Eigentlich ist Harpagon schwer reich, aber eben verdammt geizig. Die erste Stunde schillert Iffland-Ring-Träger Jens Harzer als Hartz-4-Empfänger: entsprungen einem Doku-Sozialporno auf einem deutschen Privatsender. Mit billigem Bürstenschnitt, dicker Brille, zischendem Vorbiss. Längst ist dieser Harpagon, der wohl nur Junkfood verschlungen hat, unansehnlich aus dem Leim gegangen, Fettwülste haben sich auch um die Knöchel gelegt. Nicht nur das T-Shirt ist angepatzt, ein milchig weißer Fleck im Schritt der Bundfaltenjeans irritiert die Betrachterin.
Die Welt muss sich gegen ihn verschworen haben: Harpagon, von Geiz zerfressen und von Angst getrieben, misstraut folglich jedem. Und so blitzt es immerzu gefährlich oder argwöhnisch aus Harzers Augen. Tochter Élise (Toini Ruhnke) und Sohn Cléante (Steffen Siegmund) haben ihm nichts entgegenzusetzen: Blass im Gesicht fügen sie sich immer wieder dem Despoten, der Respekt einfordert. Doch allmählich wächst der Widerstand.
Vom Sparsamkeitswillen getrieben ist auch die Umsetzung: Ein paar nackte Glühbirnen müssen reichen, detto ein paar Sessel im nackten Bühnenraum. Hier wird nichts verschwendet, selbst die Sterne am Firmament, mit der Harpagon die junge Mariane (Rosa Thormeyer) zu beeindrucken versucht, dürfen nur kurz aufleuchten. Und das verstreute Konfetti wird wieder eingesammelt.
Das sichtbare Defizit in der punktgenauen Ausstattung (Bühne von Peter Schubert, Kostüme von Janina Brinkmann) macht Leander Haußmann getreu dem Küchenmeister-Motto „Koche köstlich ohne Kosten“ mit Phantasie und Pantomime wett: Er lässt einfach klassisches Theater spielen, garniert mit wundersamen Taschenspielertricks. Und so bekommt schließlich fast jedes Ensemblemitglied die Gelegenheit, als Solist zu glänzen.
Pascal Houdus begeistert mit Zungenakrobatik, weil sich dessen schleimender Valère als Schnellsprecher-Spanier im Haus Harpagon eingeführt hat. Und Tim Porath liefert, diversen unnatürlichen Kräften ausgesetzt, Slapstick-Gustostückerln ab: Ein imaginärer Magnet zieht ihm die Beine nach oben, ein gewaltiger Sog saugt ihn von der Bühne. Und irgendwann geht dem Kutscher auch der Hengst in sich durch. Zum Wiehern geradezu.
Nach dem Diebstahl des Geldes – eine nervenzerfetzende „Mission Impossible“-Szene mit Laser-Strahlen aus roten Schnüren – strahlt die Bühne in barocker Pracht. Die Auflösung und das erzwungene Happyend interessieren Haußmann, der auch ein Lied von Ludwig Hirsch einsetzt, nicht so sehr: Da purzelt alles chaotisch durcheinander. Und der monströse Harpagon des Jens Harzer gewinnt in der Niederlage Züge des Jokers. Es regiert der Wahnsinn.
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