Nicht gerade in Utzbach (wie Bruscon bei Thomas Bernhard), aber doch in einem Provinznest nimmt ein Theatermacher mit seiner Familie Quartier. Er könnte „Die Räuber“ ansetzen; einträglicher erscheint ihm jedoch, das Stück einer stadtbekannten Persönlichkeit herauszubringen. Mag dieses auch „ein Schas“ sein: Das Publikum werde die Vorstellungen stürmen. Und so luchst er dem Gymnasialprofessor Gollwitz dessen „Jugendsünde“, ein Stück über den Raub der Sabinerinnen, ab: Auf römische Tragödien sei seine Truppe, sagt er, geradezu „eingefuchst“.
Wie es sich für einen Schwank gehört, haben die handelnden Personen Geheimnisse, die sie nicht preisgeben wollen, und so kommt die eine oder andere in ärgere Nöte. Die Handlung von Franz und Paul von Schön-than in allen Einzelheiten zu erzählen, interessiert die mit bereits zwei Nestroys ausgezeichnete Regisseurin aber wenig. Sie treibt den Wahnsinn auf die Spitze – und verkehrt vieles ins Gegenteil.
Im Theater des Emmanuel Striese wird zum Beispiel (aus Kostengründen) ohne Souffleur gespielt, in der Interpretation von Vulesica hingegen nimmt Annemarie Fischer, die als Papagei Cicero verkleidete Souffleuse, eine dominante Rolle ein: Sie kommentiert das Geschehen mit Augenrollen und korrigiert mit wenig Erfolg jeden Versuch der Übertreibung.
Tullia als Tullius
Ausgangspunkt der freien Bearbeitung ist die Szene, in der Striese den Herrn Professor bittet, aus der Sklavin Tullia den Sklaven Tullius zu machen, da er keine Schauspielerin mehr verfügbar habe. Gollwitz lehnt ab, da Tullia in ihrem Monolog beklagt, nicht als Mann geboren worden zu sein. Also: „Das ist unmöglich!“ Und Striese kontert: „Aber im Theater ist doch nichts unmöglich.“
Dies stellt Vulesica mit vielen Verweisen und Anspielungen unter Beweis. Etwa mit einer Gender-Cross-Besetzung: Die zierliche Sabine Haupt spielt den Professor mit schreckgeweiteten Augen als Würschtl im zu großen Anzug. Sie erinnert an Dustin Hoffman als Dorothy in „Tootsie“, dann wieder an den Komiker Jerry Lewis.
Der groß gewachsene Dietmar König verkörpert dessen Ehefrau – mit langer Platinblondperücke als Drag-Queen im Stil von Lauren Bacall. Und bei der immerzu verzückten Haushälterin Rosa der Dorothee Hartinger denkt man auch an Robin Williams als Mrs. Doubtfire. Komplettiert wird dieser Käfig voller Narren nicht nur durch Rainer Galke als dralles Prachtweib mit Berliner Schnauze in sündigem Schwarz: Birgit Minichmayr schlüpft, ausgepolstert u. a. mit einem Gemächt, in die Rolle des Theaterdirektors.
Derart derb in der Umgangssprache redend hat man sie wohl noch nie gehört. Sie ist ein gewitzter wie verschlagener Johann-Nestroy-„Theaterheini“ – und zudem, mit dem Oberlippenbärtchen, ein breitbeiniger Charles Bronson. Schwungvoll hechtet dieser Cowboy im düsteren Django-Outfit wiederholt durch die Saloon-Flügeltür in das Arbeitszimmer des Herrn Professor.
Striese erwähnt zwar immer wieder seine Frau, die rettende Einfälle hat und die Hauptrollen spielt. Aber sie tritt nie in Erscheinung. Vulesica lässt ihr daher Gerechtigkeit widerfahren: Mit einer billig gezimmerten Varieté-Bühne gastiert im Akademietheater die „Striese & Striese Company“. Formatfüllend ist sie nicht – und so sieht man in den „Backstage“-Bereich mit den Transportkisten für die Requisiten („fragile“, also „zerbrechlich“, steht darauf).
Es gibt enorm viele Verweise, nicht nur auf das Kino, auch auf die 70er-Jahre (mit Stefanie Dvorak als Blondinchen und Lukas Vogelsang als Spießer). Mitunter sind es gar zu viele Anspielungen. Was dazu führt, dass im Mördertempo durch die Gib-dem-Affen-Zucker-Show gerast wird. Zum Ausspielen der vielen Schabernack-Szenen fehlt oft die Zeit. Der eindreiviertel Stunden lange, mit viel Applaus bedachte Abend wird daher zwischendurch auch etwas mühsam.
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