Die nächste Generation an Festivalchefs – „aber so jung sind wir gar nicht“

Die nächste Generation an Festivalchefs – „aber so jung sind wir gar nicht“
Die zwei wichtigsten heimischen Festivals sind fest in junger (und lässiger) Hand. Eva Sangiorgi (Viennale), Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger (Diagonale) im gemeinsamen Talk.

KURIER: Frau Sangiorgi, haben Sie schon eine Bilanz über Ihre erste Viennale gezogen?

Eva Sangiorgi: Das zeitgenössische Spielfilmprogramm lief sehr gut, und wir hatten eine größere Besucherzahl als im Vorjahr (heuer 93.200, im Vorjahr 91.700, Anm.). Die Details muss ich mir noch anschauen. So hatte ich beispielsweise den Eindruck, dass die Zuschauer die Nachtvorstellungen nicht so richtig gewohnt sind. Vielleicht ist 23.30 Uhr für einen Filmbeginn tatsächlich eine zu große Herausforderung, aber als ich noch jung war, bin ich immer so spät ins Kino gegangen. Vielleicht liegt es auch an den öffentlichen Verkehrsmittel. Ich hatte zudem den Eindruck, dass die historischen Programme ein bisschen verloren gingen. Möglicherweise waren sie zu klein oder zu kurz – darüber muss ich noch nachdenken und Strategien entwickeln.

Die nächste Generation an Festivalchefs – „aber so jung sind wir gar nicht“

Sie alle drei stehen für eine neue, junge Generation, die derzeit die wichtigsten Festivals in Österreich führt. Gleichzeitig wird das Kinopublikum immer älter. Wie geht man damit um?

Eva Sangiorgi: Dieser Situation bin ich mir bewusst. Wir bemühen uns sehr um junge Besucher, machen Vorstellungen für Teenager und bieten spezielle Tickets an. Aber es ist kompliziert. Die Menschen sind daran gewöhnt, neue Plattformen zu nützen – und das ist genau der Punkt: Die Festivals müssen jung und cool sein. Andernfalls kann sich das Publikum nicht damit identifizieren.

Wie verhält es sich in Graz?

Sebastian Höglinger: Unser Kernpublikum ist jünger als 27 Jahre. Das sieht man auch, wenn man auf dem Festival unterwegs ist. Festivals sind auch ein Event – das muss man sich zunutze machen, ohne zum reinen Oberflächen-Event zu verkommen. Es geht darum, neben den Filmen eine gewisse Atmosphäre aufzubauen, wo man gemeinsam ins Kino geht, mehrere Filme sieht, diskutiert, möglicherweise auf einer Party landet. Und das Gesehene reflektiert – oder auch niedermacht, je nachdem (lacht). Unsere Grundintention war es nicht, alles jünger zu machen. Aber ein Stück weit wird einem dieses Label übergestülpt und man kann damit spielen. Eigentlich sind wir nicht so jung.

Die nächste Generation an Festivalchefs – „aber so jung sind wir gar nicht“

Im Vergleich mit anderen Festivals schon. Und das Medium Film könnte an einer Bruchstelle sein: Die ganz jungen Menschen wachsen mit neuen Plattformen auf und finden vielleicht nie ins Kino.

Eva Sangiorgi: Für die junge Generation ist das kommerzielle Kino nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten, die Zeit zu verbringen. Deswegen ist es interessant, mit Schulen zu arbeiten. Das Festival schafft immer noch eine Art Ritual, gebunden an etwas Räumliches. Es ist ein Ort, um sich zu verbinden.

Peter Schernhuber: Festivals finden auch in Programmkinos statt. Wenn man in Multiplex-Kinos geht, sind sie voll mit jungen Menschen. Vielleicht geht es auch darum, Barrieren abzubauen.

Eine immer wichtigere Rolle spielen TV-Serien. Ist das für die Diagonale ein Thema?

Sebastian Höglinger: Grundsätzlich gibt es beim österreichischen Film immer eine extreme Nähe zum Fernsehen. Wir haben im Rahmen des Festivals auch ORF-Premieren, und man kann generell diskutieren, ob man diese braucht oder nicht. Aber de facto ist der ORF der größte Arbeitgeber dieser Branche – und da nach Formaten zu fahnden, die progressiv sind und sich mehr trauen, kann auch im Rahmen der Diagonale funktionieren.

Man kennt ja auch das Phänomen, dass Arthouse-Filme während eines Festival restlos ausverkauft werden, ein paar Monate später aber, wenn der Film regulär anläuft, geht kaum ein Mensch hin. Wie geht man mit dieser Situation um?

Eva Sangiorgi: Daran muss man arbeiten und ich bin dazu bereit. In Österreich ist das sehr kompliziert, weil das Publikum so klein ist. Aber zum Beispiel im Fall von Claire Denis und ihrem neuen Film: Bei der Viennale musste sie ihren Besuch absagen,  kommt aber vielleicht zum Filmstart im März. Ich sehe da durchaus Möglichkeiten, für die Premiere des regulären Filmstarts zusammenzuarbeiten. Ich glaube auch, dass das positive Feedback in den Medien   während der Viennale ihrem  Film einen guten Schwung gibt.  Und dann haben wir ja auch das Gartenbaukino und das Stadtkino, das verstärkt zum Einsatz kommen kann. Im übrigen glaube ich, dass der persönliche Kontakt mit Filmemachern ganz entscheidend ist.   Roberto Minervini etwa  hatte  ein Special auf der Viennale: Zuerst kamen die Leute, weil sein neuester Film in Venedig gelaufen ist. Dann war er selbst  anwesend und hat das Publikum bezaubert. Und plötzlich waren die Kinosäle ausverkauft.

Die nächste Generation an Festivalchefs – „aber so jung sind wir gar nicht“

Fließt zu viel Geld in Filmproduktionen, aber zu wenig in die Filmverwertung und -bildung? 

Peter Schernhuber: Ich glaube, das sind komplexe Diskussionen, und wir haben dazu auch noch keine abgeschlossene Meinung. Aber natürlich beobachten wir, dass immer mehr österreichische Filme produziert werden, teilweise auch um viel Geld . Und  dann gibt es ein Cut, wenn es darum geht, die Filme zu verwerten. Die Einspielergebnisse sind zusammengerechnet in Ordnung. Aber wenn man einzelne Filme betrachtet, ist es ein Dilemma, wenn ein toller Film   gerade einmal ein paar Tausend Leute anlockt. So gesehen würde man sich darüber freuen, wenn sich ein Diskursfenster öffnet,  um über diesen Umstand frei sprechen zu können.

Sebastian Höglinger: Die Frage wäre auch, ob es   eine Umverteilung sein muss, oder ob es nicht zusätzliche Gelder für Filmerziehung und dergleichen  bräuchte. Wir waren immer streng dagegen, Geld der Herstellung von Filmen wegzunehmen. Das macht nur neue Gräben auf.

Peter Schernhuber: Und es geht ja auch nicht nur um Festivals, sondern um eine viel größere Frage, die wir uns hierzulande stellen sollten: Was ist ein Kino, zumal ein Kino, das nicht kommerziell agieren muss? Warum wollen wir es uns  leisten und welche Rolle kann dieses Kino übernehmen – als Lernort, beispielsweise, in Zusammenhang mit Schule und Ausbildung, oder als Orte, wo Archivkopien wieder aufgeführt werden? Kino als öffentliche Einrichtung – gerade auch in kleineren Städten. Es ist selbstverständlich, dass es dort Theater oder Galerien gibt, aber der Filmbereich ist zuwenig vertreten.

Es wirkt auch so, als könnten Sie als Vertreter einer neuen Generation neue oder zumindest gestärkte Allianzen herstellen?

Peter Schernhuber: Ich finde, dass zwischen uns allen ein richtig gutes Gesprächsklima herrscht – und das ist in Österreich etwas Besonderes. Dieses gute Klima würde man sich manchmal für die gesamte Branche in Österreich wünschen.

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