Andrea Breth wieder in Wien: „Eine Genauigkeitsbohrmaschine“

FOTOPROBE BURGTHEATER "EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT"
20 Jahre war sie an der Burg, nun inszeniert sie in der Josefstadt: „Ein deutsches Leben“ hat am 18. Dezember Premiere.

Andrea Breth inszenierte erstmals 1990, unter der Direktion von Claus Peymann, am Burgtheater. Und ab 1999, seit dem Wechsel von Peymann zu Klaus Bachler, war sie Hausregisseurin. Sie blieb es auch unter Matthias Hartmann und Karin Bergmann. In den zwei Jahrzehnten bis 2019 beglückte sie mit wunderbaren Inszenierungen, darunter „Don Karlos“, „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ und zuletzt „Die Ratten“. Dreimal – für „Emilia Galotti“ , „Zwischenfälle“ und „Diese Geschichte von Ihnen“ – erhielt sie den Nestroy für die beste Regie. Aber dann wurde Martin Kušej Direktor.

In den letzten Jahren inszenierte Breth in erster Linie Oper (auch im Theater an der Wien). Und nun arbeitet sie zum ersten Mal an der Josefstadt: Sie setzt „Ein deutsches Leben“ um. Dieser Monolog von Christopher Hampton basiert auf Interviews, in denen Brunhilde Pomsel mit 103 Jahren zum ersten Mal über ihre Zeit als Stenotypistin und Sekretärin von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels redete. Premiere ist am 18. Dezember.

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Andrea Breth (73) bei der Probenarbeit im Theater an der Josefstadt: Lore Stefanek (82) als Brunhilde Pomsel, die sich an die NS-Zeit zurückerinnert, und Burgschauspielerin Andrea Clausen (nach Jahren zurück auf der Bühne) als Magda Goebbels.

KURIER: Nicholas Ofczarek kann nicht verstehen, warum eine permanent ausverkaufte Produktion wie „Diese Geschichte von Ihnen“ abgesetzt wurde. Haben Sie eine Erklärung? War Kušej eifersüchtig?

Andrea Breth: Kann ich nicht beurteilen. Es gab gar kein Gespräch. Anders gesagt: Ich kann nachvollziehen, dass es bei einem Wechsel in der Intendanz zu Veränderungen kommt. Jeder Direktor versucht, ein Haus zu prägen. Daher kommt es auch zu Veränderungen im Ensemble. Das ist jetzt auch hier, in der Josefstadt, der Fall. Man muss in der Diskussion aber auch die Geschichte des Theaters berücksichtigen. Bis zu Herrn Föttinger kamen die Direktoren aus dem Ensemble.

Es gab daher keine Fluktuationen.

Genau. Aber Frau Rötzer ist nicht aus dem Ensemble gewachsen. Sie übernimmt ein wohlgeführtes Theater und nimmt – das ist ihr gutes Recht – Veränderungen vor. Das sollte man, finde ich, nicht von vornherein so negativ bewerten. Naturgemäß hat auch Herr Kušej seine Leute mitgebracht. Da gab es Seilschaften mit Regisseuren, mit denen er, aus seiner Sicht, in München erfolgreich gearbeitet hat. Dass er jemanden, der 20 Jahre lang sein Unwesen am Burgtheater getrieben hat, nicht sofort wieder beauftragt, finde ich absolut nachvollziehbar.

Sie waren also nicht gekränkt?

Das ist kein Grund, beleidigt, gekränkt oder sonst was zu sein. Aber es ist nicht sehr ökonomisch gedacht, wenn man Produktionen, die sich sehr gut verkaufen, vom Markt nimmt. Noch dazu mit dieser unfassbar guten Besetzung (neben Ofczarek spielten August Diehl, Andrea Clausen und Roland Koch, Anm.). Das würde sich in der Wirtschaft wahrscheinlich niemand erlauben, weil es schlichtweg dumm ist.

Aber Kušej ist Geschichte, Stefan Bachmann seit 2024 Direktor.

Es gibt offensichtlich eine andere Vorstellung von Theater. Meine Art, Theater zu machen, hat unter Umständen gar nichts mehr zu tun mit dem, was im Moment im Theater passiert. Es ist vielleicht nicht kompatibel. Das kann ja sein. Dazu kann ich aber nichts sagen. Denn ich kenne nicht die Beweggründe von Herrn Bachmann.

Sie fordern meinen Widerspruch heraus. Warum soll eine Inszenierung wie „Die Ratten“ von Ihnen nicht mehr zeitgenössisch sein?

Ich kann es nicht beantworten. Das Einzige, das ich wirklich bedauerlich finde, ist, dass eine Truppe von Schauspielern, mit denen ich 20 Jahre lang einen Weg gemacht habe, auseinandergeschlagen worden ist. Das finde ich unverständlich und dämlich. Warum ein so hervorragender Schauspieler wie Herr Bechtolf, in seinem Alter wahrscheinlich der beste, nicht an der Burg spielt: Das würde ich wirklich gerne mal erklärt bekommen. Ich finde es auch beschämend, wenn Schauspieler mehr oder weniger aus der Zeitung erfahren, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Mein Gefühl ist, dass Höflichkeit, Anstand, Freundlichkeit, Respekt irgendwie nicht mehr im geläufigen Vokabular sind.

Burgschauspieler Max Simonischek würde gerne mit Ihnen arbeiten – und am liebsten zusammen mit seinem Stiefvater Bechtolf.

Schön. Ich habe nichts dagegen. Aber es fehlt der Ort. Außer wir spielen in meinem Wohnzimmer. Aber das wäre vielleicht mit dem Publikum kompliziert.

Vielleicht an der Josefstadt? Sie scheinen ja auf den Spuren von Claus Peymann zu wandeln: Auch er wechselte von der Burg hierher.

Der Grund ist wohl eher die Intelligenz von Herrn Föttinger, der mich eingeladen hat. Und ich muss sagen, ich bin wahnsinnig froh. Die Josefstadt ist nicht nur ein wunderschönes Theater, ich habe hier eine irrsinnig gute Technikmannschaft. Ich will nicht sagen, dass ich an der Burg nicht auch fantastische Mitarbeiter hatte, da war ich verwöhnt. Aber danach, auf meiner Reise durch viele Länder und Orte … Jetzt wollen Sie sicher gleich wissen, wo es nicht so gut war. Sag ich nicht.

Hatte tatsächlich Herr Föttinger die Idee, Sie zu holen?

Schuld an der ganzen Chose ist die Schauspielerin Lore Stefanek, mit der ich vor irrwitzig langer Zeit in Freiburg „Bernarda Albas Haus“ von Federico García Lorca gemacht hab. Mit dieser Inszenierung sind wir zum Theatertreffen eingeladen worden, von da an ging meine Karriere los. Und dann haben wir noch eine Produktion in den 1980er-Jahren bei Herrn Peymann in Bochum gemacht. Von da an sahen wir uns immer nur privat. Und 2023 kam sie ans Berliner Ensemble, wo ich gerade inszenierte, und gab mir das Stück „Ein deutsches Leben“, das ja eigentlich kein Stück ist. Föttinger habe es ihr angeboten, und nun fragt sie mich, ob ich das mit ihr machen könne. Daraufhin habe ich den arroganten Satz gesagt: „Lore, ich komme nicht nach Wien zurück, um einen Monolog zu machen!“

Was bewog Sie dann doch?

Ich schlug Föttinger vor, sich doch in Berlin meine etwas schräge Inszenierung „Ich hab die Nacht geträumet“ anzugucken. Sie sei der Stand meines Schaffens. Danach könne er ja entscheiden, ob er die Sache weiterverfolgen möchte oder nicht. Der Abend hat ihm gefallen. Und dann habe ich gesagt: „Wenn Sie mir einen Blankoscheck geben, dass ich machen kann, was ich will, dann mach ich’s.“ Er hat mir einen gegeben. Und daher, wie es bei „Kabale und Liebe“ heißt, bevor es zur giftigen Limonade geht: „Topp, Luise! Ich bin dabei.“

Der Text ist, wie Sie sagen, eigentlich kein Stück. Hampton hat ihn aus den Gesprächen kompiliert, die Pomsel mit Christian Krönes, Olaf S. Müller, Roland Schrotthofer und Florian Weigensamer für den Film „Ein deutsches Leben“ führte.

Ja, man kann nicht so tun, als sei er Literatur. Die vier Filmemacher haben mir freundlicherweise ihr gesamtes Material zur Verfügung gestellt, circa zehn Stunden. Mit an Bord ist der Musiker, Dirigent und Pianist Adam Benzwi, ein unglaublicher Kenner der Schlagermusik der 20er- bis 40er-Jahre. Denn das Perverse ist, dass es parallel zur Judenverfolgung und zu all den Schauerlichkeiten eine blühende Unterhaltungsmaschinerie von Goebbels gab. Wenn man die Texte dieser Schlager auseinandernimmt, entdeckt man erst, was sie eigentlich mitteilen. Das ist unfassbar!

Was denn?

Ich erzähle Ihnen doch nicht den ganzen Abend! Gehen Sie hin und machen Sie Ihre Ohren auf, dann werden Sie es schon mitkriegen. Zusätzlich habe ich einen jungen Menschen mit Musicalausbildung engagiert, es gibt auch eine Gruppe von fünf Herren, die noch nie Theater gespielt haben, aber singen können. Und immer wieder taucht Magda Goebbels auf. Und das macht Andrea Clausen. Ich kenne sie seit 40 Jahren, viel länger noch als Lore Stefanek. Das ist meine richtige Freude: Dass ich sie wieder verführen konnte, auf die Bühne zurückzukehren.

Eine uralte Frau erinnert sich an ihre Zeit als Sekretärin von Goebbels zurück. Sie sagt, sie hätte vom Holocaust keine Ahnung gehabt. Ist das eine Schutzbehauptung? Oder ein Akt der Verdrängung?

Wir wissen es nicht, wir haben nur ihre Aussagen. Aber ich möchte, dass man sich, wenn man den Abend gesehen hat, genau diese Frage stellt. Denn mitunter denkt man sich vielleicht: Nee, das glaube ich jetzt nicht! Es gibt so ein paar Widersprüchlichkeiten. Ein Beispiel: Frau Pomsel erzählt, dass sie in bestimmte Akten nicht reingucken durfte, die waren in einem eigenen Tresor. Später kommt sie auf die Geschwister Scholl zu sprechen. Und dann sagt sie: In die Akte durften wir nicht reingucken. Das heißt ja, dass sie in andere Akten sehr wohl reingeguckt hat. Man muss unglaublich finkelig sein, um rauszukriegen, wo sie sich sozusagen selber verrät, ohne dass sie es will. Man muss den Text so genau lesen, wie man ansonsten nur Schiller liest. Er erfordert eine Genauigkeitsbohrmaschine. Deswegen macht mir dieser komische Monolog jetzt doch sehr viel Spaß.

Sie könnten aber etwas hineininterpretieren, das gar nicht da ist.

Es gab sicherlich Menschen, die von der Judenvernichtung nichts wussten. Nicht alle haben sich getraut, BBC zu hören. Also: Ich will auf der Bühne nichts be- oder verurteilen. Das kann das Publikum machen. Aber ich will niemanden zwingen, weil ich finde, dass wir nicht so eine Besserwissertruppe sein sollten. Wir befragen die Sache nur, nicht auf didaktische Art und Weise, sondern auf theatralische.

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