Am 2. Juli laden Elina Garanča und Karel Mark Chichon wieder zu Klassik unter Sternen im Stift Göttweig. Die Nachwuchstalente, die da mit der Starmezzosopranistin auf der Bühne stehen dürfen, haben sich kürzlich einem Vorsingen gestellt.
Am Rande davon hatte Garanca Zeit für ein Gespräch über Tipps aus der alten Schule und das Stockholm-Syndrom bei Regietheater-Produktionen.
KURIER: Bringt dieses Vorsingen auch Erinnerungen an Ihre eigene Anfangszeit?
Elina Garanča: Natürlich, man weiß ganz genau, wie die Leute sich fühlen. Es ist eine Sache, vor einem Professor in der Klasse zu üben und eine ganz andere, vor lebendigem Publikum zu singen. Mit den Nerven und dem Adrenalin konfrontiert zu werden.
Was war für Sie am wichtigsten beim Beginn Ihrer Karriere?
Disziplin und der Glaube an sich. Neugier, eine Vision für die Zukunft, dass man auch die Augen offenhält, was in der Welt so los ist. Dass man sich ehrlich einschätzt und sich nicht scheut, um Rat zu fragen. Und dass man teilweise auch egoistisch seine Sache durchzieht und sich nicht von Kleinigkeiten ablenken lässt.
Haben es Nachwuchssängerinnen und -sänger heute schwerer?
Ich würde heute nicht die Karriere anfangen wollen. Die Sozialen Medien, aber auch die Medien allgemein haben dafür gesorgt, dass den Leuten nicht mehr Zeit gegeben wird, sich langsam zu entwickeln. Man muss von Anfang an ohne Erfahrung wahnsinnig Großes leisten. Und dann ist die heiße Brezel schnell wieder aufgegessen und vergessen. So schnell war die Welt früher nicht. Jeder ist heutzutage ein Weltstar, jeder ist über Nacht ein Star, eine Jahrhundertstimme. Da ist ein Hype für kurze Zeit, aber für eine Karriere in der klassischen Musik reicht das nicht. Ich glaube, dass dieser Drang, dass es immer schnell gehen muss, immer sofort, immer gleichzeitig, sehr viele verbrennt. Auch die Theater, die Intendanten, die Agenturen wollen nicht mehr so lange warten, die wollen einen schnellen Erfolg. Sie können teilweise auch nicht mehr so lang warten, die haben keine Zeit, einen Sänger oder eine Sängerin zehn Jahre lang aufzubauen.
Und welche Rolle spielen die Sozialen Medien?
Die spielen ein Fake-Leben vor. Alle glauben, das ist ein viel schöneres Leben, als es ist. Ein Instagram-Account wird dich nicht zu einer berühmten Sängerin machen, ein Post mit einer Arie macht dich nicht zum Opernsuperstar. Da muss man schon Schweiß und Arbeit investieren in den Theatern, Inszenierungen, Repertoirevorstellungen und in Konzerten.
Sie coachen die „Zukunftsstimmen“ auch. Liegt Ihnen das Unterrichten?
Es macht mir Spaß. Ich habe sehr große Erfahrung, was das Repertoire angeht: von Barock bis Wagner, Lied, orchestrale Stücke, sakrale Musik, ich habe mit den tollsten Dirigenten gearbeitet. Es gibt Dinge, die heute nicht mehr mitgegeben werden, die ich noch gelernt habe von den alten Mohikanern, von Dirigenten und Sängern, die ich noch erlebt habe. Details aus der alten Schule: Dass man Puccini nicht singen kann wie Verdi oder dass beim italienischen K die Aussprache anders ist als beim Deutschen zum Beispiel.
Können Sie schon etwas zur diesjährigen Ausgabe von „Klassik unter Sternen“ verraten?
Dass es stattfindet (lacht). Wir haben noch kein detailliertes Programm. Aber es ist ja großes Strauss-Jahr, wir suchen nach etwas, das man als Mezzosopran spielerisch auf die Bühne bringen kann.
Haben Sie eine Beziehung zur Musik von Johann Strauss?
Ich finde, seine Werke werden teilweise abgetan als leichte, unwichtige Musik, aber sie sind ein großer Puzzlestein in der romantischen Musik. Ich finde sie durchaus erleichternd und leuchtend und etwas Spaß und gute Laune braucht man im heutigen Repertoire. Es ist wie bei der spanischen Zarzuela: Jeder kennt die „Fledermaus“ auswendig, aber das mit dem richtigen Niveau mit spielerischer Leichtigkeit und gleichzeitig gewisser Ensthaftigkeit rüberzubekommen, ist gar nicht so leicht.
Sie sind aktuell in jener „Don Carlo“-Inszenierung (von Kirill Serebrennikov) in der Staatsoper zu hören, die bei ihrer Premiere vom Publikum so niedergeschrien wurde, dass Dirigent Philippe Jordan die weiße Fahne geschwungen hat. Gab es bei der Wiederaufnahme Buh-Rufe?
Nicht einen einzigen. Das Publikum wusste, dass der Regisseur nicht da ist. Es kam für die Sänger, die Inszenierung war da zweitwichtig.
Haben Sie so etwas Rabiates schon einmal selbst erlebt? Kann man sich da als Sängerin überhaupt abgrenzen?
In so einer Situation war ich noch nie. Ich glaube, das war nicht leicht und ich frage mich, ob es notwendig war – von beiden Seiten. Dass man die Sänger in eine solche Lage bringen muss. Es geht ja nicht um sie, die müssen auf ihre nächste Szene warten und ein Regen von Buhs geht auf sie nieder. Ich sage es immer wieder und stehe dazu: Bei neuen Produktionen ergeben wir Sänger uns einem gewissen Stockholm-Syndrom. Wir sind gebucht für eine Produktion, deren Idee wir nicht kennen. Wir kennen nur die Partie – und die kann ja eine Wandlung um 180 Grad erfahren. Wir können dann entweder mit einem lauten Krach aussteigen, dann verlieren wir Verdienst und Reputation oder wir ergeben uns dem Stockholm-Syndrom. Im Lauf von vier bis fünf Wochen werden wir überzeugt, dass das, was wir tun, eigentlich gar nicht so schlecht ist. Irgendwann fängst du an, das zu glauben.
Der Krieg in der Ukraine hat zuletzt neue Brisanz erfahren. Wie geht es Ihnen als Lettin mit der Entwicklung?
Ich glaube, jeder Lette liest täglich die Nachrichten, unser Vor- aber auch Nachteil ist: Wir können auch russisch und lesen sehr viel, was ihr nicht mitbekommt im Westen. Da macht man sich Sorgen auf einer anderen Ebene. Lettland teilt sich eine Grenze mit Russland, eine mögliche Gefahr ist viel näher als bei einem entfernteren Land. Lettland ist ein kleines Land, ob ein Zwei-Millionen-Land für die Nato wichtig genug ist, um Artikel fünf auszuleben? Aber es ist ja nicht nur die Ukraine, die ganze Welt ist in einen Zug des Wahnsinns eingestiegen. Ich glaube es wird noch einiges auf uns zukommen von jenseits des Ozeans. Irgendwann werden wir alle nur ums Überleben kämpfen, dann hoffe ich, dass sich das moralisch Gute und Böse doch wirklich trennen und das Gute im Menschen gewinnt.
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