Es ist nur etwas mehr sechs Monate her, dass die Band hier ein Stadion ausverkauft hat. Und Ende der Woche sind sie, nach einem Abstecher nach Birmingham, wieder hier in der O2-Arena. Wieder ausverkauft.
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Angst vor dem Krieg
Es hat sich viel verändert, seit Depeche Mode 1980 hier begannen. Das zeigen die ersten Songs im Programm: In ein metallisches Dröhnen mischen sich tickende Beats, die in sich zusammenfallen, bevor Gahan und Songwriter Martin Gore einsetzen und in einer monotonen Melodie von der Angst vor dem Krieg und den Mitmenschen singen. Es folgt das großartige „Wagging Tongue“, einer der besten Tracks von „Memento Mori“, der von sterbenden Engeln bevölkert ist. Das ist Goth-Rock vom Feinsten, faszinierend abgründig, mit einer Melodie, die verführt, tief in die düster-mysteriöse Welt von Depeche Mode einzutauchen. Über viele Jahre hat sich die Band mit diesem Sound fernab des Mainstreams ein Massenpublikum aufbauen können.
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Später im Set entführt Gahan die Londoner für „ein bisschen Spaß“ in eine andere Welt: „Just Can’t Get Enough“ ist ein Song aus der Anfangsphase – jener fröhlich-tänzelnde Synthiepop, mit dem die Musiker in den 80er-Jahren zu Teen-Idolen wurden, zu Dauergästen in Jugendzeitschriften und TV-Shows, in denen sie mit Hühnern in der Hand auftraten.
Das ist aber die einzige Erinnerung an diese andere Karriere von Depeche Mode. Der einzige Moment in der O2-Arena, in dem das Licht zuckerlbunt rosa und gelb durch die Halle zuckt. Sonst ist die wieder von Anton Corbijn, dem langjährigen Kreativ-Direktor von Depeche Mode, gestaltete Show edel und elegant, zumeist auf die Farben rot, schwarz und weiß bezogen. Dazwischen verstärken Filme die Dramatik der Songs. In der Mitte steht Martin Gore alleine auf der dunklen Bühne, singt zu Piano-Begleitung, „Strangelove“ und „Heaven“, sorgt damit für einen Höhepunkt. „Was für eine engelhafte Stimme“ sagt Gahan, als er zurück auf die Bühne kommt. „Das ist Martin L. Gore. Er singt, schreibt Songs und macht alles!“
Dass Gahan seinem Jugendfreund Gore so viel Anerkennung zeigt, ist neu. Denn eine gewisse Distanz zwischen den beiden war früher auf der Bühne häufig spürbar. Der Grund: Gore hatte jahrelang alle Songs für die Band allein geschrieben. Aber als Gahan Anfang der Nullerjahre erfolgreich eine Solokarriere gestartet hatte, wollte er auch Songs zum Bandrepertoire beisteuern. Dadurch aber fühlte sich Gore in seinem angestammten Territorium bedroht, lehnte es immer wieder ab.
Über derartige Differenzen kam es oft zum Streit zwischen den beiden. Keyboarder Andrew „Fletch“ Fletcher, war dann der Kitt, der alles zusammenhielt. 2022 verstarb dieser mehr psychologisch als musikalisch wichtige Teil des Band-Gefüges aber überraschend an einem Riss in der Aorta. „Wenn es irgendetwas Gutes an dem Tod von Fletch gibt, dann, dass es mich und Dave viel näher zusammengebracht hat“, erzählte Gore der britischen Tageszeitung The Guardian. „Wir müssen jetzt alle Entscheidungen für die Band zu zweit treffen. Also reden wir alles aus. Wir telefonieren viel öfter, sehen uns dabei sogar auf Face-Time. Das hätten wir früher nie gemacht.“
In memoriam
In der Show widmen Depeche Mode den Song „World In My Eyes“ dem verstorbenen Gründungsmitglied . Das geht ganz ohne Worte – mit einem schwarz/weiß Bild und einem Gahan, der beim Singen die Hände in die Höhe streckt und mit den Fingern ein A formt – was das Publikum mit der gleichen Geste quittiert. Das ist nach den Hits „I Feel You“ und „Precious“ ein weiterer Gänsehautmoment.
Aber auch den kann das Duo, das von Peter Gordeno (Bass, Klavier, Keyboards) und dem hervorragenden österreichischen Drummer Christian Eigner verstärkt wird, noch übertreffen. Mit „Enjoy The Silence“ vor der Zugabe, das Gahan nur in Bruchteilen singt, weil das Publikum diesen größten Hit der Band sofort an sich reißt.
Und mit dem akustisch vorgetragenen „Condemnation“ und „Personal Jesus“. Dieser zweite Superhit von Depeche Mode wird zum Triumphzug, zu einem Finale, nachdem Gore und Gahan einander umarmend von der Bühne gehen.
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