„Der weiße Hai“ ist 50: Wie der Film die Angst schürte

Junge Frauen, die in den ersten Minuten eines Kinoschockers mit Wasser in Berührung kommen, leben gefährlich. In Hitchcocks „Psycho“ ist Janet Leigh nur wenige Minuten am Leben; als sie in Bates Motel unter der Dusche steht, wird sie vom psychopathischen Vermieter mit dem Messer gemetzelt. Und die Frau, die am Anfang von „Der weiße Hai“ im nächtlichen Atlantik nackt badet, wird zum ersten Opfer des aggressiven Knorpelfischs.
Vor 50 Jahren, im Sommer 1975, brach Steven Spielbergs Thriller in Amerika sämtliche Kassenrekorde (ehe er zwei Jahre später vom ersten „Star Wars“-Film übertrumpft wurde); in Österreich kam der Film im Dezember ins Kino. „Der weiße Hai“ (Originaltitel: „Jaws“, dt. Kiefer) war der erste moderne Blockbuster.

Aber im Unterschied zu den meisten anderen Filmen seiner Art geht sein Grusel nicht von einem Fantasy-Monster aus, sondern von einem real existierenden Lebewesen. Zwar gehören Menschen – wie Meeresbiologen nicht müde werden zu betonen – nicht ins Beuteschema der Haie; Tatsache ist aber auch, dass dennoch hin und wieder Menschen von Haien gefressen werden.
Spielberg legte daher großen Wert darauf, möglichst realistisch zu bleiben. Er drehte nicht in einem Studiobecken, sondern im Meer; Drehort war die beliebte Ferieninsel Martha’s Vineyard vor der Küste von Massachusetts. Als es darum ging, ein Hai-Modell zu bauen – wir befinden uns im analogen Zeitalter –, legte Ausstatter Joe Alves drei Entwürfe vor: einen fünfeinhalb Meter langen, einen acht Meter langen und einen fast zehn Meter langen. Spielberg entschied sich für den mittleren. „Das kleinste Modell fand ich zu wenig bedrohlich und das große nicht mehr realistisch“, sagt er in der zum Jubiläum produzierten Doku „Der weiße Hai: Die Geschichte hinter dem Blockbuster“ (Disney+).
The Meg 2 (2023)
Jurassic Park unter Wasser: Der prähistorische Riesenhai macht die Ozeane unsicher (diverse Plattformen).
Der weiße Hai: Die Geschichte hinter dem Blockbuster (2025)
Die offizielle Doku zum 50-Jahr-Jubiläum (Disney+).
Die Haiflüsterin (2025)
Doku über die Haischützerin Ocean Ramsey (Netflix).
All the Sharks (2025)
Reality-Wettstreit: Wer sieht die meisten Haie? (Netflix, sechs Folgen).
„Als ich den Hai im Film zum ersten Mal sah, war ich überwältigt, wie realistisch er wirkt“, sagt Haiforscher Austin Gallagher. Aber so gut der Hai aussah, so schlecht funktionierte er: Die Mechanik des Modells vertrug sich nicht mit dem Salzwasser, war die meiste Zeit defekt. Das führte einerseits dazu, dass die Dreharbeiten viel länger waren als geplant (105 statt 60 Drehtage), das Budget überschritten wurde und die Stimmung im Team zeitweise sehr angespannt war; einmal kam Martin Scorsese aus New York auf Besuch, um seinem Freund Spielberg beizustehen.

Regisseur Steven Spielberg (Mitte) legte großen Wert darauf, den Schrecken möglichst realistisch zu zeigen.
Die technischen Probleme hatten andererseits aber auch zur Folge, dass sich der Hai im Film rar macht. Die längste Zeit bekommt man ihn gar nicht zu Gesicht – was den Grusel aber eher verstärkt. Als Roy Scheider, der den lokalen Polizisten spielt, den Hai schließlich zum ersten Mal sieht, sagt er zum Hai-Jäger Quint (Robert Shaw) jenen Satz, der zu einem geflügelten Wort werden sollte: „Sie werden ein größeres Boot brauchen.“

Der weiße Hai
Der Geist von Trump
Als der Film ins Kino kam, war Donald Trump noch ein kleiner Immobilienhai. Aber wer will, kann in der Figur des Bürgermeisters, der die tödliche Gefahr aus wirtschaftlichen Gründen ignoriert („Diese Strände werden am Wochenende geöffnet sein!“), trotzdem schon den Geist von Trump und seinesgleichen erkennen. Peter Benchley, der Autor des Bestsellers, auf dem der Film basiert, erzählt dazu eine hübsche Anekdote. Fidel Castro hatte in einem Interview verraten, dass er gerade den „Weißen Hai“ lese. Auf die erstaunte Frage des Interviewers, wieso er einen kommerziellen amerikanischen Thriller lese, antwortete der kubanische Revolutionsführer: „Das ist eine fabelhafte Metapher für die Korruption im Kapitalismus!“
„Der weiße Hai“ genießt auch unter Spielbergs Kollegen höchstes Ansehen. Steven Soderbergh etwa hat den Film sage und schreibe 31-mal gesehen. Und er kann sich noch an den Schock erinnern, den der Anfang beim ersten Mal ausgelöst hat. „Ich dachte: Wenn die so was in den ersten drei Minuten des Films machen – was machen die dann noch?“
Vier weitere Menschen – darunter ein Kind und eine der Hauptfiguren – werden dem Hai zum Opfer fallen. Vielleicht noch verheerender ist jedoch, was der Film im Publikum anrichtet: Kaum jemand, der ihn gesehen hat, wird danach noch im Meer schwimmen, ohne daran denken zu müssen, was sich unter einem sonst noch so alles tummelt.
Für die Situation in den Ozeanen hatte „Der weiße Hai“ positive und negative Folgen. „Dank des Films hat unsere Forschung einen Schub erfahren“, sagt John Mandelman, wissenschaftlicher Leiter des New England Aquarium. „Man will mehr über Haie wissen und sie schützen.“
"Das Schlimmste, was Haien je widerfahren ist"
Lucia Morillo von der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd bewertet das anders: „Der Film war eines der schlimmsten Ereignisse, das Haien je widerfahren ist.“ Denn er „stellte sie als Killer dar und schürte jahrzehntelang Angst und Verfolgung“. Die Haie sind zwar spezialisierte Jäger, aber nicht die gezeigten Bestien – und sie sind klüger als viele denken. Neuere Studien zeigen: Sie haben ein hoch entwickeltes Gehirn und sind mit anderen Wirbeltieren gleichauf.
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