filme drehte, die ich auch großartig finde. Man hatte bei Marcello immer den Eindruck, der Schauspieler ähnelt den Filmen und die Filme ähneln ihrem Star. Es war, so könnte man sagen, die ideale Fusion. Er personifizierte die Komplizenschaft zu dem Film, in dem er mitspielte“.
In einer Szene von „Marcello Mio“ wird Chiara von einem Fotografen gebeten, im Trevi-Brunnen in Rom die berühmte Szene mit Marcello Mastroianni und Anita Ekberg aus „La Dolce Vita“ , wo die Ekberg im knappen schwarzen Kleid ein Bad im Brunnen nahm, nachzustellen. Chiara lehnte stets alle diesbezüglichen Anfragen ab. Die Casting-Szene in „Marcello Mio“ am Trevi-Brunnen, die ja eine Karikatur ist, sei nun die perfekte Chance für sie gewesen, „mich für diesen Nonsens zu revanchieren“.
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