Etta Scollo singt Elena Ferrante: "Die normale Achterbahn des Lebens“
Die sizilianische Sängerin Etta Scollo in Wien: „Geschichten tragen für mich Musik in sich.“
„Früher in Sizilien wurden Geschichten gesungen. Es gab Erzähler, die von Ort zu Ort gewandert sind und mit ihrer Gitarre die Nachrichten gesungen haben. Durch den Klang und das Singen war das laut genug, dass es alle hören.“ Etta Scollos Augen leuchten, wenn die in Sizilien geborene Musikerin, die in den 80er- und 90er-Jahren in Wien lebte, von dieser Tradition ihrer Heimat erzählt. Sie hat sie „mit der Muttermilch aufgesogen“ und nach Abstechern in die Genres Blues, Jazz und Pop zum Fokus ihrer Karriere gemacht.
Auch bei ihrem neuesten Projekt, das „Meine geniale Freundin“ genannte Programm zu Ehren der italienischen Schriftstellerin Elena Ferrante, spielt die Melodie der Sprache eine entscheidende Rolle. „Seit einigen Jahren hatte ich beim Lesen immer stärker das Gefühl, ich muss das singen“, erzählt Scollo im KURIER-Interview: „Geschichten tragen für mich Musik in sich. Deshalb habe ich vor einiger Zeit die Rede von Giusi Nicolini, der Ex-Bürgermeisterin von Lampedusa, vertont. Nicolini spricht darin von der Gleichgültigkeit Europas gegenüber der Flüchtlingskrise.“
Scollo sang auch über die Toten von Marcinelle, das Grubenunglück im belgischen Steinkohlebergwerk Bois du Cazier, bei dem 262 Arbeiter ums Leben kamen. Und für ihr jüngstens Album „Nirgendland“ vertonte sie zum 50. Todestag der 1938 vor dem NS-Regime in die USA geflüchteten Poetin Mascha Kaléko, deren Gedichte.
Dieses Programm bringt Scollo in Wien erst 2026 auf die Bühne.
Schon am 8. November kann man sie aber im Theater Akzent zusammen mit Eva Mattes sehen, wenn die beiden die Essenz des vierbändigen Romanzyklus der „Neapel Saga“ von Elena Ferrante auf die Bühne bringen.
Erzählt wird dabei die Geschichte der Freundinnen Lila und Elena – über sechs Jahrzehnte hinweg, bis eine verschwindet und sich die andere zurückerinnert.
Scollo singt Texte von Ferrante, die sie vertont hat, Mattes liest gewisse Episoden. Scollo hat in den musikalischen Teil an passender Stelle aber auch viele traditionelle neapolitanische Lieder eingebaut, die sie auch zweistimmig mit Mattes singt. „Ich habe mich beschenkt gefühlt, als ich gebeten wurde, Teil dieses Projekts zu sein“, erinnert sich Scollo: „Ich habe nämlich eine enge Bindung zu neapolitanischen Liedern. Die Legende ist, dass die Volkssänger im 16. und 17. Jahrhundert von Nord bis Süd wanderten und am Hof des Königs Pause machten. Dort haben die Komponisten des Schlosses diese Lieder gehört und in ihre Kompositionen eingebaut. Dadurch haben sich diese Lieder mit der spätbarocken Musik verbunden. Als ich in den 70er-Jahren in der Schule war, wurden diese spätbarocken Lieder wiederentdeckt und unglaublich populär. Das war prägend für mich.“
Schön und schüchtern
Scollo, die am 17. Mai 1958 in Catania geboren wurde, liebt die Geschichte der Freundinnen und erkennt viel von ihrer eigenen Geschichte in dem Auf und Ab der Lebenswege der beiden wieder. Nicht zuletzt deshalb konzentriert sich das Programm von „Meine geniale Freundin“ auf den Aspekt der Beziehung zwischen Elena und Lila: „Ich finde die Dynamik zwischen den beiden Frauen so spannend, wie sie als Kinder Freundinnen werden, sich aber später in der Pubertät so eine liebevolle Eifersucht entwickelt, weil die ein schüchtern ist und Pickel hat, die andere aber wunderschön ist. Später dreht sich das aber um, und die Schüchterne traut sich viel mehr. Man sagt, das ist Dramaturgie, weil der Roman Spannung braucht. Aber nein, das ist die normale Achterbahn des Lebens.“
Scollo weiß, wovon sie spricht. Sie wurde in eine gut gestellte Familie eines Anwalts geboren, sollte studieren, ging aber mit 18 Jahren nach Turin, um zu heiraten: „Das war ein bisschen ein Skandal, denn mein Mann kam aus sehr armen Verhältnissen, und ich habe dann Teile für die Fiat-Autos zusammengeschweißt. Später haben wir uns getrennt, mein Mann ist nach Florenz gegangen und ist Arzt geworden. Und ich bin nach Wien und habe am Konservatorium Musik studiert und bin in diese Szene eingetaucht. Wie unglaublich ist das?“
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