Totales Vertrauen
Doch das Mädchen aus Arizona war eine Ausnahme. Sie zögerte keine Sekunde, die manipulative Aristokratin aus dem 16. Jahrhundert zu spielen. Und keine Zehntelsekunde, als ihr Lanthimos das Drehbuch für „Poor Things“ und ihre Figur zeigte: „Bella Baxter ist halbfertig, ein Experiment, und so fühlte sich auch das Spielen an. Es war die experimentellste Rolle, die ich je hatte. Wir hatten Ideen für jede ihrer Entwicklungsphasen, aber das meiste entstand am jeweiligen Drehtag selbst, direkt vor der Kamera. Wir improvisierten viel und lernten uns dadurch sehr gut kennen.“
Ihren Regisseur überschüttet sie mit Komplimenten: „Wir lieben einander, wir verstehen einander, wir kommen blendend miteinander aus. Wir haben Respekt und Bewunderung füreinander, ich kann ihm total vertrauen. Es kommt sehr selten vor, dass man sich als Schauspieler so fallenlassen kann und sich dabei so beschützt fühlt.“
Was natürlich zu der Frage führt, die sie nach der Premiere von „Poor Things“ am öftesten hörte: ob ihr die vielen, teilweise ungewöhnlichen Sexszenen nicht Angst machten. „Wir waren einander alle so nahe durch die langen Proben, dass es da null Peinlichkeit gab. Sex ist für Bella doch auch nur eine neue Erfahrung, die sie noch nicht ganz versteht. Sie findet es faszinierend. Aber es ist nur ein Aspekt ihrer neuen Entdeckungen: Essen, Trinken, Philosophie, Reisen, Literatur, Kunst, Tanz, Politik und ja, Sex. Sie will alles ausprobieren, das Leben auskosten. Ich fand sie ungeheuer inspirierend, das Fehlen von Scham und Selbstverurteilung ist so befreiend.“
Sie sagt, dass sie Schauspieler, die ihren Job als Therapie beschreiben, todlangweilig findet, gibt aber zu, dass Bella Baxter sie verändert hat: „Ich bin seither viel direkter geworden. Sie ist jemand, der nicht versteht, warum sie nicht aussprechen soll, was sie will und was sie braucht, Gut und Böse halten sich in ihren Augen das Gleichgewicht. Aber vielleicht hat diese Erkenntnis ja auch nur damit zu tun, dass ich älter werde!“, lacht sie, die gerade mal 35 ist.
Sie ist sich bewusst, dass sie nicht ins typische Karriereschema Hollywoods passt: „Ich denke nie darüber nach, was man von mir erwartet. Als ich jünger war, gab es da schon diesen Hintergedanken, der mir eingeredet wurde, okay, mache einen Film für dich und einen fürs Publikum. Aber geglaubt habe ich das nie. Wenn ich nur Filme mache, zu denen ich mich wirklich hingezogen fühle, dann überträgt sich das auch auf den Zuseher. Damit nimmt mir das Publikum doch meine Rollenwahl viel eher ab, als wenn sie kalkuliert ist.“
Fünf Personen in einem
Ihre Rolle in „The Curse“ fällt genau in diese Kategorie. Kalkül, ob das nun ein Publikumshit würde, kam ihr nicht in den Sinn: „Das ist bei Weitem die herausforderndste Rolle, die ich je gespielt habe. Sie ist eine Psychopathin, fünf verschiedene Personen in einem.“
Nathan Fielder und Benny Safdie, ihre Co-Stars, die die Serie kreierten, dachten an keine andere Schauspielerin für die Rolle der Whitney: „Die beiden halten mich für witzig, eine gute Komödiantin. Nathan hat mich angerufen und gemeint, er würde gern mit mir über ein Projekt reden. Ich habe natürlich sofort ja gesagt. Ich habe damit aber das Reden, ein Meeting gemeint, nicht das Projekt. Er hat es absichtlich falsch verstanden. Wobei ich ihm natürlich vertraut habe, und es gab ja zu dem Zeitpunkt, als ich dann eingewilligt habe, noch gar kein Drehbuch.“
Die vielen Laiendarsteller schreckten sie nicht ab: „Ich finde Laiendarsteller erfrischend, im Vergleich zu ihnen kommt man sich leicht fake vor. So als ob man sagen würde: Schau mich an, ich schauspiele.“
Im Geheimen ist Stone ein Riesenfan von Realityshows. Jedes Jahr meldet sie sich für die Ratesendung „Jeopardy“ an: „Ich will nicht zu Celebrity Jeopardy, wo nur Stars eingeladen werden und die Fragen sind leichter, damit sich keiner allzu blamiert. Ich will ins echte Jeopardy: Aber bisher wurde ich nicht genommen.“ Auf die Reality Show angesprochen, für die sie als Teenager engagiert wurde, lacht sie: „Oh Gott, ja. Mit 15 war ich in ,Auf der Suche nach der Partridge Family’, auf dem Musiksender VH1. Wir ahmten die berühmte gleichnamige Serie nach. Jeder hat nachher verlangt, dass sein Name runtergenommen wird, wobei es eh keiner gesehen hat. Aber es war so eine Wettbewerbsshow, wir waren alle sieben Wochen lang in einem Hotel, und ich musste unter anderen im Stil von ,American Idol’ singen.“
Zurück zu Lanthimos und der nächsten Kollaboration, die noch in diesem Jahr herauskommen wird: „Kinds of Kindness“, in dem sie neben ihrem „Poor Things“-Co-Star Willem Dafoe und Jesse Plemons agiert, beschreibt Stone als „Anthologie von drei Kurzfilmen, mit sieben Hauptdarstellern, und wir alle spielen verschiedene Figuren in jeder Geschichte.“ Mehr ist nicht aus ihr herauszuholen.
Von Elisabeth Sereda
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