Leander Haußmann: „Wenn Frauen jammern, ist das lustiger“

INTERVIEW: REGISSEUR LEANDER HAUSSMANN
Der Regisseur mit der Berliner Schnauze über das, was er mit dem „Eingebildeten Kranken“ von Molière laufen hat, und seine Inszenierung für den Theatersommer Haag, die am 25. Juni Premiere hat.

Anfang Mai 2022 kündigte Kay Voges als Direktor des Volkstheaters einen Scoop an: Leander Haußmann würde für den Saisonbeginn „Der eingebildete Kranke“ von Molière inszenieren. Aber bereits Ende Juni wurde die Produktion abgesagt.

Zwei Jahre später, im September 2024, stellte sich Stefan Bachmann als neuer Burgtheater-Direktor mit seiner aus Köln mitgebrachten Crossgender-Inszenierung des „Eingebildeten Kranken“ (mit Rosa Enskat als Argan) vor. Er hätte damals eher alt ausgesehen, wäre etwas aus dem Volkstheater-Projekt geworden. Denn bei Haußmann sollte eine Frau den Hypochonder spielen.

Am 25. Juni bringt der Regisseur, 1959 in Quedlinburg (DDR) geboren, die Molière-Komödie doch noch auf die Bühne – in Haag unter dem Titel „Die eingebildete Kranke“. Der Ansatz ist ein ganz anderer als jener von Bachmann, zumal Haußmann, mit den Filmen „Sonnenallee“ und „Herr Lehmann“ bekannt geworden, Crossgender kalt lässt.

KURIER: Was war denn 2022 im Volkstheater los?

Leander Haußmann: Ich glaube, ich habe es einfach nicht hingekriegt. Kay Voges hatte seine eingespielte Truppe, der ich mich irgendwie nicht mitteilen konnte. So ein Probenprozess hat ja etwas mit gegenseitigem Kennenlernen zu tun, damit geht die meiste Zeit drauf, und es war wenig Zeit. Es gibt überall immer weniger Zeit, und da ich mit zunehmendem Alter mehr Fragen habe als Antworten und weil Proben bei mir auch eher ein Suchen sind als das Umsetzen ausgefertigter Konzepte, brauche ich viel Vertrauen und Identifikation – das alles konnte ich nicht bei allen herstellen.

Sie achten auf Feinheiten. Das kann mit dem Brachialstil von Kay Voges nicht zusammengehen.

Ich würde mich zu solchen Einschätzungen nicht hinreißen lassen. Er hatte ein gutes Ensemble, und so waren alle Voraussetzungen für eine gute Aufführung gegeben. Manchmal passt es eben nicht. Früher dachte ich, ich werde niemals eine Arbeit niederlegen. Nun war es so weit, das erste und hoffentlich auch das letzte Mal. Ich hab’ mich gefühlt wie ein alter Cowboy, der auf seinem Pferd durch die Stadt reitet und nicht mitgekriegt hat, dass das Auto schon erfunden ist. Und schon davor habe ich mich immer wieder gefragt, wann der Moment kommen wird, wo jemand zu mir sagt: „Du bist nicht mehr angesagt, Leander! Jetzt sind die Jungen dran!“ So, wie wir das einst zu den Arrivierten gesagt haben. Vor diesem Tag habe ich mich gefürchtet. Und dann dachte ich: Bevor mir das irgendjemand sagt, trete ich selber zurück.

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Premiere am 25. Juni: Molière als Straßentheater – mit Ursula Strauss und Christian Dolezal (im Wagen).

Aber eine Theaterproduktion entsteht doch im Team ...

Natürlich habe ich mir insgeheim gewünscht, dass jemand vortritt und sagt: „Nein, Leander, du bist nicht allein verantwortlich.“ Aber so ein Wunsch ist wohl zutiefst romantisch. Ich lebte 30 Jahre in einer Diktatur, da gab es eine klare Definition von Verrat, denn dass man füreinander einstand, war geradezu existenziell. Ich bin auch gegenüber Intrigen relativ hilflos, dasselbe gilt bei Humorlosigkeit und Dummheit. Jetzt ist die Sache abgeschlossen, in Güte und Kollegialität. Und ich kann meine Intentionen in Stadt Haag ausleben, auf dem Marktplatz. Wenn alle 15 Minuten die Glocke der Kirche, neben der wir unsere Bühne haben, läutet, und der Traktor sein Wegerecht, das durch die Bühne führt, nutzt, lernt man Demut. Aber im Ernst, ich habe viel aus den Erfahrungen am Volkstheater gelernt, das ist die Hauptsache.

Sie inszenieren eben den „Eingebildeten Kranken“ ...

Mit einer wunderbaren Schauspielerin, Uschi Strauss, und einem Ensemble mit großer Spielfreude! Und ich weiß, worauf ich mich einlasse. Denn ich knüpfe an meine DDR-Vergangenheit an. Mit 20, 21 hab’ ich in Berlin ein Straßentheater gegründet, damit man schnell auseinanderstieben kann, wenn die Polizei kommt. Es war ja generell immer alles verdächtig, auch wenn man unpolitisches Theater machte. Und ich hab’ wirklich auf der Straße den „Eingebildeten Kranken“ gespielt. (Er sinniert.) Ich hab’ irgendwas mit diesem Stück laufen. Warum komme ich davon nicht los? Es gibt ein paar solche Stücke …

Etwa den „Sommernachtstraum“, den Sie schon etliche Mal gemacht haben, auch bei den Salzburger Festspielen und an der Burg.

Aber davon bin ich jetzt weg. Obwohl: Vielleicht doch noch einmal ganz klein, in einem Zimmer? Na ja. Warum auch nicht? Warum dürfen Operndirigenten immer wieder die gleiche Oper dirigieren? Und Regisseure sollen immer ein anderes Stück machen? Gerade die Stücke von Molière und Shakespeare sind voller Geheimnisse! Der Marktplatz von Haag zwingt mich zu einer Leichtigkeit, vielleicht auch Leichtfertigkeit, die ich schon lange nicht mehr so empfunden hatte, und die ich jetzt sehr willkommen heiße.

INTERVIEW: REGISSEUR LEANDER HAUSSMANN

Leander Haußmann: „Mit 20, 21 hab’ ich ein Straßentheater gegründet, damit man auseinanderstieben kann, wenn die Polizei kommt.“

Wieso gerade Haag?

Weil mich der Intendant Christian Dolezal gefragt hat. Und ich die Gelegenheit gesehen hab’, meinen Beruf neu zu erlernen. Wenn man heute ins Theater geht, sieht man ungeheure Bühnenbilder, Kamerateams rund um die Schauspieler, ich sehe eine riesige Maschine, die nicht gerade billig ist. Aber Kunst kommt nie aus dem Reichtum, die Genialität nie aus dem Überfluss. Hier habe ich das Gefühl, nicht in einem elitären Kreis auserwählter, gut betuchter Auskenner zu sein. Der Auftrag muss hier Volkstheater sein, anders geht es nicht.

Konkret?

In der Fassung von Autor Thomas Brussig und mir gibt es eine Gruppe, die weder personell so aufgestellt ist, dass sie das Stück ordentlich besetzen kann, noch in der Lage, dieses Stück in einem ordentlichen Bühnenbild zu spielen. Deswegen haben wir – wie fürs Straßentheater – Wagen bauen lassen. Nach dem Tod des Patriarchen muss allerdings die Ehefrau die Rolle übernehmen, sich richtig in die Rolle reinfühlen. Denn Frauen kennen wir irgendwie nicht als Hypochonder. Wenn ich an meine Mutter denke, dann ist sie eine Heldin, die sich um drei Kinder gekümmert hat: Meine Schwester, mich und meinen Vater.

Ist das nicht eher ein Mythos?

Vielleicht. Aber ich bleibe dabei: Wenn Frauen jammern, ist das lustiger. Und wenn die Welt ein einziges Jammertal ist, in dem jeder den anderen volljammert: Wo ist dann der Arzt? Darüber hinaus: Wenn man sich vor Verantwortung drücken will, ist nichts besser, als von sich selber zu behaupten, dass man krank ist. Und wenn das innerhalb einer Familie passiert, dann passiert etwas Ähnliches wie Parenting, nur umgekehrt: Die Kinder kümmern sich um ihre Eltern. Und das wollen wir eigentlich nicht. Aber noch mal zu Ihrer Frage, warum Haag: Sicher ist, dass ich in letzter Zeit auf der Suche bin nach Projekten, die mich fordern und mir neue Sichtweisen eröffnen.

Deswegen auch Ihre Arbeit im inklusiven RambaZamba-Theater in Berlin?

Da habe ich mich, was selten genug der Fall ist, beworben. Und mit „Einer flog über das Kuckucksnest“ eines meiner beglückendsten Arbeitserlebnisse gehabt, die mir für bestimmte Aspekte des Lebens und der Kunst die Augen geöffnet haben. Das, was ich dort als sogenannte Behinderung erlebt habe, war das Ausbleiben von Arg. In dieser Truppe gibt es nichts Böses, keinen intriganten Anspruch, und das war natürlich nach dem Erlebnis am Volkstheater eine sehr heilsame Erfahrung.

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