"Die eingebildete Kranke" als Wundermittel gegen Schwurblereien

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Leander Haußmann begeistert mit seiner liebevollen Moliére-Adaption für den Theatersommer Haag - mit einer hinreißenden Ursula Strauss.

Gaukler sind in der Stadt. Also in der Stadt Haag. Mit Ochsenkarren sind sie eingezogen, um vor dem frisch getünchten Pfarrhaus den „Eingebildeten Kranken“ von Moliére zu geben – irgendwie ganz im Stil der Barockzeit mit prächtigen Gewändern in Creme und zerzausten Perücken (von Cedric Mpaka). In Windeseile baut die fröhliche Truppe zu „La Strada“ der Circus Band das Bühnenbild (von Max Lindner) auf, ein einfaches Gestell mit gerafften Stoffen. Und einen prunkvoll ausgeschmückten Wagen gibt es auch; er ist, wie sich erweisen wird, das Boudoir der Prinzipalin.

Schon der Beginn nimmt gefangen. Denn Leander Haußmann fügt sich mit all seiner überbordenden Phantasie in die gegebene Situation, den malerischen Ortskern, ein. Ja, so ähnlich könnte tatsächlich Straßentheater passiert sein – vor Jahrhunderten. Aber Haußmann, der Schelm, verklärt nicht die Vergangenheit, er hält nur die traditionelle Schauspielkunst samt Pantomime und Artistik hoch: Sein fahrendes Volk ist in der Gegenwart verankert – und kommentiert sie immer wieder. Nicht mit dem Holzhammer, sondern beiläufig. 

Die Grundidee lässt aber nicht nur Haag als Schauplatz strahlen: Einer Gruppe, die sich derart beherzt um das Komödiantische bemüht, sieht man den einen oder anderen holprigen Übergang gerne nach. Wobei Leander Haußmann dank der Koproduktion mit dem Landestheater Niederösterreich ein durchaus respektables Ensemble zur Verfügung stand. Üppig ist es allerdings nicht: Sechs Schauspieler müssen reichen, um die Geschichte über die Läuterung des Hypochonders Argan zu erzählen, der sich in der freien Bearbeitung (zusammen mit dem Drehbuchautor Thomas Brussig) in eine hinreißend jammernde Frau verwandelt hat.

Für „Die eingebildete Kranke“ hatten daher etliche Figuren gestrichen zu werden, darunter der unverschämte Arzt Diafoirus. Doch Leander Haußmann wusste sich zu helfen – auf geniale wie abgründige Weise. Denn Söhnchen Thomas, das aus purem Egoismus (der Arzt im Haus erspart den täglichen Apfel) mit der Tochter Argans verheiratet werden soll, liefert sich hinter dem Vorhang hitzige Dialoge mit seinem Vater, sprich: mit sich selbst. Das erinnert an „Psycho“ von Alfred Hitchcock. Schließlich geht es darum, ihn als künftigen Ehemann unmöglich zu machen. 

Robin Krakowski gibt den verhaltensauffälligen „Gesundheitsbürokraten“ aber derart hinreißend, dass er schon sehr viel über die Erde als flache Scheibe schwurbeln muss, um sich ins Out zu katapultieren. Zumal seine Kritik an absurden EU-Gesundheitsverordnungen durchaus Berechtigung hätte. Und es wäre nicht Leander Haußmann, würde er diese nicht mit einer Watsche für die Zuhörerschaft verknüpfen: Beim Monolog über die verkürzte Haltbarkeit von Kochsalzlösungen, die eigentlich gar nicht schlecht werden können, schlafen samt und sonders alle ein – auf der Bühne. 

Leander Haußmann, der seine vielen, liebevoll ziselierten Miniaturen mit Songs von Tom Waits, den Stones und den Beatles untermalt, schenkt aber nicht nur Diafoirus, sondern allen Nebenrollen unglaublich viel Zuneigung. Jeder darf brillieren. Der eine als zuzelnder Tollpatsch (Julian Tzschentke), die andere als renitente, über beide Ohren verliebte Tochter (Laura Laufenberg), und Tobias Artner amüsiert als schmieriger Heiratsschwindler, den nur das Geld der Frau Argan interessiert: Er steckt eigentlich mit dem Notar unter einer Decke. 

Doch die gute Seele des Hauses weiß das Schlimmste zu verhindern. Wenn schon die Hauptfigur von einer Frau als Frau verkörpert wird (Ursula Strauss macht das wunderbar leidend mit nobler Blässe im versteinerten Gesicht), dann ist es nur recht und billig, wenn aus dem schlauen Dienstmädchen Toinette ein Faktotum namens Toni wird. Dieses ist seiner Chefin ergeben, auch wenn sie ihm mitunter furchtbar auf die Nerven geht: Christian Dolezal, der Intendant des Theatersommers Haag, schüttet sich schon mal blutrote Farbe über die Hand, um zu beweisen, wie man mit Wehwehchen umgehen könnte.

Zunächst agierte er bei der Premiere am Mittwoch gar etwas hölzern, doch mit der Zeit gewann der Schalk in ihm die Überhand. Und schließlich dominierte er gar als komplizenhafter Fädenzieher. Ende gut, alles gut nach einer Spieldauer von zwei Stunden und zurecht frenetischer Applaus. 

Nur eine Frage blieb offen: Wie soll diese Inszenierung, die so ganz auf den Hauptplatz von Haag zugeschnitten ist (selbst die Glocke der Kirche läutet im rechten Moment), ab 12. September im Landestheater von St. Pölten funktionieren? Da wird sich Leander Haußmann wohl noch etwas einfallen lassen müssen …

KURIER-Wertrung: 4,5 Sterne (von 5)

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